Das Karpatenschloss. Jules Verne
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Читать онлайн книгу Das Karpatenschloss - Jules Verne страница 4
Dann richtete er wie ungläubig den Kopf hoch auf.
»Ein Fernrohr?« sagte er.
»Ja, Schäfersmann, und zwar ein ganz vorzügliches, das Euch befähigt, viel weiter als gewöhnlich zu sehen.
– Oho, ich habe sehr gute Augen, Freundchen. Bei klarer Luft erkenne ich die entlegensten Felsen bis zur Spitze des Retyezat und die letzten Bäume im Grunde des Talweges des Vulkan.
– Ohne die Augen halb zu schließen?
– Ohne solche Kunststückchen. Das verdank‘ ich dem heilsamen Tau, wenn ich vom Abend bis zum Morgen unter freiem Himmel schlafe. Glaubt nur, das wäscht die Pupille rein.
– Was ... der Tau?« erwiderte der Hausierer. »Der macht ja die Leute weit eher blind ...
– Nur die Schäfer nicht!
– Mag sein! Doch wenn Ihr auch gute Augen habt, so sind meine doch noch besser, sobald ich sie ans Ende meines Fernrohres bringe.
– Das müsst‘ ich erst sehen.
– Werft doch einmal selbst einen Blick durch das Fernrohr.
– Ich? ...
– Versucht‘s nur.
– Und das kostet nichts?« fragte Frik, der von Natur etwas misstrauisch vorsichtig war.
– »Nichts ... gar nichts, wenigstens wenn Ihr das Fernrohr nicht kauft.«
In dieser Hinsicht beruhigt, nahm Frik das Instrument, das der Hausierer für ihn passend einstellte. Nachdem er dann das linke Auge geschlossen, brachte er das rechte nahe an das Okular.
Erst blickte er in der Richtung des Vulkan und aufwärts nach dem Plesa hinaus. Nachher senkte er das Instrument und richtete es nach dem Dorfe Werst hinab.
»Wahrlich,« rief er, »‚s doch richtig! Das trägt weiter als meine Augen ... Da die Landstraße... ich erkenne darauf die Leute! ... Richtig, Nic Deck, der Forstwächter, der, die Flinte auf dem Rücken, vom Rundgange heimkehrt, mit ...
– Wie ich‘s Euch sagte!« unterbrach ihn der Hausierer.
»Ja ... richtig ... das ist Nic! fuhr der Schäfer fort. Und wer ist das Mädchen im roten Rocke und schwarzen Leibchen, die aus dem Hause des Meister Koltz tritt, wie um jenem entgegenzugehen?
– Seht nur ordentlich hin, Schäfer, und Ihr werdet das Mädchen ebenso gut erkennen, wie den jungen Mann ...
– Ja ... wirklich ... das ist Miriota ... die schöne Miriota! – Oh, diese verliebten Leute! Jetzt mögen sie aber auf ihrer Hut sein, denn ich habe sie hier deutlich am Ende des Fernrohres und es entgeht mir keine Zärtlichkeit.
– Nun, was sagt Ihr jetzt von dem Instrumente?
– Was soll ich sagen? – dass man damit weiter sehen kann als sonst.«
Wenn Frik in seinem Leben noch niemals durch ein Fernrohr geblickt hatte, musste das Dorf Werst doch wohl zu den Ortschaften des Comitats Klausenburg gehören, die am weitesten hinter der Zeit zurückgeblieben waren. Und dass es an dem war, wird der Leser bald selbst erkennen.
»Jetzt, Schäfer,« fuhr der Fremde fort, »schaut noch einmal hindurch, aber weiterhin als nach Werst. Das Dorf liegt viel zu nahe. Seht darüber hinaus, weit, weit hinaus!
– Und das kostet auch nicht mehr?
– Keinen Heller mehr.
– Gut. Ich will mich einmal in der Gegend der ungarischen Sil umsehen. Aha ... da ist der Kirchturm von Livadzel! Den erkenn‘ ich an dem Kreuze, woran der eine Arm fehlt. Da ... und weiter draußen seh‘ ich den Turm von Petroseny, auch seinen Weißblech-Wetterhahn mit geöffnetem Schnabel, so als wollte er seine Glucken rufen! ... Und ganz unten ... das muss der Turm von Petrilla sein ... Doch, nicht wahr, Hausierer, Ihr sagtet, das kostete deshalb immer nicht mehr ...
– Das Hindurchsehen kostet nichts, Schäfer.«
Frik wendete sich jetzt nach dem Plateau von Orgall hin; dann folgte er mit dem Fernrohre den Waldmassen im Schatten der Abhänge des Plesa, und schließlich trat die Burg in das Gesichtsfeld des Glases.
»Richtig!« rief er. Der vierte Ast liegt zu Boden ... ich hatte doch recht gesehen! Na, den wird auch Keiner aufheben, um ihn am Johannisfeste als hübsche Fackel zu gebrauchen ... Nein, Keiner ... nicht einmal ich selbst! Das hieße ja Leib und Seele der Hölle verschreiben! Doch keine Sorge; Einen gibt‘s doch, der ihn noch diese Nacht in seiner Höllenküche verbrennen wird ... das ist der Chort!«
Der Chort – so heißt der Teufel, wenn er hier im Lande gesprächsweise erwähnt wird.
Der Jude hätte vielleicht nach einer Erklärung dieser Worte gefragt, die für Jeden unverständlich sein mussten, der nicht aus Werst oder dessen Nachbarschaft herstammte, doch schon rief Frik wieder mit einer aus Schrecken und Erstaunen gemischten Stimme:
»Da ... was ist denn das? ... Ein Dunst, der über dem alten dicken Turme schwebt? ... Ist‘s denn wirklich nur Dunst? ... Nein, das könnte man für Rauchwolken halten! ... Unmöglich! Seit langen, langen Jahren haben die Schornsteine der Burg nicht mehr geraucht!
– Wenn Ihr da draußen Rauch seht, Schäfer, so wird‘s schon Rauch sein.
– Nein, Hausierer ... nein! Wahrscheinlich ist nur das Glas Eures Instrumentes angelaufen.
– So wischt es doch ab.
– Und wenn ich das täte ...«
Frik drehte das Fernrohr um und setzte es, nachdem er die Gläser mit dem Ärmel abgerieben hatte, wieder vor das Auge.
Es war tatsächlich eine Rauchsäule, die dort aus dem Wartturme aufwirbelte. Bei der ganz stillen Luft stieg sie kerzengerade empor und verschwamm schließlich im Dunste der Höhe.
Frik stand wie versteinert und sprach kein Wort. Seine ganze Aufmerksamkeit wandte er der Burg zu, nach der schon der Schatten der Täler unter dem Plateau von Orgall langsam empor schlich.
Plötzlich ließ er das Fernrohr herabsinken, griff nach dem kleinen Quersack, der unter seiner Jacke hing und fragte:
»Was soll Euer Rohr kosten?
– Anderthalb Gulden,« antwortete der Händler.
Er hätte das Fernrohr auch schon für einen Gulden weggegeben, wenn Frik sonst Lust zum Kaufe gezeigt hätte. Der Schäfer feilschte aber nicht. Offenbar unter dem Drucke einer ebenso plötzlichen wie unerklärlichen Verblüffung, senkte er die Hand in den Quersack und brachte das verlangte Geld hervor.
»Kauft Ihr das Fernrohr für Euch selbst?« fragte der Hausierer.
»Nein ... für meinen Herrn, den Ortsrichter Koltz.
– Dann gibt er Euch zurück, was ...
– Jawohl, die zwei Gulden, die es mich gekostet hat.