Systemisches Coaching. Bernd Schmid

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Systemisches Coaching - Bernd Schmid

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Einleitende Gedanken

      Jede Neurose ist ein unerlöstes Talent

      Das Konzept des Antreibers ist ein wertvolles Modell zur Analyse von Persönlichkeits- und Beziehungsdynamiken. Bisher wurde das Konzept vorwiegend im therapeutischen Bereich verwendet. Es eignet sich aber durchaus auch für die beratende Arbeit in Organisationen, insbesondere im Coaching. Im Folgenden wird das Konzept um systemische und ressourcenorientierte Aspekte erweitert.

      Viele Menschen fühlen sich v.a. in Stress und Belastungssituationen als Menschen nicht vollwertig, geschätzt oder liebenswert. In der Regel entwickeln Menschen Strategien, diesem »Nicht-OK-Gefühl« zu entrinnen. Solche Strategien sind meist mit illusionären Ideen verbunden: »Ich wäre (wieder) OK, wenn …«. Die Ideen, repräsentiert als verinnerlichte Anweisungen, werden als Antreiber bezeichnet. Der Name »Antreiber« weist darauf hin, dass Menschen diesen »Geboten« nahezu zwanghaft folgen. Wenn sie bei einem Vortrag unter Stress geraten, glauben sie beispielsweise, keinen Fehler machen zu dürfen, um von den Zuhörern anerkannt zu werden. Die Verheißung der Antreiber bleibt aber letztlich unerfüllt. Antreiber lösen das »Nicht-OK-Gefühl« nicht, sondern verstärken oder verwalten es nur.

      Taibi Kahler (1977) unterscheidet fünf Antreiber-Dynamiken:

      1. Ich bin OK, wenn ich perfekt bin.

      2. Ich bin OK, wenn ich stark bin.

      3. Ich bin OK, wenn ich gefällig bin.

      4. Ich bin OK, wenn ich mich anstrenge.

      5. Ich bin OK, wenn ich mich beeile.

      Während die verschiedenen Antreiber-Dynamiken in der Literatur oft als Typen beschrieben werden, wird aus systemischer Perspektive der Kontext bedeutsam, in dem der Antreiber ausgelöst wird. Niemand steht ständig unter dem Einfluss von Antreibern. Sie steuern Menschen nur in bestimmten Situationen oder bestimmten Personen gegenüber. Diese Kontextunterschiede geben bereits wichtige Hinweise für die Diagnose und Interventionen im Coaching. Wenn wir die kontextspezifischen Antreiber-Dynamiken in dieser Arbeit zum Teil dennoch zu Prototypen verdichten, so dient dies lediglich der vereinfachten Darstellung. Die beschriebenen Dynamiken werden als Merkmale persönlicher Inszenierungsstile dargestellt. Man kann sie jedoch auch als Merkmale von Teams oder größeren Organisationen beschreiben.

      Bezüglich der Diagnose von Antreibern zeigt sich, dass es nicht ausreicht, sie an Wortfloskeln oder Gesten festzumachen, wie dies gelegentlich gelehrt wird. Wichtiger scheint, ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche spezifische Atmosphäre durch Antreiberverhalten in einem sozialen Raum entsteht, welche emotionalen Dynamiken, Beziehungsmuster und Wirklichkeitslogiken aktualisiert werden. Jede der einzelnen Antreiber-Dynamiken erschafft eine Wirklichkeit, in die man als Gegenüber mit einiger Wahrscheinlichkeit eintritt. Oft denken Mitspieler, sie würden sich aus der Dynamik heraushalten oder etwas dagegen tun und merken nicht, dass sie dabei doch innerhalb der Logik agieren. Aus systemischer Sicht könnte man sagen, dass sich die Dynamik durch die kommunikativen und verhaltensmäßigen Beiträge der Beteiligten zirkulär stabilisiert und durch deren Ideen über Wirklichkeit aufrechterhalten wird.

      Für die Arbeit im Coaching bedeutet dies, Antithesen zu formulieren, d.h. Beziehungsangebote und Wirklichkeitsvorschläge anzubieten, die nicht nur andere Spielarten innerhalb der Antreiber-Inszenierung sind, sondern eine andere Dynamik aktivieren bzw. Lösungen 2. Ordnung im Sinne Watzlawicks darstellen. Die Kenntnis der einzelnen Dynamiken und die Diagnose der eigenen Reaktion (soziale Diagnose) können helfen, nicht in die Logik der Antreiber-Inszenierung einzutreten, sondern Lösungen 2. Ordnung und damit antreiberfreie Inszenierungen zu aktivieren.

      Diesen wirklichkeitskonstruktiven und beziehungsanalytischen Aspekten soll in der vorliegenden Arbeit nähere Beachtung geschenkt werden.

       Wirklichkeitsanalytische Perspektive

      • Wie entwerfen Menschen in Antreiber-dynamiken ihr Bild von der Welt?

      • Welche Grundannahmen über sich und andere liegen ihrem Denken zugrunde?

      Beziehungsanalytische Perspektive

      • Wie reagieren Mitspieler auf die Beziehungsangebote der verschiedenen Antreiber-dynamiken?

      • Welche Gefühle, Ideen und Verhaltensweisen werden bei ihnen ausgelöst?

      © Schmid 2004

      Abb. 1: Wirklichkeitsanalytische Perspektive

      1.2 Antreiber 1: »Ich bin OK, wenn ich perfekt bin!«

      1.2.1 Erkennungsmerkmale

      Menschen in dieser Dynamik rechtfertigen sich häufig oder versuchen Dinge noch genauer und besser zu machen. Ergänzungen, Kritik und was noch zu erwägen wäre, wird gerne vorweggenommen, um vorsorglich zu verhindern, dass jemand sagt: »Du hast es nicht perfekt genug gesagt, begriffen oder getan.« Nonverbale Elemente sind ein ernster Blick sowie eine aufrechte und starre Haltung, verbunden mit einem angespannten Körpergefühl.

      1.2.2 Soziale Diagnose

      Beim Gegenüber entsteht durch diesen Antreiber der Eindruck, nicht gut genug zu sein. Den um Makellosigkeit bemühten Ausführungen des Perfektionisten lässt sich nichts mehr hinzufügen. Kommunikationspartner beginnen nach und nach ihre Aufmerksamkeit abzuziehen. Auf das ausgelöste Nicht-OK-Gefühl von der Qualität. »Das erreiche ich sowieso nie« oder »Ich bin nicht gut genug« reagieren manche Mitspieler mit Abwertung und Ausschluss des Perfektionisten. Oft wird im Umgang mit Perfektionisten wenig Kontakt, Beziehung und Austausch erlebt, weil dessen perfekter Arbeit nichts mehr hinzuzufügen ist. Oder man versucht in Kontakt zu kommen, wofür aber eher Begegnungsformen wie Unterordnung, Besserwissen, Relativieren oder Kritisieren nahe liegen.

      1.2.3 Emotionale Dynamik, Wirklichkeitslogik und Beziehungsmuster

      Perfektionisten haben das unterschwellige Grundgefühl, als Person nicht liebenswert zu sein und niemanden zu finden, der genügend Anteil an den Interessen und Ideen nimmt, mit denen sie ihr Selbstwertgefühl verbinden. Sie versuchen dann, statt dem, was sie sind, anzubieten, was sie leisten können. »Da fraglich ist, ob ihr mich schätzen könnt, biete ich eine solche Leistung, dass man ihr die Anerkennung nicht verweigern kann.« Sie glauben von anderen Menschen nur dann anerkannt zu werden, wenn sie perfekt sind und keine Fehler machen. Ihre Hoffnung ist, dass sie dann doch noch geliebt werden.

      Dieses Verhalten provoziert Widerspruch und Wettbewerb. Die immer neuen Absicherungen ziehen genau das auf sich, was sie zu vermeiden suchen: Kritik an der Person oder an der Leistung, was als gleichbedeutend empfunden wird. Der Effekt, Anerkennung für Leistung zu bekommen, tritt um so weniger auf, je perfekter es versucht wird. Die Adressaten fangen sogar an, die Leistung oder das Verhalten zu kritisieren, oft mit inhaltlich fragwürdigen Argumenten. Die Kritik gilt mehr der erlebten Beziehungsdynamik als den Inhalten. Diese kommt aber in der Perfektions-Atmosphäre nicht leicht zu Bewusstsein und zur Sprache.

      In der inneren Logik des Perfektionisten bedeutet diese Kritik: »Es hat deswegen nicht dazu geführt, dass sie mich lieben, weil sie selbst unfähig sind oder weil ich es noch nicht perfekt genug gemacht habe.« Dies führt wiederum zu verächtlicher Belehrung oder erneuter Anstrengung, es noch perfekter zu machen. Ertappt sich der Perfektionist dann doch noch bei einem Fehler oder verweisen andere auf Fehler, scheint die Berechtigung

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