Hungern für die Liebe. Cassandra Light

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Hungern für die Liebe - Cassandra Light

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Ich habe heute meine Schulstullen nicht gegessen.

       Ich kann nur jetzt nicht so viel schreiben, muss noch lernen, Abendbrot usw.

       Zusätzlich als Plus: Natürlich wieder Zoff mit Mutti und Vati, davon bekomme ich ja jeden Tag genug. Du weißt ja …

       Sonntag, der 29.10.2000

       Eben habe ich Abendbrot gegessen – könnte schon wieder richtig sauer werden, aber lieber nicht, sonst fange ich noch an zu heulen.

      Noch heute bin ich ein Genie in Sachen Unterdrücken, und wenn in mir Wut hochkommt, neige ich dazu, sie wegdrücken zu wollen. Doch inzwischen weiß ich, woher sie kommt und dass ich mir jahrelang antrainiert habe, Gefühle wie eben Wut oder aber Traurigkeit nicht fließen zu lassen.

      Aus meiner Sicht sollte es Weinen nicht geben. Wozu auch?

      Wenn ich im Normalzustand – also dann, wenn alles funktionierte, wie es sollte – schon »zu viel« war. Dann ging ja Weinen überhaupt nicht.

      Darüber hinaus war niemand da, der mich verstand und mich in den Arm genommen hätte. Dementsprechend suchte ich nach einem anderen Weg für mich: Gefühle unterdrücken und einfach funktionieren. Keine Rücksicht auf mich selbst. Alles andere war fehl am Platze – so meine Erfahrung zu diesem Zeitpunkt.

       Morgen wollen Marleen und ich mit Oma bummeln gehen. Vorher muss ich aber noch mit Mutter zur Ärztin fahren. Ich muss Blut abnehmen lassen. Vielleicht wiegt mich ja die Ärztin wieder. Scheißegal!

       Ich lese jetzt ein bisschen und dann gehe ich schnell ins Bett. Gelernt habe ich schon.

      An diesem Abend lag ich im Bett und mein Herz schlug so langsam. Es fühlte sich an, als müsste es sich unglaublich anstrengen, um zu schlagen. Ich quälte mich und selbst das Liegen empfand ich als anstrengend.

      Ich konnte kaum noch richtig schlafen. Ich merkte, es würde bald zu Ende gehen und mein Herz würde für immer stehen bleiben. Ich dachte, dass ich von dem Moment an frei wäre. Ich hätte keine Qualen mehr auszustehen und es gäbe keinen Kampf mehr. Nicht den Kampf gegen mein Leben, und auch nicht jenen, den ich sowieso schon längst aufgegeben hatte: den Kampf um Liebe.

      Wenn mein Herz stehen bliebe, hätte endlich das Kämpfen ein Ende.

      Meine Tage waren geprägt von Leistungsdruck, von Stress, Streit und den Gedanken, die sich um das Ende meines Lebens drehten.

      Ein ständiger Kampf.

      Nur der Wille trieb mich voran.

      Mein Umfeld reagierte erst sehr spät auf meine Veränderungen. Aus heutiger Sicht viel zu spät. Ich frage mich manchmal: Hat es niemand gesehen, dass ich dünner und dünner wurde? Erst als ich dem Tod näher war als dem Leben, wurde mein Erscheinungsbild angesprochen. Das macht erschreckenderweise sehr deutlich, dass kaum jemand auf mich achtete und ich einfach »zu viel« war. Und wie vielen Menschen geht das so?

      Noch heute berührt mich diese »Blindheit«, weshalb mir so viel daran liegt, die Menschen wachzurütteln und ihnen mitzuteilen: Macht eure Augen auf und achtet euer Umfeld! Lebt nicht so dahin und funktioniert wie Roboter. Erweitert euer Bewusstsein, fangt an zu fühlen, zu sehen und füreinander da zu sein. Geht mit offenen Augen und aufmerksamem Bewusstsein durch euer Leben. Seid aufmerksam gegenüber allen Menschen, mit denen ihr in Kontakt steht, sei es in der Familie, im Freundeskreis oder bei neuen Begegnungen. Seid offen und wertschätzt euch doch bitte gegenseitig.

      Lehrte uns nicht Jesus, wie in der Bibel geschrieben steht: »Hebe deine Augen auf und sieh!«

      In meinem Fall war dieses Bewusstsein noch nicht da – weder bei mir selbst noch bei meinem Umfeld –, und so spitzte sich die Situation immer mehr zu.

      Einen Monat nach dem bisher letzten Eintrag, fünf Tage vor meinem vierzehnten Geburtstag, kam ich in ein Krankenhaus. Ich hatte laut der ärztlichen Meinung noch drei Tage zu leben, mein Herzschlag war wie der einer achtzigjährigen Dame, die kurz vor dem Einschlafen war, und die Ärzte wussten nicht, ob ich es schaffen würde.

       Donnerstag, der 30.11.2000

       Ich habe schon so lange nicht mehr eingeschrieben. Doch jetzt muss ich dir etwas schreiben.

       Ich bin hier gerade im Krankenhaus. Ich kann nicht mehr. Ich vermisse Mutti, Vati, meine Schwester und meinen Kater. Ich darf keine Besuche, keine Anrufe und keinen Briefkontakt haben. Nichts.

       Am Dienstag habe ich Geburtstag. Na toll!

       Ich sollte eigentlich erst am Freitag hierher. Doch Mutti meinte, es hat keinen Zweck mehr, noch zu warten …

       Nun bin ich schon heute hier.

       Ich will hier raus. Ich kann nicht mehr. Liebe Engel, helft mir doch! Ich vermisse sie so sehr.

       Der Arzt hat heute gesagt, es kann bis Februar dauern, bis ich hier raus bin. Er hat auch gesagt, dass ich einen Body Mass Index von 13 habe, und unter 17 ist es schon Magersucht und lebensbedrohlich. Er meinte, ich bin so dünn, dass ich jede Minute sterben könnte. Ich habe Angst und keiner ist hier, der mich tröstet. Ich vermisse sie alle so.

      Mir laufen die Tränen, denn das bin ich, die da so um Hilfe schrie. Das tut weh. Ich war gerade noch dreizehn Jahre alt, saß in diesem Krankenhaus und wusste nicht, was mit mir geschah. Drum herum dachten sie, ich würde bald sterben, und ich stand mit meiner Angst ganz allein da.

      Die Bestätigung: Wieder allein!

      Ich bin froh, dass ich diese Zeit überstanden habe. Aber sie hat mich geprägt – und auch die Beziehung zu meinen Eltern. Denn mit dreizehn getrennt von allem zu sein, das konnte ich bis jetzt nicht vergessen. Ich verzeihe, aber es sitzt so tief, dass mir das Vergessen nicht gelingt.

      Noch heute ist es bei mir so, dass Vertrauen mit Angst einhergeht. Angst davor, wieder allein gelassen zu werden. Dabei ist es vorbei und ich weiß: Diese Angst ist nicht mehr real. Wissen ist aber nicht Fühlen, und so lerne ich nur langsam, Stück für Stück, neu zu vertrauen. Noch heute.

      Die größte Hilfe war damals meine Oma. Denn nachdem ich über Jahre in Behandlung und in verschiedenen Krankenhäusern gewesen war, zog ich zu ihr. Wir hatten eine wundervolle Zeit zusammen. Bei ihr durfte ich bedingungslose Liebe kennenlernen. Sie liebte mich unendlich und zeigte mir, dass ich vertrauen durfte und konnte. Dass ich wütend sein durfte und weinen konnte, dass ich in den Arm genommen wurde und ich nicht allein war. Dass ich gut bin, so wie ich bin. Dass ich immer geliebt werde – egal wie die äußeren Umstände sind.

       Höre auf dein Herz! Unser innerster Kern zählt – nur der.

       Alles andere ist vergänglich und nebensächlich.

       Die Seele bleibt.

       Die Zeit in der Klinik

      Ich schrieb weiter:

       Heute Morgen, als Mutti und Vati mich hergebracht haben, war kein Arzt hier. Wir sollten

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