Hungern für die Liebe. Cassandra Light
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Dort waren total süße Figuren, und zwar kleine Schweinchen, die habe ich ihr gezeigt.
Später, als sie weg waren und ich alleine im Krankenhaus, hat mir die Schwester ein Schweinchen von Mutti gegeben. Das hat sie heimlich gekauft.
Ich will hier raus! Ich habe Angst und so weiter.
Morgen früh werde ich gewogen und dann wird ein Programm angefangen: 6 Mahlzeiten am Tag (2500 kcal). Ich muss jeden Tag 100 Gramm zunehmen.
Ich hoffe, das schaffe ich. Ich will hier raus.
Das Programm hieß »Grazer Modell«. Entsprechend dem Modell wurden am Aufnahmetag das Ist-Gewicht sowie der BMI (Body Mass Index) ermittelt. Des Weiteren wurde das Zielgewicht, das es zu erreichen galt, damit ich entlassen werden konnte, festgelegt. Darüber hinaus wurde ich täglich vor dem Frühstück – nach Blasenentleerung, worauf geachtet wurde – gewogen. In einem Diagramm wurde das tägliche Gewicht als Kurve festgehalten. Diese musste kontinuierlich steigen – bis zum Idealgewicht. Ich musste täglich 100 Gramm zunehmen. Wenn ich dies nicht schaffte, bekam ich Bettruhe verordnet. Das bedeutete, den ganzen Tag nicht bewegen. Nur im Bett liegen und in das alte, kalte Krankenzimmer schauen.
Hatte ich abgenommen oder bewegte sich mein Gewicht nicht entsprechend der geplanten Kurve, war vorgesehen, mich über eine Sonde künstlich zu ernähren.
Die Mahlzeiten durfte ich nicht zusammen mit anderen einnehmen, nein ich musste sie allein zu mir nehmen – im Bett. Das Essen wurde mir gebracht und ich hatte eine halbe Stunde Zeit, alles aufzuessen. Tat ich das nicht oder schaffte ich es nicht in der vorgegebenen Zeit, wurde das Essen wieder mitgenommen.
Harte Regeln für ein Kind. Meine Gefühle spielten da überhaupt keine Rolle. Es ging nur um Zahlen, um mein Gewicht und um die Pläne der Krankenhausleitung sowie meiner Eltern.
Mein Gewicht, was ich haben muss, sodass ich hier raus darf, wird morgen auch festgelegt. Es liegt zwischen 44 und 46 kg. Jetzt wiege ich aber nur maximal 35 kg. Noch nicht mal ganz.
Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Ich möchte doch so gerne Weihnachten nach Hause und nicht wieder hierher. Es soll alles wieder gut werden.
BITTE! Ich muss es schaffen. Das Schweinchen, die Engel und der liebe Gott müssen mir helfen. Ich will nach Hause. BITTE. Ich schreibe dir morgen.
Wie klein und liebesbedürftig ich war, sehr sensibel – verloren in der großen Welt.
Das geplante Entlassungsgewicht wurde mit den Eltern und den Therapeuten festgelegt. Ich konnte mir alles anhören und daneben sitzen – Einfluss auf das Gewicht, das als »Limit« festgelegt wurde, hatte ich jedoch nicht.
Freitag, der 01.12.2000
Hallo liebes Tagebuch!
Heute ist der 1. Dezember und Sonntag schon der 1. Advent.
Vorheriges Jahr um diese Zeit haben wir die Sonntage immer gemeinsam genossen. Zusammen alles schön geschmückt und dann in der Wohnstube im Kerzenschein gesessen. Wir alle vier.
Ich vermisse sie so. Ich will unbedingt nach Hause.
Heute Morgen hat Marleen bestimmt ihr Kalendertürchen aufgemacht.
Ich würde gerne sehen, was für einen Adventskalender sie hat. Ich hätte mir auch einen gewünscht – zu Hause. Wir haben heute hier auf Station einen Adventskalender bekommen.
Diese Zeilen verdeutlichen mein Heimweh, meine Traurigkeit, die kindliche Hilflosigkeit und die Verzweiflung, der ich ausgesetzt war. Das dreizehnjährige Mädchen, das ich zu diesem Zeitpunkt war, schien vielleicht auf den ersten Blick »erwachsen«, war aber im Herzen klein, kindlich, liebes- und hilfebedürftig. Und ist es denn nicht bei Erwachsenen, beispielsweise bei einem Vierzigjährigen, auch so? Im Inneren sind wir doch alle klein, verletzlich und sehnen uns danach, dass sich unsere Bedürfnisse erfüllen. Wie auch immer das aussehen mag, wenn man an die Lebenspartner, an Freunde oder das sonstige Umfeld denkt.
Zu diesem Zeitpunkt war ich jedoch in der Klinik, und die in mir wachsenden Bedürfnisse konnten nicht berücksichtigt werden. Die erste und wichtigste Priorität war meine Gewichtszunahme. Wie ich mich dabei fühlte, war unwichtig. Ich musste damit fertigwerden und allein einen Weg finden, das alles durchzustehen. Mir blieb also nichts anderes übrig, als schnell erwachsen zu werden. Gefühle und Bedürfnisse blieben dabei auf der Strecke und ich lernte sie zu verdrängen.
Heute haben wir mit dem Grazer Modell angefangen.
Ich wurde vor dem Frühstück gewogen (34,2 kg).
Das heißt, morgen früh muss ich 34,3 kg wiegen, sonst bekomme ich Bettruhe.
Liebes Tagebuch, ich klebe morgen das Grazer Modell auf einem Zettel hier rein, dann sieht man, wie hart die hier sind.
Ich musste heute Morgen ein Brötchen essen, was mir schon fertig auf den Tisch gestellt wurde. Ich sitze ganz alleine an einem kleinen Tisch. Die Marmelade, die ich auf dem Brötchen hatte, war so dick geschmiert … Oh Gott.
Ich habe das Brötchen nicht geschafft. Sie haben es mir weggenommen. Ich habe nur eine halbe Stunde Zeit zum Essen.
Na ja, dann so um 9.30 Uhr gab es Zwischenstück – einen Joghurt. Den habe ich geschafft, oder besser gesagt, den musste ich schaffen.
Um 11.30 Uhr gab es Mittag. Igitt, Pilzpfanne! Mit Fleisch und Pilzen in Soße und Reis, danach Kirschen. Das hat alles richtig künstlich geschmeckt.
Das habe ich natürlich auch nicht ganz geschafft. Die Kirschen habe ich aber noch essen können. Die sollte ich auch wenigstens noch essen. Anschließend haben sie mir mein Mittag dann auch noch weggenommen.
Um 14.30 Uhr gab es Kaffee. Ich dachte, ich gucke nicht richtig. Es gab eine Rolle mit Kirschen und Pudding. Natürlich mit viel Pudding – das war klar. Ich esse doch keinen Pudding.
Jetzt, wo ich diese Zeilen aus meinem Tagebuch abschreibe und mir das alles noch einmal in Erinnerung rufe, wird die Verzweiflung zum damaligen Zeitpunkt ganz deutlich.
Man könnte durchaus denken, dass die Lebensmittel, die es dort zu essen gab – und die ich nicht wollte! –, aufgrund der Essstörung von mir abgelehnt wurden. Dem ist jedoch nicht so.
Schon zu Zeiten, in denen ich in den Kindergarten ging, konnte ich einige Lebensmittel nicht essen, da sie mir sonst »postwendend« wieder hochgekommen wären. Dazu zählte und zählen noch heute Pudding und Produkte mit viel Milch wie beispielsweise Milchnudeln, Grießbrei oder auch Sauce Carbonara. Bei diesen Lebensmitteln sträuben sich mir die Haare. Heute sehe ich Nahrungsmittel als Heilmittel, je nach Qualität der Nahrung und der individuellen Konstitution eines jeden.
Aus diesem Thema – Lebensmittel, die einem gut bekommen, die man mag oder die einem nicht schmecken – kristallisiert sich für mich eine wichtige Sichtweise heraus. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es für viele Angehörige, Ärzte, Psychologen