Haiders Schatten. Stefan Petzner

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Haiders Schatten - Stefan Petzner

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im Fernsehen gar nicht wirklich gab, sondern dass sie so im Fernseher eingeschlossen waren, wie die Helden von Romanen anscheinend in Buchseiten eingeschlossen waren. Ein bisschen unwirklich kam er mir noch immer vor. Er war wie ein Fernsehbild, das sich mit dem richtigen Leben vermischt hatte, wie eine Projektion inmitten der vertrauten Menschen um mich.

      Haider stand in weißem Hemd da und wirkte inmitten des Trubels souverän und erhaben auf mich. Er hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Menschen um sich. Auch mit meinem Vater tauschte er sich aus. Schließlich ging er von Tisch zu Tisch und von Stand zu Stand. Er ging das ganze Gelände ab und reichte allen die Hand. Jedes seiner Gegenüber schien für diesen Augenblick seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben.

      Mein Bruder war bei mir geblieben und beobachtete mit mir das Treiben. Erst als wir sahen, dass Haider Autogramme schrieb und sich eine ganze Menschentraube um ihn bildete, um eines zu ergattern, wagten wir uns vor. Haider stand jetzt auf einem kleinen Podest und gab jedem eine Autogrammkarte, der eine haben wollte. Wir stellten uns in die Schlange. Ich fragte mich, was ich tun sollte, wenn ich an der Reihe war, aber ich war zu nervös, um darüber nachzudenken.

      Stück für Stück rückten wir näher, und irgendwann war ich auf einmal derjenige, der Haiders ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Ich erstarrte fast vor Ehrfurcht und sah ihn einfach nur mit großen Augen an. Haider grinste mich an. »Das sind dann Wähler von morgen«, sagte er zu den Erwachsenen um uns und drückte mir eine Karte in meine ausgestreckten Hände. Mein »Danke«, das er dafür bekam, hörte er gar nicht mehr, weil er längst dem Nächsten sein Autogramm in die Hand drückte. Dennoch war ich hochzufrieden. Er war mein Idol und nun hatte ich ein Stück dieses Idols in Form seiner Unterschrift und konnte es an die Wand meines Kinderzimmers kleben.

      Als wir Kinder uns wenige Wochen später in der Früh die Schuhe anzogen, machte meine Mutter wie immer jedem von uns ein Kreuzzeichen auf die Stirn. »In Gottes Namen«, sagte sie dabei, was so viel bedeutete wie »Viel Glück, und kommt heil wieder heim«. Gleich darauf standen wir wie jeden Schultag vor dem Haus unseres Nachbarn und wartete auf den alten gelben Postbus, der uns zur Laßnitzer Volksschule bringen würde. Dreißig Schüler besuchten sie, und es gab zwei Lehrerinnen, eine für die erste und die zweite Klasse, sowie eine für die dritte und die vierte. Die Busfahrt dauerte rund 25 Minuten und als Volksschüler musste ich einmal umsteigen, denn der eine Bus fuhr mit den Hauptschülern und AHS-Schülern in die nächstgrößere Stadt, nach Murau, weiter, während ein anderer Bus die Volksschüler nach Laßnitz brachte.

      Ich ging in die vierte, und an diesem Schultag im Jahr 1991, ich war zehn Jahre alt, sollten wir in Deutsch einen Aufsatz schreiben. Thema: Mein Traumberuf.

      Ich mochte die Volksschule, weil ich dort jeden Tag Kinder aus unserer Gegend traf. Ich war allerdings nur ein mittelmäßiger, weil eher fauler Schüler, der mehr Streiche als Lernen im Kopf hatte. Deutsch ging noch ganz gut, aber die anderen Fächer wie Rechnen fielen mir eher schwerer.

      Mein Traumberuf? Ich saß vor meinem Heft in der Schulbank, in die schon Schülergenerationen vor mir ihre Zeichen und Muster geritzt hatten, und musste nicht lange nachdenken. Ich wollte weder Astronaut noch Feuerwehrmann werden, und auch nicht Bauer wie mein Vater und mein Onkel. Ich hatte keinen dieser typischen Jungen-Berufswünsche. Ich wusste ganz genau, was ich werden wollte, und ich war sicher, dass ich es schaffen würde, trotz meiner mäßigen schulischen Leistungen und trotz eines anderen Problems, das mich seit einer Weile heimgesuchte: Irgendwann in der zweiten Klasse hatte ich zu stottern begonnen.

      Weder wusste ich, woher es kam, noch beschäftigte es mich sonderlich, was wohl daran lag, dass wir Kinder einander alle schon immer kannten und nicht hänselten. Es war einfach da und fiel mir zum Beispiel dann besonders auf, wenn ich einmal aufzeigte, aber, wenn mich die Lehrerin aufrief, die Laute nicht heraus brachte. Irgendwann fiel das Stottern auch ihr auf, worauf sie mich in Absprache mit meiner Mutter zu einer Sprachlehrerin schickte. Zu der musste ich einmal die Woche, wegen diverser Übungen, deren Sinn sich mir damals überhaupt nicht erschloss.

      Trotzdem hatte mein Traumberuf viel mit der Fähigkeit zu sprechen zu tun. Und mit den in der Grundfarbe Blau gehaltenen Werbeartikel der FPÖ, die ich im Kofferraum des weinroten Passat meines Vaters fand, wenn gerade Wahlkampf war. Ich begutachtete dann immer die Kugelschreiber, Sticker und Aufkleber. Während des Wahlkampfes im vergangenen Jahr hatte ich mich über und über mit Stickern behängt, auf denen »Ich flieg auf die FPÖ« stand, und war so zur Schule gegangen.

      Mein Berufswunsch hatte auch mit meiner wachsenden Leidenschaft für politische Diskussionen zu tun. Während andere Kinder im Schulbus über Kleidung oder Pop-Hits stritten, versuchte ich, politische Diskussionen loszutreten. Meine Cousine, eine Tochter der Kocher-Familie, hielt meistens mit. Ganz ihrer Familientradition entsprechend vertrat sie die ÖVP, während ich für die FPÖ das Wort ergriff. Ich konnte sie relativ einfach in Schach halten, indem ich ihr die Wahlerfolge der FPÖ vorhielt, und die immer größer werdenden Stimmenverluste der ÖVP. Manchmal wurde es so hitzig, dass der Busfahrer intervenieren musste.

      Mein Berufswunsch also. Ohne langes Zögern schrieb ich in meinen krakeligen Zügen, an denen unsere Lehrerin wenig Gefallen fand, meine Überschrift hin: »Generalsekretär in der FPÖ unter Jörg Haider.«

      Mein politischer Hintergrund

      Ich habe mich nie für Ideologien interessiert. Meine Begeisterung für die Politik galt immer nur dem Handwerk. Als Kind interessierte mich, wer die Kugelschreiber, Sticker und Aufkleber machte, die ich im Kofferraum meines Vaters fand. Je mehr ich über diese Dinge herausfand, desto mehr faszinierte mich, womit sich Menschen begeistern ließen und womit nicht, oder wie Wahlkämpfe funktionierten und welche Dynamik ihnen innewohnte. Schuld daran war wohl eine Prägung durch meine Familie, die mütterlicherseits aus einem christlich-sozialen und väterlicherseits aus einem freiheitlichen Teil bestand. Die politischen Wurzeln beider Teile reichten weit in die Vergangenheit.

      Meine Mutter, eine geborene Kocher, bekam von ihren Eltern den Namen der österreichischen Kaiserin Maria-Theresia. Die Kochers waren eine von zwei großen Bauernfamilien in unserem Tal. Ihr erster politischer Funktionär war Friedrich Kocher, mein Ururgroßvater, der von 1919 bis 1920 für die Christlich-Sozialen Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung der Ersten Republik war. In diesem ersten, vom Volk frei gewählten Parlament in der Geschichte Österreichs, nach dem Ersten Weltkrieg, beschloss er die Bundesverfassung mit und stimmte bei der Ratifizierung des Friedensvertrags von St. Germain ab. Schon während der Anfänge des Nationalsozialismus waren die Kochers offen gegen Hitler, dessen Schergen den damaligen christlich-sozialen Bundeskanzler Österreichs, Engelbert Dollfuß, ermordeten. Der Name meiner Großmutter war ein Tribut an ihn: Engelberta. Einer unserer Familienlegenden zufolge verweigerte meine Ururgroßmutter Wehrmachtssoldaten einmal sogar Verpflegung. »Für den Hitler gib i nix«, soll sie gesagt haben.

      Auch die politische Tradition der väterlichen Linie in meiner Familie reichte weit zurück. Klement Wallner, mein Ururgroßvater väterlicherseits, war Mitglied im Landbund, einer deutsch-nationalen, antiklerikalen Bauernbewegung, die in Deutschland entstanden war und sich auch in Österreich verbreitet hatte. Wie viele zur damaligen Zeit war wohl auch er für den Anschluss Österreichs an Deutschland. Denn nur wenige glaubten damals an das Überleben dieses kleinen Rest-Österreichs, das von der einst so großen K&K-Monarchie übrig geblieben war.

      Mein Großvater väterlicherseits, Rudolf Petzner, war ein klassischer Mitläufer. Über seine Haltung im Dritten Reich sprachen wir nie viel. Es hieß von ihm nur, dass er im Zweiten Weltkrieg als Soldat in Deutschland stationiert gewesen sei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war er Anhänger und Mitglied des VDU, des Verbandes der Unabhängigen, einem nach dem Krieg neu entstandenen Sammelbecken national gesinnter Kräfte. Später wurde er Mitglied der Freiheitlichen Partei Österreichs, der FPÖ, die Ende der Fünfzigerjahre aus dem VDU hervorging.

      Mein

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