Reise um den Mond. Jules Verne

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Reise um den Mond - Jules Verne

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      »Eine nette Begabung«, sagte Nicholl mit einem argwöhnischen Blick auf seinen Genossen.

      »Ja«, erwiderte Michel, »ein echt gallischer Spaß, wie er in meiner Heimat üblich ist, und zwar in den besten Gesellschaften!« Dann fuhr er ablenkend fort: »Weißt du, Barbicane, woran ich die ganze Nacht gedacht habe?«

      »Nein«, erwiderte der Präsident.

      »An unsere Freunde in Cambridge! Du hast ja bereits bemerkt, dass ich in mathematischen Dingen ein unnachahmlicher Ignorant bin. Ich kann mir deshalb nicht erklären, wie die Gelehrten vom Observatorium auszurechnen imstande waren, welche Anfangsgeschwindigkeit das Projektil, als es aus der Kanone kam, haben musste, um bis zum Mond zu gelangen.«

      »Du meinst«, sagte Barbicane, »bis zu dem neutralen Punkt, an dem sich die Anziehungskräfte der Erde und des Mondes ausgleichen. Denn von diesem Punkte an, in etwa nach der Bewältigung von neun Zehnteln der gesamten Fahrt, wird das Projektil lediglich aufgrund seines Eigengewichtes auf den Mond fallen.«

      »Klar«, gab Michel zurück, »aber ich frage nochmal: Wie konnten sie die Anfangsgeschwindigkeit berechnen?«

      »Nichts leichter als das«, entgegnete Barbicane.

      »Und wärst du dazu in der Lage, diese Berechnung anzustellen?«, fragte Michel Ardan.

      »Vollständig. Wenn uns das Observatorium diese Mühe nicht abgenommen hätte, hätte ich sie ohne weiteres mit Nicholl aufgestellt.«

      »Mein geschätzter Barbicane«, erwiderte Michel Ardan darauf, »mir hätte man eher den Kopf über den Füßen abschneiden können, als dass ich diese Aufgabe zu lösen vermocht hätte!«

      »Weil du eben nichts von Algebra verstehst«, entgegnete Barbicane ruhig.

      »Ah! Mein Gott, was seid ihr für Buchstabenfresser! Ihr glaubt, mit eurer Algebra alles fertig bringen zu können.«

      »Michel«, entgegnete Barbicane, »meinst du, man könne ohne Hammer schmieden oder ohne Pflug ein Feld bestellen?«

      »Schwerlich.«

      »Also! Die Algebra ist ein Werkzeug wie ein Pflug oder ein Hammer, und für den, welcher sich damit auskennt, ein vortreffliches Werkzeug.«

      »Ach, im Ernst?«

      »Ja, das ist sehr ernst gemeint!«

      »Und du könntest in meiner Gegenwart von diesem Werkzeug Gebrauch machen?«

      »Wenn es dich interessiert?«

      »Und mir zeigen, wie man die Anfangsgeschwindigkeit unseres Projektils ausgerechnet hat?«

      »Ja, mein werter Freund. Indem ich alle Elemente des Problems berücksichtige: die Entfernung des Zentrums der Erde von dem des Mondes, den halben Durchmesser der Erde, die Erdmasse und die Mondmasse. Anhand dieser Elemente kann ich ganz genau berechnen, wie groß die Anfangsgeschwindigkeit des Projektils sein musste, und zwar mithilfe einer simplen Formel.«

      »Lass hören! Welche Formel?«

      »Du sollst sie zu hören bekommen. Nur werde ich dir nicht die krummen Linien bezeichnen, welche das Projektil zwischen der Erde und dem Mond beschreibt, indem ich ihre Bewegung um die Sonne mit in die Rechnung einbeziehe. Sondern ich will die beiden Gestirne als unbewegt voraussetzen, das reicht für unseren Zweck aus.«

      »Und weshalb?«

      »Weil ich sonst die Lösung der Aufgabe suchen würde, die man das Problem der drei Körper nennt, wozu die Integralrechnung noch nicht weit genug ausgereift ist.«

      »Demnach«, sagte Michel Ardan in spöttischem Ton, »haben die Mathematiker noch nicht ihr letztes Wort gesprochen?«

      »Allerdings nicht«, erwiderte Barbicane.

      »Gut! Vielleicht sind die Seleniten in der Integralrechnung etwas weitergekommen! Und nebenbei: Was bezeichnet man denn als Integralrechnung?«

      »Diese Rechenart ist das Gegenteil von der Differentialrechnung«, erklärte Barbicane mit würdigem Ernst.

      »Danke verbindlichst.«

      »Mit anderen Worten, es handelt sich um eine Rechenart, mit der man die bestimmten Größen sucht, deren Differentiale man kennt.«

      »Das ist wenigstens deutlich ausgesprochen«, erwiderte Michel mit der zufriedensten Miene.

      »Und nun«, fuhr Barbicane fort, »gebt mir ein Stückchen Papier und einen Bleistift. Und vor Ablauf einer halben Stunde will ich die gewünschte Formel gefunden haben.«

      Darauf vertiefte sich Barbicane in seine Arbeit, während Nicholl in den Weltraum hinaussah und es seinen Kameraden überließ, für das Frühstück zu sorgen. Noch bevor eine halbe Stunde vergangen war, hob Barbicane den Kopf und zeigte Michel eine ganze Seite voll mit algebraischen Zeichen, darunter auch die gesuchte, allgemeine Formel:

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      »Und was bedeutet das ... ?«, fragte Michel.

      »Es bedeutet«, erklärte Nicholl, »ein halb v zum Quadrat minus v Null zum Quadrat ist gleich gr multipliziert mit r durch x minus 1 plus m‘ geteilt durch m, multipliziert mit r durch d minus x, minus r durch d minus r ...«

      »X auf y steigt auf z und reitet über p«, rief Michel Ardan mit hellem Lachen. »Und das begreifst du, Kapitän?«

      »Nichts leichter als das.«

      »Wieso?«, fragte Michel. »Aber das ist doch einleuchtend und mehr wollte ich gar nicht.«

      »Immer nur lachen!«, versetzte Barbicane. »Du wolltest Algebra und nun hast du sie, voll und ganz!«

      »Lieber lasse ich mich hängen!«

      »Tatsächlich!«, mischte sich Nicholl ein, der als Experte die Formel prüfte. »Es scheint mir richtig abgeleitet, Barbicane. Es ist die Integrale der Gleichung faktischer Kräfte, und ich habe keinen Zweifel daran, dass sie uns das gesuchte Ergebnis liefern wird.«

      »Aber ich möchte es auch verstehen!«, rief Michel. »Ich würde Nicholl zehn Jahre meines Lebens dafür geben!«

      »So höre denn, Michel«, fuhr Barbicane fort. »Ein halb v zum Quadrat minus v Null zum Quadrat ist die Formel, welche uns die ›halbe‹ Veränderung der faktischen Kraft erklärt.«

      »Gut. Und Nicholl weiß, was das bedeutet?«

      »Allerdings, Michel«, antwortete der Kapitän. »Alle diese Zeichen, welche dir wie eine Geheimsprache vorkommen, bilden für den, der sie versteht, die klarste, deutlichste, logischste Sprache.«

      »Nicholl, und du behauptest also«, fragte Michel, »dass du mithilfe dieser Hieroglyphen, die noch unverständlicher aussehen, als die des ägyptischen Ibisses, herausfinden könntest, welche Anfangsgeschwindigkeit man dem Projektil geben musste?«

      »Unbestreitbar«, erwiderte Nicholl. »Und ich werde dir mithilfe derselben Formel zu jedem Zeitpunkt

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