Haiders Schatten. Stefan Petzner

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Haiders Schatten - Stefan Petzner

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in unserem Dorf, das damals immer die ÖVP dominierte. Er wurde FPÖ-Ortsparteiobmann und kandidierte später auch für den steirischen Landtag.

      Mit meinen Eltern begegneten sich also zwei Kinder aus zwei Familien, die politisch völlig konträr waren. Noch dazu waren die Petzners neben den Kochers die zweite große Bauernfamilie in unserer Gegend, weshalb beide Familien besondere Beachtung und Aufmerksamkeit fanden. Die Liebe wollte es so, dass mit meinen Eltern ausgerechnet zwei Kinder aus diesen beiden großen Familien zueinander fanden und heirateten.

      Da es damals üblich war, um Erlaubnis zu bitten, wollte meine Mutter ihrer Urgroßmutter ihre Wahl möglichst schonend beibringen. »In Ordnung«, sagte die. »Der Hubert ist ein anständiger Bauer.« Dann hob sie einen Finger. »Aber dass er ein Freisinniger ist, das passt mir gar nicht.« Die Anhänger der Freiheitlichen Partei nannten sie bei uns damals noch »Freisinnige«.

      Trotz dieser gegensätzlichen Einstellungen befreundeten sich beide Familien eng miteinander. Die einzige Folge der politischen Trennlinie zwischen ihnen war eine besonders intensiv gelebte politische Diskussionskultur. Politik war bei uns immer Thema. Wir waren alle daran interessiert. Wie das bei einer großen Bauernfamilie mit fünf Kindern so ist, saßen im Haus Petzner immer alle am Küchentisch und debattierten. Wir lernten dabei die Materie spielerisch kennen, indem wir anfangs nur zuhörten und dann immer mehr mitredeten. Mein Vater gab uns nie eine Linie oder eine Ideologie vor. Er war eher darauf bedacht, uns zu mündigen und selbstbestimmten Bürgern zu erziehen.

      Nachrichtensendungen im Fernsehen waren bei uns Fixtermine, nach denen wir das Weltgeschehen besprachen. In unserem Tal war das Fernsehen das einzige richtige Fenster zur Welt. Sonst gab es nur Wald, Wiesen und Kühe, was idyllisch sein mochte, aber auch sehr abgeschieden. Wir waren als Bauernfamilie nie im Ausland auf Urlaub gewesen. Schon ein Ausflug zum Wörthersee war etwas Besonderes für uns, obwohl er kaum eine Stunde Autofahrt entfernt lag. Als ich mit knapp elf Jahren zum ersten Mal eine Rolltreppe sah, war das wie ein Weltwunder für mich. Über Politik zu diskutieren war für mich deshalb auch eine Form, am Rest der Welt teilzuhaben.

      Der Fall der Berliner Mauer etwa war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Dass der Kommunismus im Osten Deutschlands gescheitert war, verstand ich damals nicht wirklich, dennoch saß ich mit den anderen vor dem Fernseher und sah mit großen Augen all diese Menschen auf der Mauer stehen. Etwas Gewaltiges, Weltveränderndes passierte da, das begriff ich. Mein Vater, der neben mir saß, war aufgelöst und glückselig. »Passt auf und merkt euch das«, sagte er zu uns Kindern. »Schaut zu, denn in diesem Moment wird Weltgeschichte geschrieben.« Sein Versuch, uns die Hintergründe zu erklären, schlug fehl, doch eine Sache verstand ich: Politik verändert die Welt.

      Der Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu war auch so ein Ereignis. Die Fernsehbilder waren gespenstisch: Der Diktator, der mit geballter Faust vom Balkon seines Palastes spricht, die demonstrierenden Massen vor ihm zu beschwichtigen und mit neuen Versprechungen zu besänftigen versuchte. Das Volk, das das Gebäude stürmte und ihn zur Flucht im Hubschrauber vom Dach seines eigenen Palastes zwang. Drei Tage später seine Verhaftung, der Schauprozess und seine Hinrichtung durch ein Erschießungskommando, das ihn an eine Ziegelwand an einem geheim gehaltenen Ort irgendwo in Rumänien stellte. Diese Bilder verfolgten mich tagelang in meinen Träumen. Mit acht Jahren verstand ich, dass es in der Politik nicht nur geliebte und geehrte Menschen gab, sondern dass politisches Handeln auch düstere Konsequenzen haben konnte. Den Tod inklusive.

      Mein Vater hatte immer ein gespaltenes Verhältnis zu Haider. Zum einen freute er sich über die steigende Bedeutung, die seine Partei, für die er im Laßnitzer Gemeinderat saß, durch die von Haider erzielten Wahlerfolge auf einmal hatte. Vor Haider war die FPÖ eine Kleinstpartei mit gerade einmal vier, fünf oder höchstens acht Prozent gewesen, erst mit Haider an ihrer Spitze begann ihr Siegeszug. Wir saßen an jedem Wahlabend vor dem Fernseher, egal ob gerade Landtagswahl oder Nationalratswahl war, und fieberten dem Ergebnis entgegen. Dass Haider wieder einmal gewinnen würde, war damals schon vor der ersten Hochrechnung dem ganzen Land klar, die Frage lautete stets nur noch, wie hoch.

      Andererseits fühlte sich mein Vater immer dem liberalen Lager innerhalb der FPÖ zugetan, das sich von vielen Ideen des nationalen Lagers, dem die Burschenschaften angehörten, distanzierte. Auf einem Bundesparteitag der FPÖ stimmte er seinerzeit daher auch für den liberalen Norbert Steger als Parteiobmann und gegen den Kandidaten des nationalen Lagers. Jenem Norbert Steger, der später von Jörg Haider gestürzt werden sollte. Denn obwohl mein Vater als Bauer aus einer konservativen und ländlich-traditionell geprägten Region stammte, war er ein weltoffener und liberaler Mensch. Als solcher war er ein glühender Anhänger des vereinten Europa, des Euro als gemeinsame Währung und des Beitritts Österreichs zur EU. Haider hingegen schürte zuerst die Ängste der Menschen vor diesen Veränderungen, und benützte sie dann, um zu polarisieren.

      Die kalkulierten Skandale, die Haider regelmäßig lieferte, verabscheute mein Vater. Als Haider Österreich als »ideologische Missgeburt« bezeichnete und wochenlang Historiker und Politikwissenschaftler darüber diskutierten, war auch er aufgebracht. »Was ist ihm da wieder eingefallen?«, schimpfte er. »Das geht doch nicht. Das ist eine Beleidigung aller Österreicher. Ich kann das nicht unterstützen.«

      Auch als Haider das Thema Zuwanderung entdeckte und 1993 sein Ausländer-Volksbegehren startete, weigerte sich mein Vater, es zu unterstützen und zu unterschreiben. »Das ist menschenverachtend«, sagte er zu mir, und Hetze würde seiner politischen Haltung widersprechen. Zu den grundlegenden christlichen Werten, die ausgesprochen oder unausgesprochen meine gesamte Familie prägten, gehörte auch die Hilfe für Menschen, die Hilfe benötigten. Egal welcher Herkunft.

      Ich hingegen sah die Dinge emotionslos. Ich sah in Haider den geschicktesten politischen Taktiker im Land, der mit seinen Gegenspielern meist machte, was er wollte. Bei seinen polarisierenden Äußerungen interessierte mich vor allem, wie weit er gehen konnte. Ich entdeckte die schmale Grenze zwischen Applaus und Ekel bei solchen Äußerungen, und Haider als waghalsigen Grenzgänger zwischen den Fronten. Als Haider etwa im TV-Duell im Zuge der Nationalratswahl 1994 den damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Franz Vranitzky vor laufenden Kameras mit einem »Taferl« auf dem die Mehrfach-Einkommen eines SPÖ-Multifunktionärs angeführt waren, völlig aus der Fassung und aus dem Konzept brachte, war ich nicht nur fasziniert. Die dahinter steckende Machart solcher Aktionen und ihre Wirkungsweise beschäftigten mich intensiv.

      Doch die Kluft zwischen mir und meinem Traumberuf erwies sich, als ich in die Hauptschule in der Bezirkshauptstadt Murau wechselte, noch größer, als es in der Laßnitzer Volksschule den Anschein gehabt hatte. Dort sah es für mich weder nach einer Laufbahn in der Politik, noch in irgendeinem anderen Bereich, der eine höhere Bildungslaufbahn voraussetzte, aus. Denn ich kam mit dem Schulwechsel schwer zurecht. Für einen Bauernjungen wie mich war Murau eine große fremde Stadt mit vielen unbekannten Gesichtern. Alleine in meiner Klasse waren jetzt mehr Schüler als bisher in der ganzen Schule, und insgesamt gab es hier mehrere Hundert. Das machte mir Angst. Ich zog mich in mich selbst zurück und wurde ein extrem schüchterner Junge.

      Meine wenigen Freunde aus der Volksschule fanden rasch Anschluss und waren für mich schon bald keine Bezugspersonen mehr. Auch deshalb, weil ich im Unterricht weiterhin nur Mittelmaß war. Außer in Deutsch war ich in allen Fächern in der zweiten von drei Leistungsgruppen, während meine Kindheitsfreunde sich alle in der ersten Gruppe befanden. Dabei musste ich ständig fürchten, in die dritte Leistungsgruppe abzurutschen. Einmal sollte ich im Mathematik-Unterricht an der Tafel ein Beispiel vorrechnen. Ich hatte keine Ahnung und brach in Tränen aus. »Ich will nicht in die dritte Leistungsgruppe, ich will nicht in die dritte Leistungsgruppe«, schluchzte ich. In der dritten Leistungsgruppe wäre ich der einzige Schüler meiner Klasse gewesen, was auch daran lag, dass damals alle guten Schüler in die eine Klasse gesteckt wurden und die schlechten Schüler in die andere. Als Schüler des Mittelmaßes fiel ich diesem selektionsartigen Einteilungsprozess, der nur schwarz oder weiß kannte, zum Opfer. Für die schlechte Klasse war ich zu gut, und für die gute Klasse

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