Reise um den Mond. Jules Verne
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Daneben waren auch einige Kompasse, die Barbicane mitgenommen hatte, unversehrt geblieben. Unter den gegebenen Bedingungen war es allerdings verständlich, dass ihre Nadeln kreisten, d.h. nicht in eine bestimmte Richtung wiesen. Dies lag daran, dass durch die Entfernung des Projektils von der Erde der magnetische Pol keine erkennbare Wirkung auf das Gerät ausüben konnte. Doch konnten mit diesen Magnetkompassen, sobald man auf dem Mond angekommen war, dort vielleicht eigentümliche Erscheinungen beobachtet werden. Jedenfalls war es interessant zu untersuchen, ob der Erdtrabant gleich der Erde dem magnetischen Einfluss unterworfen sei.
Ein Höhenmesser zur Messung der Höhe der Mondberge, ein Sextant, mit dem man die Entfernung der Sterne bestimmen konnte, ein Winkelmessgerät, das als Flächenmesser und zur Winkelbestimmung am Horizont eingesetzt wird, Fernrohre, die bei der Annäherung an den Mond sehr gut zu gebrauchen waren: Alle diese Instrumente wurden unter sorgfältiger Inaugenscheinnahme als funktionsfähig befunden, und dies, obwohl sie einem derartig heftigen Rückstoß standgehalten haben mussten.
Die Geräte, Hacken und Schaufeln, die verschiedenen Werkzeuge, die Nicholl sorgfältig ausgewählt hatte, die Säcke voll verschiedenen Saatgutes, die jungen Bäume, die Michel Ardan auf den Landgütern der Seleniten anzupflanzen gedachte: Alles befand sich in den oberen Räumen an den dafür vorgesehenen Plätzen. Dort gab es eine Art Speicher, angefüllt mit Geräten, die der Franzose eigenhändig aufgestapelt hatte. Um was für Geräte es sich dabei im Einzelnen handelte, wusste keiner so richtig, und darüber ließ sich der heitere Geselle auch nicht weiter aus. Von Zeit zu Zeit stieg er über Eisenhaken, die an den Wänden fest genietet waren, zu dieser Vorratskammer, deren Begutachtung er sich vorbehalten hatte, hinauf. Dort räumte er auf und ordnete alles, griff begierig in einige geheimnisvolle Kisten und sang dabei mit seiner Falsettstimme eine alte französische Weise, die zur allgemeinen Erheiterung beitrug.
Mit Vergnügen stellte Barbicane fest, dass seine Raketen und die künstlichen Feuerwerke nicht beschädigt worden waren. Diese voll geladenen Artikel besaßen den vorgesehenen Zweck, den Aufprall des Projektils zu mindern, wenn es nach der Durchdringung des schwerelosen Raumes der Anziehungskraft des Mondes ausgesetzt war und auf die Mondoberfläche fallen würde. Wenn man das Verhältnis der verschiedenen Massen von Erde und Mond als Maßstab nahm, musste der Fall auf den Mond indessen sechsmal weniger stark erfolgen als der Aufprall auf die Erde.
Insgesamt fiel die Musterung der mitgeführten Gerätschaften also zu allgemeiner Befriedigung aus. Danach begab sich jeder der drei Reisenden wieder an die Fensterluken an den Seiten und am Boden, um in den Weltraum hinauszublicken.
Überall herrschte derselbe Anblick. Der unüberschaubare Weltraum, angefüllt mit wunderschön glänzenden Sternen und Sternbildern, konnte einen Astronomen schon entzücken. Auf der einen Seite hob sich die Sonne, die wie die Öffnung eines Glutofens eine blendende Scheibe ohne eigenen Lichtring darstellte, von dem dunklen Hintergrund des Weltraums ab. Auf der anderen Seite der Mond, die Sonnenstrahlen zurückwerfend und inmitten der Sternenwelt wie unbeweglich. Und als drittes ein ziemlich großer Planet, der im Weltraum ein Loch zu bilden schien und dessen eine Hälfte am Rande mit einem silbernen Saum umgeben war: Das war die Erde. Hier und da waren zusammengeballte Nebelfelder, die wie dicke Flocken aus Sternenschnee aussahen, zu erkennen und vom Zenit bis zum Nadir erstreckte sich ein unermesslich großer Ring aus Sternenstaub, jene Milchstraße eben, in deren Mitte die Sonne nur als Stern vierter Ordnung angesehen wird!
Die Beobachter konnten von diesem so noch nie gesehenen Schauspiel, wovon keine Beschreibung je einen Begriff geben konnte, ihren Blick nicht abwenden. Zu welchen Gedanken verführte dieser Anblick? Welche unbekannten Gefühle stiegen dabei in der Seele auf? Von diesen Eindrücken bewegt, entschloss sich Barbicane dazu, seinen Reisebericht zu beginnen und er beschrieb Stunde für Stunde alle die Ereignisse, die den Anfang der Unternehmung betrafen. Ruhig schrieb er mit seiner starken, fetten Handschrift und in einem etwas handelsmäßigen Stil.
Unterdessen überprüfte der Rechner Nicholl seine auf die Bahnen bezogenen Formeln, und er verfuhr dabei mit den Zahlen so gewandt, dass es keinen Vergleich dazu gab. Michel Ardan plauderte bald mit Barbicane, der ihm nicht antwortete, bald mit Nicholl, der ihm nicht zuhörte, bald mit Diana, die von seinen Theorien nichts verstehen konnte, am Ende mit sich selbst. Er warf Fragen auf und beantwortete sie, ging hin und her und beschäftigte sich mit tausend Kleinigkeiten, manchmal zum Bodenfenster hinabgebeugt, manchmal im Speicher hockend, aber stets mit halblautem Gesang. In dieser kleinen Welt repräsentierte er die Regsamkeit und die französische Geschwätzigkeit, und man kann versichert sein, dass sie würdig vertreten war.
Der Tag, oder vielmehr, da dieser Ausdruck nicht mehr zutrifft, der Zeitraum von zwölf Stunden, der auf der Erde einen Tag ausmacht, endete mit einem üppigen Abendessen, das fein zubereitet war. Bislang war noch nichts vorgefallen, was den Reisenden ihre Zuversicht hätte schwächen können. Darum schliefen sie auch voller Hoffnung, ihres Erfolges sicher, ruhig ein, während das Projektil die Himmelsbahnen mit gleichmäßig abnehmender Geschwindigkeit durchquerte.
VIERTES KAPITEL Ein wenig Algebra
D
ie Nacht verlief ohne einen Zwischenfall. Korrekterweise muss man sagen, dass die Bezeichnung ›Nacht‹ in diesem Falle eigentlich unpassend ist. Denn auf die Stellung zur Sonne bezogen blieb die Position des Projektils unverändert. Astronomisch ausgedrückt herrschte auf der unteren Seite des Projektils Tag, auf der oberen Seite Nacht. Wenn nun im weiteren Verlauf dieser Erzählung diese beiden Ausdrücke gebraucht werden, ist darunter immer der Zeitraum zu verstehen, der auf der Erde zwischen Auf- und Untergang der Sonne verstreicht.
Die Reisenden schliefen durchaus ruhiger, weil das Projektil trotz seiner hohen Geschwindigkeit wie unbeweglich erschien. Das Hingleiten durch den Raum gab keine Bewegung zu erkennen. Die Ortsveränderung, so schnell sie auch vonstatten geht, kann sich auf den Organismus nicht merklich auswirken, wenn sie sich im leeren Raum abspielt oder wenn die den Körper umgebende Luft gleichzeitig mit fortbewegt wird. Welcher Erdbewohner bemerkt schon die Geschwindigkeit, in der sich die Erde stündlich um 90.000 Kilometer dreht. Unter diesen Bedingungen empfindet man die Bewegung genauso wenig wie den ruhenden Zustand. Jeder Körper verhält sich in dieser Hinsicht gleich. Befindet er sich im Ruhezustand, so bleibt er solange darin, bis ihn irgendeine äußere Gewalt von seinem Platz bewegt. Ist er in Bewegung, so bleibt diese bestehen, wenn diese Bewegung nicht durch ein Hindernis gehemmt wird. Dieses Gleichgewicht zwischen Bewegung und Stillstand nennt man Schwerelosigkeit. Im Projektil eingeschlossen konnten Barbicane und seine Genossen also meinen, sie seien in völliger Unbeweglichkeit.
Im Übrigen: Auch wenn sie sich außerhalb des Projektils befunden hätten, wäre die Wirkung dieselbe gewesen. Hätte nicht der Mond über ihnen ständig an Größe zugenommen, so hätten sie schwören können, dass sie sich in einem vollständig bewegungslosen Zustand befanden.
Am 3. Dezember wurden die Reisenden morgens früh von einem munteren, ganz unvermuteten Geräusch geweckt. Es war das Krähen eines Hahnes, der sich im Projektil befand. Michel Ardan sprang auf, kletterte zu seiner Kammer empor, verschloss eine halbgeöffnete Kiste und flüsterte:
»Willst du wohl still sein! Das Tier bringt meinen Plan noch zum Scheitern.«
Indessen waren Nicholl und Barbicane erwacht.
»Ein Hahn?«, fragte Nicholl.
»Oh nein! Meine Freunde«, erwiderte Michel beschwingt. »Ich habe diesen ländlichen Ton hervorgebracht, um euch zu wecken!« Und dazu ließ er ein prachtvolles