Reise um den Mond. Jules Verne

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Reise um den Mond - Jules Verne

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und die zerbrechlichen Verschlage abgeschwächt? War man der unermesslichen Kraft jener Anfangsgeschwindigkeit von 11.000 Metern, welche in einer Sekunde durch ganz Paris oder New-York fahren konnte, Meister geworden? Diese Fragen drängten sich offenbar den tausend Zeugen jener aufregenden Szene auf. Über dem Gedanken an die Reisenden vergaß man den Zweck der Unternehmung! Und wenn einer von ihnen – J. T. Maston z.B. – hätte einen Blick in das Projektil werfen können, was würde er gesehen haben? Zu jenem Zeitpunkt nichts, denn es war darin völlig dunkel. Aber seine konischzulaufenden Wände hatten hervorragenden Widerstand geleistet. Kein Riss, keine Biegung, keine Verstellung. Das erstaunliche Projektil hatte unter der ungeheuren Hitze der Pulververbrennung nicht gelitten, war nicht, wie man hätte befürchten können, zu einem Aluminiumregen zerschmolzen.

      Im Innern herrschte im Ganzen genommen wenig Unordnung. Einige Gegenstände waren an die Decke geschleudert worden; aber die wichtigsten schienen durch den Stoß nicht in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Die Befestigungsriemen waren unbeschädigt. Auf der beweglichen Scheibe, die nach der Zertrümmerung der Scheidewände und dem Entweichen des Wassers bis zum Boden herabgesunken war, lagen drei Körper regungslos. Lebten Barbicane, Nicholl und Michel Ardan noch? War das Projektil mehr als ein metallener Sarg, der drei Leichen in den Weltraum trug?

      Einige Minuten nach dem Abschuss fing sich einer der Körper zu regen an. Seine Arme bewegten sich, sein Kopf richtete sich auf, und es gelang ihm, auf die Knie zu kommen. Es war Michel Ardan. Er betastete sich, stieß ein lautes »He!« aus und sprach dann: »Michel Ardan ist unversehrt. Sehen wir, was die andern machen!«

      Der mutige Franzose wollte aufstehen; aber er konnte sich nicht auf den Beinen halten. Sein Kopf wankte, das stark nach oben gestiegene Blut machte ihn blind, er war wie betrunken.

      »Brr!«, machte er. »Das hat auf mich gewirkt, wie zwei Flaschen Cortona, nur dass dieser wohl angenehmer zu trinken ist!«

      Darauf strich er mehrmals mit der Hand über seine Stirn, rieb sich die Schläfen und rief mit fester Stimme:

      »Nicholl! Barbicane!«

      Er wartete ängstlich. Keine Antwort. Nicht ein Atemzug, welcher kundgab, dass seinen Kameraden das Herz noch schlug. Er rief abermals. Dieselbe Stille.

      »Teufel! Sie verhalten sich, als seien sie von einem fünften Stock herab auf den Kopf gefallen! Bah!«, fuhr er mit der unverwüstlichen Zuversicht, die sich durch nichts stören ließ, fort. »Wenn sich ein Franzose auf die Knie zu richten vermag, so sollten auch zwei Amerikaner nicht davor zurückschrecken, wieder auf die Beine zu kommen. Aber beleuchten wir die Sache erst einmal.«

      Ardan fühlte, wie er langsam wieder lebendig wurde. Sein Blut wurde ruhiger und floss wieder in gewohntem Kreislauf. Wiederholte Anstrengungen brachten ihn ins Gleichgewicht. Es gelang ihm aufzustehen. Er zog ein Streichholz aus der Tasche, rieb den Phosphor, bis er sich entzündete, näherte sich dem Gashahn und machte Licht. Der Behälter hatte nicht gelitten, kein Gas war entwichen. Darauf hätte schon der Geruch hingewiesen. Dann hätte Michel Ardan es nicht wagen dürfen, in dem mit Gas angefüllten Raum eine Flamme zu entzünden. Denn es hätte zu einer Explosion führen können, welche vielleicht das Werk vollendet hätte, was der Abschuss bereits ausgelöst hatte. Sobald die Gasflamme leuchtete, bog sich Ardan über die Körper seiner Gefährten, die wie leblose Massen übereinander lagen. Nicholl oben, Barbicane unten. Ardan hob den Kapitän auf, stützte ihn gegen einen Diwan und rieb ihn kräftig. Dieses mit Verstand ausgeführte Kneten brachte Nicholl wieder zum Bewusstsein; er schlug die Augen auf, besann sich sogleich und erfasste Ardans Hand. Dann fragte er umherblickend:

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      »Und Barbicane?«

      »Der kommt auch noch an die Reihe«, erwiderte Michel Ardan. »Mit dir fing ich an, weil du oben lagst. Jetzt helfen wir Barbicane.«

      Hierauf hoben Ardan und Nicholl den Präsidenten des Gun-Clubs auf und legten ihn auf den Diwan. Barbicane schien mehr als seine Genossen gelitten zu haben. Er hatte geblutet. Aber Nicholl beruhigte sich sofort, als er sich davon überzeugt hatte, dass dieser Blutverlust nur von einer leichten Verwundung an der Schulter herrührte. Bloß eine Schramme, die er sorgfältig verband. Dennoch dauerte es geraume Zeit, bis Barbicane wieder zu sich kam, worüber seine beiden Freunde, die ihn unablässig rieben, in Schrecken gerieten.

      »Er atmet noch«, sagte Nicholl, das lauschende Ohr an der Brust des Verwundeten.

      »Ja«, versetzte Ardan. »Er atmet, wie ein Mensch, der diese Tätigkeit täglich zu üben gewohnt war. Reiben, kneten wir, Nicholl, kräftig!«

      Und die beiden improvisierten Ärzte machten es so gut, dass Barbicane wieder zum Herrn seiner Sinne wurde. Er schlug die Augen auf, richtete sich empor, ergriff die Hand seiner Freunde, und seine ersten Worte lauteten:

      »Nicholl, sind wir in Bewegung?«

      Nicholl und Barbicane sahen einander an. Um das Projektil hatten sie sich noch nicht gekümmert. Ihre erste Sorge galt den Reisenden, nicht dem Gefährt.

      »Wirklich, sind wir in Bewegung?«, wiederholte Michel Ardan.

      »Oder befinden wir uns ruhig auf dem Boden Floridas?«, fragte Nicholl.

      »Oder auf dem Grund des Golfs von Mexiko?«, fügte Michel Ardan bei.

      »Das wäre es noch!«, rief Präsident Barbicane.

      Und diese doppelte Vermutung, welche seine Mitstreiter aufstellten, bewirkte unmittelbar, ihn wieder zu völligem Bewusstsein zu bringen.

      Wie dem auch sein mochte, man konnte über die Lage, in der sich das Geschoss befand, noch keine bestimmten Aussagen treffen. Die scheinbare Unbeweglichkeit und die Unmöglichkeit, mit der Außenwelt in Verbindung zu treten, gestatteten es nicht, diese Frage zu beantworten. Vielleicht befand sich das Projektil auf seiner Fahrt durch den Raum? Vielleicht war es auch nach kurzem Höhenflug wieder zurück auf die Erde gefallen, oder auch in den mexikanischen Golf, was bei der geringen Größe Floridas leicht möglich sein konnte. Der Fall war ernst, das Problem brisant. Es musste baldmöglichst gelöst werden. Barbicane, dem bei seiner Aufregung die moralische Kraft half, seine physische Schwäche zu überwinden, stand auf und horchte. Außen tiefe Stille. Aber die dichte Polsterung musste auch jedes Geräusch, was von der Erde hätte kommen können, verschlucken. Doch etwas fiel Barbicane auf. Die Temperatur innerhalb des Projektils war außerordentlich hoch. Der Präsident zog ein Thermometer aus seiner Hülle und besah das Instrument; es zeigte 45 Grad an.

      »Ja!«, rief er aus. »Ja! Wir sind in Bewegung! Die erdrückende Hitze, die durch die Wände des Projektils eindringt, entsteht durch die Reibung an den Schichten der Atmosphäre. Sie wird bald abnehmen, weil wir schon in den luftleeren Raum übergehen, und nachdem wir fast erstickt wären, werden wir starke Kälte zu empfinden haben.«

      »Wie?«, fragte Michel Ardan. »Deiner Ansicht nach, befinden wir uns schon an der Grenze der Erdatmosphäre zum Weltraum?«

      »Ohne Zweifel, Michel. Pass auf. Es ist jetzt zehn Uhr fünfundfünfzig. Wir sind seit etwa acht Minuten unterwegs. Wäre unsere Anfangsgeschwindigkeit nicht durch die Reibung vermindert worden, so wären wir schon binnen sechs Sekunden über die sechzehn Lieues, in der sich die Atmosphäre um den Erdball herum schließt, hinausgekommen.«

      »Ganz richtig«, erwiderte Nicholl. »Aber wie hoch schätzen Sie die Verminderung der Geschwindigkeit durch die Reibung?«

      »Auf etwa ein Drittel«, erwiderte Barbicane. »Das ist beträchtlich, aber meiner Rechnung

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