Das Karpatenschloss. Jules Verne
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Читать онлайн книгу Das Karpatenschloss - Jules Verne страница 6
Bekanntlich blieben alle Anstrengungen, alle Opfer erfolglos ... Die Nachkommen jenes tapferen Volkes verfielen mehr und mehr unwürdiger Unterjochung. Jetzt haben sie keine politische Selbstständigkeit mehr. Drei schwere Niederlagen haben dieselbe vernichtet. Die Walachen Transsilvaniens (Siebenbürgens) verzweifeln aber noch immer nicht, das heutige Joch einst wieder abzuschütteln. Die Zukunft gehört ihnen, und mit unerschütterlichem Vertrauen wiederholen sie die Worte, in denen sich ihr Leben und Streben zusammendrängt: Rôman on péré! »Der Rumäne kann nicht untergehen!«
Gegen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war der letzte Repräsentant der Herren von Gortz der Baron Rudolph. Im Karpatenschloss geboren, hatte er schon in zarter Jugend seine Familie rings um sich absterben sehen. Mit zweiundzwanzig Jahren stand er allein in der Welt. Alle seine Angehörigen waren Jahr für Jahr dahingegangen ... abgefallen wie die Äste der Schicksalsbuche, mit der der volkstümliche Aberglaube auch den Bestand der Burg selbst verknüpfte. Was sollte nun der Baron Rudolph – ohne Eltern, ja sogar ohne Verwandte – beginnen, um die Muße der drückenden Einsamkeit, die der Tod um ihn geschaffen, auszufüllen? Seinen Geschmack, seine Neigungen und Fähigkeiten hätte schwerlich Jemand bestimmt erkennen können, außer dass der junge Mann eine unwiderstehliche Leidenschaft für die Musik an den Tag legte, und vor Allem für den Gesang der hervorragenden Künstler seiner Zeit. So überließ er das schon stark verfallene Schloss eines Tages der Pflege einiger alter Diener und ... verschwand. Später vernahm man von ihm nur, dass er sein übrigens sehr beträchtliches Vermögen dazu verwendete, die berühmtesten Musikstädte Europas und die Theater Deutschlands, Frankreichs und Italiens zu besuchen, wo er seinen unersättlichen Dilettanten-Träumereien genug tun konnte. War er nur ein exzentrischer Charakter oder ein halb Geisteskranker? Seine seltsame Lebensführung hätte fast das letztere vermuten lassen.
Immerhin erlosch die Erinnerung an die Heimat keineswegs im Herzen des jungen Baron Rudolph von Gortz. Auch bei seinen weitausgedehnten Wanderungen hatte er das transsilvanische Vaterland nicht vergessen, sodass er sogar an einer jener blutigen Empörungen der rumänischen Bauern gegen die ungarischen Unterdrücker persönlich teilnahm.
Die Nachkommen der alten Dacier wurden besiegt und ihr Gebiet fiel den Siegern zur Beute.
In Folge dieser Niederlage verließ der Baron Rudolph endgültig das Schloss seiner Väter, von dem übrigens einzelne Teile schon in Trümmer fielen. Der Schnitter Tod beraubte die Burg auch bald ihrer letzten Hüter, und so stand sie seitdem völlig vereinsamt. Was den Baron Gortz betraf, so ging das Gerücht, dass er sich aus Patriotismus dem berüchtigten Roßa Sandor, einem früheren Straßenräuber, angeschlossen habe, aus dem der Unabhängigkeitskampf übrigens einen Bühnenhelden gemacht hatte. Zum Glück trennte sich Rudolph von Gortz nach Beendigung des Kampfes von den Genossen des übel beleumundeten »Betyar«, und daran tat er klug, denn der alte Wegelagerer, der wieder zum Anführer einer Diebesbande geworden war, fiel schließlich in die Hände der Polizei, die sich damit begnügte, ihn in Szamos-Uyvar einzukerkern.
Daneben blieb im Comitat auch noch die allgemein geglaubte Sage verbreitet, dass Rudolph von Gortz bei einem Zusammentreffen des Roßa Sandor mit den Zollwächtern der Grenze getötet worden sei.
Das war indes ein Irrtum, obgleich der Baron von Gortz seit jener Zeit sich niemals wieder in der Burg gezeigt hatte und deshalb Jedermann an seinen Tod glaubte. Was sich eine so abergläubische Bevölkerung wie die hiesige in die Ohren raunt, darf man eben immer nur mit starkem Zweifel hinnehmen.
Ein verlassenes, ein verzaubertes, von Geistern heimgesuchtes Schloss! Die glühend lebhafte Einbildungskraft der Leute hat es gar bald mit Trugbildern bevölkert; da erscheinen Gespenster und kehren zu nächtlicher Stunde die Geister der Abgeschiedenen ein. Ganz ähnlich geht es ja auch in anderen abergläubischen Landstrichen Europas noch zu, Transsilvanien kann unter diesen aber entschieden den ersten Rang beanspruchen.
Wie hätte auch die Dorfschaft Werst mit dem Glauben an die übersinnliche Welt brechen können! Der Pope und der Schullehrer, dieser mit der Erziehung der Kinder, jener mit der religiösen Fürsorge für die Gläubigen betraut, lehrten jene Fabeln desto unbedenklicher, als sie selbst daran glaubten. Sie versicherten »unter Beibringung von Beweisen«, dass noch Werwölfe im Lande hausten, dass Vampire, Stryges genannt, weil sie Schreie wie die Strygien ausstoßen, sich von Menschenblut ernährten; dass »Staffii« durch die Ruinen strichen und allerlei Übel verbreiteten, wenn man es unterließ, ihnen jeden Abend Speise und Trank anzubieten. Da gibt es Feen, »Babes«, denen man Dienstags und Freitags – den beiden Unglückstagen der Woche – nicht begegnen darf. Nun wage sich nur Einer in tiefere Wälder des Comitats, in jene verhexten Wälder, in denen die »Balauri« lauern, jene riesigen Drachen, deren Kinnladen sich bis zu den Wolken hinauf öffnen, oder die »Zmei« mit unmäßig großen Flügeln, die die Königstöchter und auch Mädchen geringer Herkunft entführen, wenn diese nur hübsch sind. Hier schwärmt also eine Menge furchtbarer Geschöpfe umher, denen die Einbildung des Volkes keinen anderen Helfer entgegenzustellen weiß, als die »Serpi de casa«, die Hausschlange, die vertraulich am häuslichen Herde lebt und deren heilsamen Einfluss sich der Bauer dadurch erkauft, dass er sie mit seiner besten Milch füttert.
War nun jemals eine Burg geeignet, solchen Wesen der rumänischen Mythologie als Zuflucht zu dienen, so war es gewiss das Karpatenschloss.
Auf dieser vereinsamten Hochebene, die außer von der linken Seite des oberen Teiles des Vulkans ganz unzugänglich war, mussten ja nach Anschauung der Leute Drachen, Feen, Stryges, vielleicht auch verschiedene Schatten aus der Familie der Barone von Gortz ihr Wesen treiben. Daher stand die Burg in ganz üblem und, wie man sagte, mit vollem Rechte üblem Ansehen. Kein Mensch hätte es gewagt, sie zu besuchen. Sie verbreitete eine Art epidemisches Entsetzen um sich, wie ein ungesunder Morast, der pestilenzialische Miasmen aushaucht. Schon wer sich ihr auf eine Viertelmeile näherte, setzte damit sein Leben in dieser und sein Seelenheil in jener Welt aufs Spiel. Solche Lehren gingen aus der Schule des Magisters Hermod hervor.
Alles das sollte freilich ein Ende nehmen, wenn von der alten Veste der Barone von Gortz kein Stein mehr auf dem andern lag – und hier knüpfte eben die Legende an.
Nach Aussage der angesehensten Leute von Werst hing der Bestand der Burg mit dem einer uralten Buche zusammen, deren Astwerk über die Winkelbastion zur Rechten des mittleren Walles empor starrte.
Seit der Abreise des Baron Rudolph von Gortz verlor diese Buche – die Dorfbewohner und vor Allen der Schäfer Frik hatten es beobachtet – jedes Jahr einen ihrer Hauptäste. Man hatte deren achtzehn vom Stamme aus gezählt, als der Baron Rudolph zum letzten Male auf der Plattform des Turmes sichtbar gewesen war, und jetzt trug der Baum davon nur noch drei. Jeder abgefallene Ast bedeutete nun für die Burg ein weiteres abgelaufenes Jahr ihres Bestandes; das Niederbrechen des letzten sollte der allgemeinen Annahme nach ihre völlige Vernichtung herbeiführen; dann würde man auf dem Plateau von Orgall vergeblich nach den Überresten des Karpatenschlosses suchen.
Natürlich war das nur eine der Sagen, die von der Fantasie der Rumänen selbst zahlreich geboren werden. Sogar die Behauptung, dass die alte Buche alljährlich einen ihrer Äste verliere, war keineswegs erwiesen, obwohl Frik stets bereit war, das zu versichern, da er den Baum nie aus dem Gesicht ließ, während seine Herden sich auf den Weideplätzen an der Sil tummelten. Trotz alledem und obgleich Frik für den letzten Bauer wie für den ersten Beamten von Werst eine Persönlichkeit war, der man nicht Alles glauben durfte, zweifelte doch kein Mensch daran, dass die Burg nicht mehr länger als drei Jahre zu leben habe, da man nur noch drei Äste an ihrer Schicksalsbuche zählte.
Der Schäfer hatte also gerade den Rückweg nach dem Dorfe einschlagen wollen, um hier die große Neuigkeit zu berichten, als sich der Zwischenfall mit dem Fernrohre ereignete.
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