Identität und Profil kirchlicher Einrichtungen im Licht europäischer Rechtsprechung. Группа авторов

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Identität und Profil kirchlicher Einrichtungen im Licht europäischer Rechtsprechung - Группа авторов Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

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für den EuGH ist die im Zitat hervorgehobene Stelle. Der EuGH legt diese Vorgabe in Egenberger eng anhand des Wortlauts aus und verlangt, dass sich die im Ethos der Organisation begründete Anforderung entweder aus der „Art“ der Tätigkeit oder aus den „Umständen“ ihrer Ausübung ergeben muss.48 Diese Auslegung führt dazu, dass – anders als es die Erwägungsgründe nahelegen und auch die Formulierung von Art. 4 Abs. 2 RL mit dem Verweis auf die „bestehenden einzelstaatlichen Gepflogenheiten“ andeutet – das bestehende einschlägige Religionsrecht der Mitgliedstaaten nicht vollumfänglich von den Wirkungen der Richtlinie ausgenommen wird, sondern die Qualifikation über die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als zusätzliches Erfordernis beachtet werden muss. Diese enge Auslegung anhand des Wortlauts ist sicherlich auch dann ohne Weiteres vertretbar, wenn der Europäische Gesetzgeber beim Erlass der Richtlinie eine umfassendere Ausnahme vor Augen gehabt haben sollte.49 In der praktischen Konsequenz bedeutet dies, dass die Notwendigkeit der Kirchenmitgliedschaft nicht mehr mit übergreifenden Konzepten wie dem der Dienstgemeinschaft begründet werden kann, sondern die Gerichte insoweit eine Überprüfung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls vornehmen müssen.50

      In Bezug auf die in UAbs. 2 von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie angesprochenen Loyalitätsobliegenheiten wird der in Egenberger entwickelte Ansatz übernommen. Maßgeblich hierfür sind eine systematische Interpretation beider Absätze und der Umstand, dass UAbs. 2 verlangt, dass die „Bestimmungen der Richtlinie im übrigen eingehalten sind“. In der Konsequenz bedeutet dies, dass auch die Loyalitätsanforderungen nur dann verlangt und durchgesetzt werden können, wenn dies nach der Art der konkreten Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausführung „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt.“51

      3.1.2 Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage

      3.1.1.1 In Bezug auf die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften

      Nach der Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts ist im Individualarbeitsrecht im Wege einer zweistufigen Prüfung vorzugehen.52 Auf der ersten Stufe ist das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften maßgeblich und nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich. Das Bundesverfassungsgericht formuliert den Maßstab wie folgt:

       „Ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt, müssen die staatlichen Gerichte auf einer ersten Prüfungsstufe einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der Kirche unterziehen. Dabei dürfen sie die Eigenart des kirchlichen Dienstes - das kirchliche Proprium - nicht außer Acht lassen.“53

      In Bezug auf die gerichtliche Überprüfbarkeit hält das Bundesverfassungsgericht für die erste Prüfungsstufe sehr deutlich fest, dass die staatlichen Gerichte sich „[ü]ber die entsprechenden Vorgaben der verfassten Kirche […] nicht hinwegsetzen [dürfen].“54 Auf der zweiten Prüfungsstufe erfolgt dann eine Abwägung mit etwaigen entgegenstehenden Rechtspositionen kirchlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Wege einer „offenen Gesamtabwägung“.55 Die entscheidende Frage ist, wie sich die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte zweistufige Prüfung und die vom EuGH geforderte einzelfallbezogene Betrachtung anhand der Art der (konkreten) Tätigkeit und den (konkreten) Umständen ihrer Ausübung zueinander verhalten.

      In der Literatur wird insoweit kritisiert, dass der EuGH sich über diese zweistufige Prüfung hinweggesetzt und die vom Bundesverfassungsgericht betonte Beschränkung auf eine Plausibilitätsprüfung auf der ersten Stufe verworfen habe.56 Weder der Generalanwalt noch der EuGH hätten die Systematik der Prüfung verstanden. Diese Kritik geht insofern fehl, als die verfassungsrechtliche Dogmatik nicht Gegenstand des Rechtsstreits war und der EuGH weder formal noch implizit über die deutsche Rechtslage entschieden hat. Wie immer in Vorabentscheidungsverfahren beschränkt sich der EuGH auch im vorliegenden Verfahren auf die Auslegung des Unionsrechts und die Formulierung von Vorgaben, die sich aus diesem ergeben.57

      Nun ließe sich dem gerade formulierten Einwand entgegnen, er argumentiere rein formal auf der Basis der prozessualen Situation. In der Sache bestehe aber nun einmal eine Rechtsprechungsdivergenz zwischen der bloßen Plausibilitätsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht und der vom EuGH geforderten Abwägung anhand der konkreten Umstände, die durch ein staatliches Gericht kontrolliert werden müsse.58 Diesem Hinweis auf die Unterschiede zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die erste Prüfungsstufe ist zuzustimmen. Die Unterschiede verlieren aber an Gewicht, wenn man die zweite Prüfungsstufe mit in den Blick nimmt. Hier sieht auch das Bundesverfassungsgericht eine Gesamtabwägung durch die staatlichen Gerichte vor. Die entscheidende Frage ist deshalb diejenige nach der Kontrolldichte auf der zweiten Stufe.59

      3.1.1.2 Zum Umgang mit § 9 Abs. 1 AGG

      § 9 Abs. 1 AGG enthält eine im Tatbestand weit formulierte Ausnahme, die eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften oder in ihnen zugeordneten Einrichtungen zulässt, wenn „eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“

      Mit dem allgemeinen Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht geht § 9 Abs. 1 AGG über den Wortlaut der Richtlinie und dessen gerade beschriebene Auslegung durch den EuGH hinaus. Das Bundesarbeitsgericht stand deshalb vor der Frage, wie es mit diesem Unterschied in der Reichweite umgehen soll. In Betracht kamen eine richtlinienkonforme (einschränkende) Auslegung oder – falls diese nicht möglich sein sollte – die Nichtanwendung der Vorschrift.60 Das BAG geht in seiner Entscheidung dieser Frage mit Teilen der Literatur davon aus, dass § 9 Abs. 1 AGG einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich sei und hält die Vorschrift folgerichtig wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts für nicht anwendbar.61 Das BAG begründet dieses Ergebnis mit dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die einer anderen Auslegung entgegenstünden.62 Angesichts des Umstands, dass in der deutschen Literatur durchaus schon vor der Entscheidung des EuGH im Fall Egenberger einer enge Auslegung von § 9 Abs. 1 AGG vertreten wurde, vermag diese strenge Orientierung an Wortlaut und Systematik allerdings nicht ganz zu überzeugen. Eine einschränkende Auslegung der Wirkungen von § 9 Abs. 1 AGG im Hinblick auf die Vorgaben der Richtlinie und des europäischen Antidiskriminierungsrechts wäre deshalb durchaus in Betracht gekommen.63

      3.2 Gerichtliche Überprüfbarkeit

      Die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit ist so eng mit dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften verknüpft, dass man von einer Dilemmasituation sprechen kann: Aus Gründen der Neutralität darf der Staat nicht darüber befinden, welche religiösen Anforderungen eine Religionsgemeinschaft an ihre Mitglieder stellt. Das wird besonders deutlich bei verhaltensbezogenen Anforderungen, wie etwa Bekleidungsvorschriften, Speiseregeln oder auch Vorgaben an eine gute Lebensführung im persönlichen Bereich, zu denen man die Beachtung einer bestehenden Ehe und auch ein Scheidungsverbot zählen kann. Über das Bestehen und den Umfang derartiger, oft unter dem Stichwort der „Loyalitätsobliegenheiten“ zusammengefasster Anforderungen kann nur die betreffende Religionsgemeinschaft selbst entscheiden. Dieser Hintergrund erklärt die auf Plausibilität beschränkte Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts auf der von ihm gesondert vorgenommenen ersten Prüfungsstufe.64

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