Haiders Schatten. Stefan Petzner

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Haiders Schatten - Stefan Petzner

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Sport konnte ich auch nicht mithalten. Bei Völkerball oder Fußball wählten mich die anderen immer als wenn nicht Letzten, als Vorletzten unter großem Seufzen in die Mannschaft. Meiner ohnehin sensiblen Natur tat das gar nicht gut. Ich fühlte mich hilflos, ausgeliefert, allein gelassen und zog mich noch mehr zurück. Ich sprach während der ersten beiden Jahre in der Hauptschule mit fast niemandem meiner Mitschüler ein Wort.

      Ab der dritten Klasse verbesserten der Deutsch- und der Geografie-Unterricht mein Selbstbewusstsein zumindest ein wenig. Beide Fächer unterrichtete eine Lehrerin namens Juliane Höfinger, die uns politische Bildung vermitteln und uns für das nationale und internationale politische Geschehen interessieren wollte. Die Erfolge der anderen Schüler in diesem Bereich waren mäßig, aber ich war aufgrund der elterlichen Prägung über alle politischen Entwicklungen genau informiert und sammelte so bei Juliane Höfinger Punkte. »Stefan hat es als Einziger gewusst«, sagte sie, wenn sie mit Verweis auf die darin enthaltenen politischen Fragestellungen unsere Tests zurückgab.

      Es waren kleine Lichtblicke in meiner Isolation. Doch selbst bei diesen Gelegenheiten quälte mich das Stottern, das mir mittlerweile als Problem voll bewusst geworden war, und das mich alljährlich für einige Zeit heimsuchte, um dann ebenso leise und unauffällig wieder zu verschwinden, wie es gekommen war. Einmal war die Apartheid in Südafrika Thema. Nelson Mandela kam gerade frei, Frederik Willem de Klerk dankte ab und ein neues Zeitalter begann für das Land. »Wie hieß das abgelöste politische System in Südafrika?«, fragte Höfinger.

      Schweigen in der Klasse. Ich wusste es aus den Nachrichten, die bei uns daheim nach wie vor Fixtermine für alle waren. Doch ich zögerte, meine Hand zu heben. Ich wusste wie jeder Stotterer, dass jedes Wort, das mit einem Vokal beginnt, besonders schwierig ist. Sekunden verstrichen. Juliane Höfinger streifte mich mit einem halb fragenden Blick.

      Auf die Toleranz meiner Mitschüler in Sachen Stottern konnte ich in der Hauptschule nicht zählen. Besonders Klaus, der beliebteste Junge in unserer Klasse und Klassensprecher, war in dem Punkt gnadenlos. Er stellte mich regelmäßig bloß und hänselte mich dafür, was mein Problem nur noch schlimmer machte. Mir fiel auch keine Möglichkeit ein, das »A« in »Apartheid« durch eine andere Satzkonstruktion zu umgehen.

      Ich lasse mich davon nicht unterkriegen, ich kriege das weg und dann werde ich Generalsekretär der FPÖ unter Haider, dachte ich während Höfinger das Wort in den Raum schmetterte, das ich die ganze Zeit im Kopf gehabt hatte.

      Daheim sahen wir uns in dieser Zeit einmal eine Übertragung einer Nationalratssitzung an. Mein Vater saß in seinem Couchsessel und ich auf der Ofenbank direkt in seinem Rücken. »Weißt du, was ich mir wünsche?«, sagte er, mitten aus dem Nichts.

      Ich erwartete eine der üblichen Belehrungen, dass ich mich mehr anstrengen sollte, damit etwas aus mir wird. Doch er hatte anderes im Sinn. »Ich wünsche mir, dass einmal einer meiner Söhne im Nationalrat sitzt«, sagte er. Er hätte das selbst auch gerne geschafft, aber für ihn hätte es sich nie ergeben. »Das würde mich sehr stolz machen«, sagte er.

      Ich schwieg. Ich antwortete nur innerlich: Ja Papa, ich werde einmal dort sitzen. Das verspreche ich dir.

      Ich war in diesem Moment sicher, dass jeder Mensch eine Bestimmung im Leben hatte, und dass meine trotz meiner Schulleistungen die Politik war. Diese Gewissheit in mir war so groß, dass ich trotz meiner Isolation und den damit verbundenen Demütigungen alle Probleme und Hürden als Aufforderung sah, härter zu arbeiten, härter zu kämpfen und alles zu unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen.

      Ich fing an, dafür zu üben. Vor dem Badezimmerspiegel hielt ich Reden. Ich war vielleicht vor Menschen blockiert, aber das hinderte mich nicht daran, hier an meiner Mimik, Gestik und Rhetorik zu arbeiten. Ich stützte die Hände auf den Rand des Waschbeckens, das mir als Rednerpult diente, und legte los. Es waren keine konkreten politischen Themen, die ich da mit mir selbst besprach, ich übte eher die Stilmittel, Techniken und rhetorischen Kunstgriffe der Politiker. Ich studierte Gesten ein, Stehsätze und einzelne Bauteile. »Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir uns unserer Verantwortung im Bereich der Ausländer- und Sicherheitspolitik stellen. Hier geht es um den Schutz unserer Heimat Österreich!«

      Die Fragen der Fernseh-Moderatoren an Politiker merkte ich mir, um damit vor dem Spiegel zu üben. Selbst beim Spielen oder bei Hofarbeiten murmelte ich politischen Argumentationen vor mich hin. Am meisten Inspiration holte ich mir von der FPÖ. Sie zeigte damals im Vergleich zu den anderen Parteien einen anderen, neuen und aggressiven rhetorischen Stil. Ich sah die FPÖ-Politiker Peter Westenthaler und Walter Meischberger Journalisten und politische Gegner regelrecht niederreden. Sie brachten im Fernsehen die Fragesteller meist schon aus dem Konzept, ehe die überhaupt richtig angefangen hatten.

      In etwa dieser Zeit organsierte die FPÖ-Bezirkspartei von Murau eine Fahrt nach Wien mit einem Besuch des Parlaments. Mein Vater meldete sich und mich zu dieser Fahrt an. Wien war mir egal, nur das Innenleben dieses Gebäudes mit seinen wuchtigen Säulen und der steinernen Pallas Athene vor dem Eingang interessierten mich. Ehrfürchtig ging ich durch die langen Gänge und versuchte dabei mit allen Sinnen, die Eindrücke zu erfassen und einzuprägen, die sich mir boten. Ich sog die Luft auf, die nach dem alten Gemäuer dieses historischen Gebäudes roch und sah den verstreut vorbei eilenden Mitarbeitern und Abgeordneten, mit ihren Akten und Unterlagen unter dem Arm, hinterher. Als Höhepunkt lauschte ich an der Seite meines Vaters von der Besuchergalerie aus der gerade laufenden Nationalratssitzung im großen Plenarsaal. Ich sah das hölzerne Rednerpult mit den schwarzen Mikrofonknöpfen, um das sich wie in einer Arena die Sitzreihen der Abgeordneten auftürmten. Auf einem dieser Sessel werde ich sitzen, dachte ich. Von diesem Rednerpult aus werde ich sprechen. In diesem Haus werde ich arbeiten. Ich war überwältigt von dieser Flut an Eindrücken und fühlte mich dennoch zuhause und angekommen. Nur widerwillig räumte ich nach Aufforderung einer Saalordnerin meinen Platz auf der Galerie, um für die nächste Besuchergruppe Platz zu machen. Ich komme wieder, als einer von ihnen, sagte ich still in mich hinein, während mein Blick ein letztes Mal über die Reihen der Abgeordneten strich.

      Als in der vierten Klasse die Nationalratswahlen 1994 vor der Tür standen, ließ uns Juliane Höfinger die Runde der Spitzenkandidaten im Fernsehen nachstellen. Jeweils ein Schüler sollte eine der Parteien vertreten, und dann würde die Klasse mit Stimmzetteln wählen. Beim Völkerball und beim Fußball wurde ich noch immer als Letzter in die Mannschaften gerufen, aber wenn es um die FPÖ ging, war ich der Erste. Es stand in der Klasse außer Streit, wer die FPÖ in dieser Diskussion vertreten sollte, den von meinem politischen Interesse wussten längst alle. »Das macht der Stefan«, hieß es.

      In den nächsten Tagen bereitete ich mich intensiv darauf vor. Ich las Hintergrundinformationen und übte wuchtige Ansagen über die rot-schwarze »Freunderlwirtschaft« und die »Privilegienritter« ein. Bepackt mit Unterlagen ging ich in die Diskussion.

      Für die SPÖ trat Klaus an, der auch unser Klassensprecher war. Es war meine Chance, mich für die Jahre der Ausgrenzung zu revanchieren. Mir war klar, dass sich niemand so intensiv auf diese kleine Übung in der Klasse vorbereitet hatte wie ich, dass ich in politischem Wissen allen anderen überlegen war und dass es mir leicht fallen würde, meine Gegner rhetorisch zu besiegen. Nun konnte ich zeigen, was ich die Jahre zuvor heimlich zuhause vor dem Spiegel wieder und wieder geübt und geprobt hatte. Nur eines konnte mich noch stoppen: Das Stottern. Ich wusste aber auch, ich konnte diese Sprachbarriere überwinden, wenn ich nur wollte und die Angst davor überwand.

      Mit voller Konzentration legte ich los. Der erste Satz gelang mir perfekt, der zweite ebenfalls. Damit war der Damm gebrochen und die Worte und Sätze sprudelten nur so aus mir heraus. Klaus knickte ein, als ich Argument um Argument und Beispiel um Beispiel brachte. »Mit solchen Mitteln arbeitet ihr! Das ist ein Skandal!«, sagte ich einmal, während ich ein Plakat der Sozialistischen Jugend hochhielt. »Inländer sind faul und stinken«, stand darauf. Es war ein Versuch der Sozialistischen

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