Alles anders, aber viel besser. Dagmar Glüxam
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Die diversen Botschaften, die mein Körper mir schon früh sendete – etwa eine monatelang leicht erhöhte Körpertemperatur in meinem zwanzigsten Lebensjahr, deren Ursache nie festgestellt werden konnte –, hielt ich für harmlos. Ansonsten hatte ich aber schon immer sehr viel für gesundes Leben übrig. Auf dem Land aufgewachsen, war ich gewohnt, qualitativ hochwertige Nahrung zu mir zu nehmen. Auch aß ich massenhaft Obst und Gemüse und versuchte, mich regelmäßig zu bewegen. In meiner Jugend mochte ich Sport und Bewegung auch dann, wenn ich nicht platonisch verliebt war. Je mehr ich mich aber dem Violinstudium, später den Musikwissenschaften sowie dem Beruf und meiner Familie widmete, desto weniger Zeit nahm ich mir für einen körperlichen Ausgleich. Einige Jahre konnte ich noch aus meinen Reserven schöpfen oder besser gesagt zehren, aber spätestens mit der Geburt meines Sohnes im Jahr 1987 geriet mein Körper aus dem Gleichgewicht.
Der Schritt durch den Eisernen Vorhang
Während eines Musikseminars, zu dem ich als Studentin der Universität Brünn nach Wien eingeladen worden war, lernte ich meinen ersten Mann kennen, einen Musiker. Da ich offensichtlich dazu neigte, Hindernisse und Schwierigkeiten anzuziehen, war das Liebe auf den ersten Blick, die wir beide trotz des Eisernen Vorhangs, des Kalten Krieges und des Kommunismus unbedingt leben wollten. Nach einer ungeheuren Odyssee durch die tschechoslowakischen Behörden (mir war noch nie etwas zu anstrengend) gelang es uns zu heiraten. Zwei Wochen nach meiner Übersiedlung nach Wien, auch diesmal nach einem zermürbenden Kampf mit den (diesmal österreichischen) Behörden, kam mein Sohn auf die Welt. Wir freuten uns riesig, es kamen jedoch schwere Prüfungen auf uns zu, denen wir beide nicht gewachsen waren.
Nach nur wenigen Wochen erkrankte unser Sohn am sogenannten Pylorospasmus (Magenpförtnerkrampf), wobei seine Erkrankung ungewöhnlich dramatisch verlief. Aufgrund ärztlicher Versäumnisse musste mein vier Wochen alter Sohn innerhalb von vier Tagen zwei Operationen durchstehen. Vor der zweiten Operation befand er sich in einem sehr kritischen Zustand. Diese Zeit musste ich allein in einem fremden Land durchstehen, denn mein Mann – damals noch sehr jung und noch nicht reif, für seine junge Familie die Verantwortung zu übernehmen – probte gerade in Eisenstadt und rief mich in diesen drei kritischen Tagen kein einziges Mal an. Mein Vertrauen zu ihm erlitt einen Riss, der nie mehr wirklich heilte. Die Situation mit meinem Sohn entwickelte sich inzwischen so dramatisch, dass ich kaum mehr Hoffnung hatte. Den außerordentlichen Ernst der Lage erkannte ich daran, dass sich vor seinem Bettchen zweimal stündlich die gesamte Ärzteschaft inklusive Krankenhausdirektor versammelte. Erst Jahre später verriet mir mein damaliger Mann, dass ihm von der Krankenhausleitung im Fall des Todes unseres Sohnes eine finanzielle Entschädigung angeboten worden war, offenbar um zu verhindern, dass offenkundige ärztliche Fehler an die Öffentlichkeit gelangten.
Aber die enorme Lebenskraft unseres Sohnes siegte; allerdings war das Kind schwer traumatisiert. Mein kleiner Lucas brüllte Tag und Nacht und er schlief monatelang nie länger als zwanzig Minuten am Stück. Mein damaliger Mann spielte nach wie vor als Geiger in Eisenstadt, er war also die meiste Zeit nicht zu Hause, und ich musste mit meinem Sohn allein zurechtkommen. Ich war froh, auch nur irgendwie vegetieren zu können. Daran jedoch, auch etwas für mich zu machen, meine Kräfte nach Schwangerschaft und Geburt sowie nach der entsetzlichen Krankenhausperiode wieder aufzubauen und mir von jemandem helfen zu lassen, daran dachte ich nicht. Ganz im Gegenteil, mit meinem »angeborenen«, und – wie ich heute sagen würde, krankhaften – Perfektionismus ausgestattet, betrachtete ich es als Versagen, mich nicht als GUTE MUTTER allein (weil der Mann ja arbeitet!) um mein Kind zu kümmern. Es kam mir nicht einmal in den Sinn, jemanden – nicht einmal meinen damaligen Mann – um Hilfe zu bitten, um mich einmal ausschlafen zu können.
Erst im Alter von drei Jahren schaffte es mein Sohn durchzuschlafen. Zuerst eine Nacht in der Woche, dann zwei, irgendwann war der Spuk vorbei. Meine Gesundheit hatte jedoch schwer gelitten, genauso meine Ehe, was wiederum dazu führte, dass mein Sohn sich zu einem anstrengenden und hyperaktiven Kind entwickelte. Mein Körper begann sich zu melden und ich wurde in regelmäßigen Abständen ohnmächtig. Der Zusammenbruch, der meinen ganzen Körper lahmlegte, dauerte einige Minuten, dann konnte ich wieder zur Tagesordnung übergehen. Ich besuchte meinen Hausarzt, der sämtliche notwendigen Untersuchungen durchführte und feststellte, dass ich kerngesund war. Damals wusste ich es noch nicht; heute bin ich davon überzeugt, dass es sich bereits zu jener Zeit um ernst zu nehmende Symptome handelte, die nach einer Umstellung der Lebensweise förmlich schrien. Ich wusste noch nichts vom anderen Zugang der Traditionellen Chinesischen Medizin; ich verließ mich auf meinen damaligen netten Hausarzt und machte weiter wie bisher.
Meinen Mann verließ ich nicht, obwohl ich längst wusste, dass unsere Ehe unwiderruflich kaputt war. Ich hetzte von einer Tätigkeit zur anderen, weil unsere viel zu große und teure Wohnung mit riesigem Kristallluster und Stuckdecken, die eigentlich niemand wollte, irgendwie finanziert werden musste. So investierte ich meine ganze Energie in Projekte, die wenig bis keinen Erfolg versprachen. Und vor allem: Ich tat NICHTS für mich. Keine Zeit, keine Energie. Kein Geld. (Seit wann braucht man Geld, um auf einer Parkbank zu sitzen und sich zu entspannen? Seit wann braucht man Geld, um laufen zu gehen oder in der Früh Übungen zu machen?) Der Teufelskreis schloss sich und ich war mittendrin.
Es gab aber noch etwas Gravierendes, das mein Leben in seinen Grundfesten erschütterte. Als ich nach Österreich kam, wurde ich – so hatte ich es zumindest empfunden – meines schwer erarbeiteten Berufsstatus und der gewohnten Exklusivität »beraubt«. Anders als damals in der Tschechoslowakei, wo Geisteswissenschaftler hoch angesehen waren und sozusagen zur geistigen Elite des Landes zählten, wurde ich in meinem neuen Leben in Österreich – auch durch die Eltern meines damaligen Mannes – mit der Überzeugung konfrontiert, dass es sich bei den Geisteswissenschaften um nutzlose, weil brotlose Berufe handle, die eigentlich niemand brauche. Da ich neu im Land war, glaubte ich das auch. Es war tatsächlich außerordentlich schwierig, sich in Wien zu etablieren. Erst nach drei Jahren konnte ich die erste, allerdings nur befristete Anstellung ergattern. Ein weiterer schwerer Rückschlag ergab sich dadurch, dass meine tschechische Dissertation aufgrund der damaligen Gesetze in Österreich nicht anerkannt wurde und ich eine neue verfassen musste.
Hier eine kurze Zusammenfassung der Folgen, welche die Übersiedlung nach Österreich mit sich brachte: Von einer erfolgreichen Studentin und einem hoffnungsvollen wissenschaftlichen Nachwuchstalent mutierte ich zu einer Mutter mit krankem Kind, zur Ehefrau, deren Ehe ein reines Desaster war, zur Musikhistorikerin, deren bisheriger akademischer Werdegang komplett in Frage gestellt und zurück auf null gestellt wurde. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass es mir gelingen würde, eine neue, harmonische Familie zu gründen und auch beruflich Fuß zu fassen. Am schlimmsten war für mich damals die schockierende Tatsache, dass die ganze Familie, vor allem aber meine Mutter und meine Schwiegermutter von mir erwarteten, dass ich meinen beruflichen Ehrgeiz über Bord werfen und mich nur mehr meinem Sohn und dem Haushalt widmen würde. Vor allem von meiner Mutter fühlte ich mich verraten. Wozu die lange Ausbildung, wozu das ganze Studium? Erschwerend war, dass ich mich doch ohne meinen akademischen Status als ein NICHTS betrachtete.
Ich entschied mich – was denn sonst – beides zu betreiben, und zwar so, dass mir niemand hätte vorwerfen können, mich zu wenig um mein Kind zu kümmern. Überall perfekt zu sein, überall herausragende »Leistungen« zu bringen, darin war ich mehr als gut geübt. Je schwieriger, desto besser. Ohne es zu merken, hatte ich mir unbewusst die »besten« Bedingungen für meinen Leistungswahn geschaffen. Ich wollte in einem fremden Land, in dem ich keine Familie und keine Freunde hatte und dessen Sprache ich noch nicht ausreichend beherrschte, Fuß in einem geisteswissenschaftlichen Beruf fassen, in dem es bereits für gebürtige Österreicher, von Frauen ganz zu schweigen, schwer genug war meinem Sohn ein schönes Zuhause und ein harmonisches Familienleben bieten, und zwar mit einem Mann, zu dem ich kein Vertrauen hatte und mit dem ich todunglücklich war. Geld verdienen musste und wollte ich freilich