Reise um den Mond. Jules Verne

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Reise um den Mond - Jules Verne страница 6

Reise um den Mond - Jules Verne

Скачать книгу

lange an, kaum einige Sekunden. Der Asteroid flog einige hundert Meter am Projektil vorbei und verschwand, nicht aufgrund seiner Schnelligkeit, sondern weil sich seine dem Mond zugekehrte Seite plötzlich in der absoluten Dunkelheit des Raumes verlor.

      »Glückliche Reise!«, rief Michel Ardan, indem er wieder frei aufatmete. »Wie? Ist der unendliche Raum nicht groß genug, dass sich eine armselige kleine Kugel nicht ohne Besorgnis darin aufhalten könnte! Ei! Was hat es mit der großen Kugel, die uns beinahe getroffen hätte, für eine Bewandtnis?«

      »Ich weiß es!«, sagte Barbicane.

      »Potz tausend! Du weißt ja alles.«

Image - img_02000007.jpg

      »Es ist«, sagte Barbicane, »bloß ein Bolide, aber von enormer Größe, den die Anziehungskraft der Erde wie einen Trabanten gefesselt hat.«

      »Ist das möglich?«, fragte Michel Ardan. »Hat die Erde also zwei Monde, wie der Neptun?«

      »Ja, mein Freund, zwei Monde, obschon man im Allgemeinen glaubt, sie habe nur einen. Aber dieser zweite Mond ist so klein und seine Geschwindigkeit so groß, dass ihn die Erdbewohner nicht bemerken können. Der französische Astronom namens Petit hat durch die Beobachtung gewisser Bahnstörungen die Existenz dieses zweiten Trabanten zu bestimmen und seine Elemente zu berechnen verstanden. Nach seinen Beobachtungen würde dieser Bolide seinen Umlauf um die Erde in nur drei Stunden und zwanzig Minuten vollenden, was eine erstaunliche Geschwindigkeit voraussetzt.«

      »Erkennen alle Astronomen«, fragte Nicholl, »die Existenz dieses Trabanten an?«

      »Nein«, erwiderte Barbicane; »aber wenn sie ihm, wie wir, begegnet wären, könnten sie nicht mehr an seiner Existenz zweifeln. Ich denke, dass uns dieser Bolide, der uns bei einem Zusammenstoß in arge Bedrängnis gebracht hätte, in der Tat die Möglichkeit gibt, genau zu bestimmen, wo wir uns befinden.«

      »Wieso?«, fragte Ardan.

      »Weil uns seine Entfernung bekannt ist. Im Moment der Begegnung waren wir gerade 8.140 Kilometer von der Erdoberfläche entfernt.«

      »Das sind über 2.000 Lieues!«, rief Michel Ardan. »Das überbietet ja die Expressfahrten dieses armseligen Erdballs!«

      »Das glaube ich auch«, erwiderte Nicholl und sah auf seinen Chronometer. »Es ist elf Uhr und wir haben Amerika erst vor dreizehn Minuten verlassen.«

      »Erst vor dreizehn Minuten?«, fragte Barbicane.

      »Ja«, erwiderte Nicholl, »und wenn wir unsere anfängliche Geschwindigkeit von 11 Kilometern beibehielten, so würden wir in der Stunde etwa 10.000 Lieues zurücklegen!«

      »Das ist ja alles schön und gut, meine Freunde«, sagte der Präsident, »aber immer noch ist die Frage zu lösen: Weshalb haben wir den Knall der Kanone nicht gehört?«

      Keine Antwort. Die Unterhaltung stockte und Barbicane, fortwährend überlegend, machte sich daran, den Deckel der andern Seitenluke herabzulassen. Seine Bemühung gelang, und durch das frei gemachte Fenster fiel das hellste Mondlicht ins Innere des Projektils. Sparsam wie er war, löschte Nicholl das Gaslicht, denn es war unnötig und außerdem behinderte es bei der Betrachtung des Weltraums. Das Mondlicht glänzte in unvergleichlicher Reinheit. Seine Strahlen, die nicht mehr von der Dunstatmosphäre der Erde verschleiert wurden, drangen hell durch das Fenster und erfüllten das Innere des Projektils vollständig mit silbernem Schein. Sein Glanz, obwohl er durch den schwarzen Vorhang des Firmaments verstärkt wirkte, doch im leeren Weltraum nicht fähig war, sich auszubreiten, verdunkelte nicht die benachbarten Sterne. So gewährte der Himmel einen ganz ungewöhnlichen Anblick, wie ihn das menschliche Auge nicht vermuten ließ.

      Das Interesse der mutigen Reisenden an der Betrachtung des Nachtgestirns, dem vordringlichen Zweck ihrer Reise, ist begreiflich. Der Erdtrabant kam auf seiner Bahn dem Zenit immer näher, dem mathematischen Punkt, welchen er etwa 96 Stunden später erreichen sollte. Seine Gebirge und Ebenen, das ganze Bild seiner Oberfläche stellte sich ihren Augen nicht klarer dar, als wenn sie es von irgend einem Punkt der Erde aus betrachtet hätten. Aber sein Licht entwickelte sich in dem leeren Raum mit unvergleichlicher Stärke. Die Scheibe glänzte wie ein Spiegel aus Patina. An die Erde, die unter ihren Füßen entschwand, hatten sie schon fast keine Erinnerung mehr. Kapitän Nicholl lenkte zuerst wieder die Aufmerksamkeit auf den verschwundenen Erdball.

      »Ja!«, sprach Michel Ardan. »Lasst uns nicht undankbar gegen ihn sein. Weil wir unsere Heimat verlassen haben, schulden wir ihm unser letztes Augenmerk. Ich will die Erde noch einmal sehen, bevor sie meinen Blicken gänzlich entschwindet!«

      Um dem Wunsch seines Gefährten zu entsprechen, machte sich Barbicane daran, das Fenster im Boden des Projektils, welches die Betrachtung der Erde unmittelbar gestattete, frei zu machen. Es kostete einige Mühe, die Scheibe, die durch die Kraft des Abschusses bis auf den Boden gedrückt worden war, herauszunehmen. Die Stücke derselben wurden sorgfältig an der Wand aufgestellt, um nötigenfalls benutzt werden zu können. Hierauf zeigte sich eine kreisrunde, fünfzig Zentimeter breite Öffnung, welche in dem Boden des Geschosses ausgeschnitten war. Dieselbe war mit einem 50 Zentimeter dicken, mit einem kupfernen Beschlag versehenen Glas geschlossen. Darunter war eine Aluminiumplatte angebracht, die durch Bolzen befestigt war. Die Schraubenmutter wurde gelöst, die Bolzen freigemacht, die Platte senkte sich, und so war die Verbindung mit der Außenwelt für den Blick hergestellt.

      Michel Ardan kniete auf das Fenster nieder; es war düster wie im Schatten.

      »Nun!«, rief er. »Und wo ist die Erde?«

      »Die Erde?«, fragte Barbicane. »Da ist sie doch.«

      »Was?«, fragte Ardan. »Dieser schmale Streifen, die silberne Sichel?«

      »Allerdings, Michel. In vier Tagen, wenn es Vollmond ist, eben wenn wir dort anlangen, wird die Erde im Neumond stehen. Sie wird uns nur noch in Gestalt einer dünnen Sichel, die bald verschwinden wird, sichtbar sein. Und dann wird sie uns einige Tage lang in undurchdringlichem Dunkel erscheinen.«

      »Dies soll also die Erde sein!«, wiederholte Michel Ardan, indem er den schmalen Streifen seines Herkunftsplaneten mit aufgesperrten Augen betrachtete.

      Die vom Präsidenten Barbicane abgegebene Erklärung war richtig. Im Verhältnis zum Projektil trat die Erde in ihre letzte Phase ein. Sie befand sich in ihrem Achtel und beschrieb auf dem dunklen Hintergrund des Himmels eine fein gezogene Sichel. Ihr Licht, welches durch die dichte Schicht atmosphärischer Luft einen bläulichen Schein erhielt, war geringer als das der Mondsichel. Die Sichel der Erde wies bedeutende Dimensionen auf; man hätte sie einen enormen, am Himmel gespannten Bogen nennen können. Einige hell erleuchtete Punkte, besonders auf der konkaven Seite, bezeichneten hohe Gebirge, aber sie verschwanden zuweilen unter dichten Flecken, wie man sie auf der Oberfläche des Mondes nicht erkennen kann. Es waren Wolkenringe, die sich konzentrisch um die Erdkugel herum bildeten.

      Infolge einer Naturerscheinung, gleich der, wie sie auch beim Mond zu beobachten ist, wenn er sich in seinen Achteln befindet, war man jedoch imstande, die vollständige Umfangslinie der Erdkugel wahrzunehmen. Durch die Wirkung des aschfarbenen Lichtes, welches etwas weniger als das des Mondes scheint, kam die ganze Scheibe ziemlich deutlich zum Vorschein. Der Grund für die geringere Strahlungsintensität ist leicht nachvollziehbar. Der Widerschein des Mondes rührt von den Sonnenstrahlen her, welche die Erde auf ihren Trabanten zurückwirft; in diesem Falle handelt es sich jedoch umgekehrt um die vom Mond auf die Erde zurückgeworfenen Sonnenstrahlen. In Entsprechung der verschiedenen Größen der beiden Himmelskörper strahlt das Licht von der

Скачать книгу