Das Karpatenschloss. Jules Verne

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Das Karpatenschloss - Jules Verne

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– unter Andern das des volkstümlichen Heros aus dem fünfzehnten Jahrhundert, des Woiwoden Vayda-Hunyad.

      Das Ganze bildete eine recht freundliche Wohnstätte, die für einen einzelnen Mann nur zu groß gewesen wäre. Der Meister Koltz hauste hier auch nicht allein. Seit etwa zehn Jahren Witwer, besaß er doch eine Tochter, die schöne Miriota, die von Werst bis Vulkan, und auch noch darüber hinaus, allgemein bewundert wurde. Sie hätte wohl einen der seltsamen heidnischen Namen, Florica, Daïna, Daurilia oder einen ähnlichen, haben können, wie sie in walachischen Familien noch vielfach bevorzugt werden. Doch nein, sie hieß einfach »Miriota«, das heißt »das Lämmchen«. Dieses Lämmchen war freilich im Laufe der Jahre aufgewachsen und jetzt ein schlankes Mädchen von zwanzig Jahren mit blondem Haar und rehbraunen Augen, die so sanft in die Welt hinausblickten und ihren lieblichen Gesichtszügen und der angenehmen Haltung noch einen weiteren Reiz verliehen. – In der Tat, gerade genug, dass sie den bestechendsten Eindruck machte in der schmucken, am Halse, an den Schultern und den Handgelenken rot abgestickten Leibwäsche, der doppelten, rot und blau gestreiften, an der Taille befestigten Schürze, den niedlichen gelbledernen Stiefeln, dem leichten, geschickt geordneten Kopftuche und den langen, dicken Zöpfen, deren Geflecht mit einem roten Band und einzelnen Metallflittern verziert war.

      Ja, sie galt nicht mit Unrecht für eine schöne Dirne, die Miriota Koltz, noch dazu, da sie – gewiss kein Fehler – für dieses im Grunde der Karpaten verlorene Dorf obendrein noch reich zu nennen war. Wirtschaftlich musste sie ja wohl auch sein, da sie das Hauswesen ihres Vaters schon längere Zeit tadellos führte ... Gebildet? ... Oh, in der Schule des Magister Hermod hatte sie lesen, schreiben und rechnen gelernt, und sie rechnet, schreibt und liest ohne Fehler; weiter freilich ist sie nicht gekommen – wozu auch? Dagegen ist sie trotz Einem vertraut mit den Fabeln und Sagen Transsilvaniens, deren sie ebenso viel zu erzählen weiß, wie ihr Lehrer. Sie kennt die Legende von Leany-Kö, dem Felsen der Jungfrau, wo eine junge, etwas fantastische Fürstentochter sich den Nachstellungen der Tataren zu entziehen wusste; die Sage der Drachengrotte im Tale der »Königsstufe«; die von der Festung Deva, die »zur Zeit der Feen« erbaut wurde; die Legende der Detunata, der »Blitzgetroffenen«, jenes berühmten Basaltberges in der Gestalt einer riesigen Geige, auf deren Saiten der Gottseibeiuns in Sturm und Wetternächten zum Tanz aufspielt; die des Retyezat mit seinem von einer Hexe rasierten Gipfel; die Sage vom Tordapasse, den der heilige Ladislaus dereinst durch einen gewaltigen Schwerthieb eröffnete. Miriota schenkte allen diesen Erdichtungen vollen Glauben, deshalb blieb sie aber doch ein reizendes liebenswertes Mädchen.

      Dass sie vielen jungen Burschen des Landes ausnehmend gefiel, ist nicht zu verwundern, und dabei dachten diese noch kaum daran, dass sie die einzige Erbin des Biró Koltz, des ersten Gemeindebeamten von Werst war. Übrigens hatte es keinen Zweck, ihr den Hof zu machen, denn sie war ja Nicolas Deck‘s erklärte Verlobte. Dieser Nicolas oder vielmehr Nic Deck war ein hübscher Rumäne von fünfundzwanzig Jahren, ziemlich groß, von kräftigem Körperbau, der den Kopf gerade aufrecht trug. Er hatte schwarzes Haar, das der weiße Kolpak bedeckte, einen offenen Blick, trug eine ausgeschnittene, mit Stickereien verzierte Weste aus Lämmerleder, dabei zeigte er seine geformten Glieder – die Beine eines Hirsches – und in Gang und sonstigen Bewegungen eine unleugbare Entschlossenheit des Charakters. Von Beruf war er Forstwächter, das heißt ebenso viel Militär wie Zivilist. Da er in der Umgebung von Werst einiges Ackerland sein Eigen nannte, gefiel er dem Vater, und da er sich als liebenswürdiger junger Mann mit einem gewissen Stolz zeigte, noch mehr der Tochter, die übrigens Niemand hätte versuchen sollen, ihm abwendig zu machen oder nur mit verlangendem Auge anzusehen.

      Die Hochzeit Nic Deck‘s und der Miriota Koltz sollte – noch fehlten vierzehn Tage an der festgesetzten Zeit – etwa in der Mitte des nächsten Monats gefeiert werden. Bei dieser Gelegenheit gab‘s natürlich ein Fest fürs ganze Dorf. Meister Koltz würde seine Sache schon machen, geizig war er ja nicht. Wenn er es liebte, Geld zu verdienen, so wehrte er sich auch nicht, es bei passender Gelegenheit auszugeben. Nach der Trauung sollte Nic Deck im Familienhause mit Wohnung nehmen, das ihm von dem Biró dereinst zufallen musste, und wenn dann Miriota ihn neben sich wusste, dann fürchtete sie sich gewiss nicht mehr, dass, wenn sie eine Tür auffällig knarren hörte oder ein Möbelstück in den langen Winternächten einen Sprung erhielt, dann irgend ein aus ihren Lieblingssagen entsprungenes Gespenst ihr seine Aufwartung machen wolle.

      Um die Liste der Notablen von Werst zu vervollständigen, müssen wir noch zwei, und zwar die nicht mindest wichtigen Personen anführen – nämlich den Lehrer und den Arzt.

      Der Magister Hermod war ein langer Mann mit Brille, zählte fünfundfünfzig Jahre und hatte stets das gebogene Mundstück seiner Pfeife mit Porzellankopf zwischen den Lippen; die etwas dünn gewordenen Haare standen wie Borsten von dem ziemlich flachen Schädel ab. Das sonst glatte Gesicht zeigte auf der linken Wange eine kleine Narbe. Seine Hauptbeschäftigung lief darauf hinaus, dass er die Federn seiner Schüler schnitt, denen er den Gebrauch von Stahlfedern streng untersagt hatte; da hätte man ihn sehen sollen, wie er den Schnabel der Gänsekiele mit dem alten wohlgeschliffenen Federmesser formte, und mit welcher Sicherheit er mit den Augen blinzelnd die Feder spaltete. Vor Allem hielt er auf eine gute Handschrift. Dahin zielten seine ernsten Bemühungen, und die Erlangung einer solchen konnte den Zöglingen eines so sorgsamen Schulmeisters nicht missglücken. Der sonstige Unterricht kam erst in zweiter Linie – wir wissen ja schon, was Magister Hermod lehrte, und was die Generation von Knaben und Mädchen auf seinen Schulbänken lernen konnte.

      Jetzt zu dem Arzte Patak.

      Wie – so hör‘ ich den Leser rufen – in Werst befand sich ein Arzt, und doch huldigte das ganze Dorf dem Glauben an übernatürliche Dinge? – Ja; doch man muss es eben verstehen, welche Bewandtnis es mit dem Arzttitel Patak‘s – ganz wie mit dem, den der Richter Koltz sich zulegte – hatte.

      Patak, ein kleiner Mann, mit einem Schmerbäuchlein, übrigens stark und kurz und fünfundvierzig Jahre alt, betrieb in fleißigster Weise die Heilkunst, wie sie in Werst und Umgebung eben hergebracht war. Mit seiner unerschütterlichen Ruhe und betäubenden Redseligkeit flößte er nicht weniger Vertrauen ein, als der Schäfer Frik – und das will viel sagen. Er verkaufte gute Ratschläge und Arzneien, letztere aber immer so unschuldiger Natur, dass sie die kleinen Leiden seiner Kunden niemals verschlimmern konnten und Letztere, wie es ja meist der Fall ist, von selbst wieder gesund wurden.

      Übrigens befand man sich auf dem Bergrücken des Vulkan vorzüglich wohl; die Luft ist hier von »erster Güte«; epidemische Krankheiten sind unbekannt, und wenn einer stirbt, so geschieht das, weil man einmal sterben muss, selbst in diesem bevorzugten Winkel Transsilvaniens. Was den »Doktor« Patak – ja, man nennt ihn wirklich »Doktor« – angeht, so fehlte ihm, obwohl man sich ihm hier gern anvertraute, doch jede Fachbildung, in der Heilkunde, der Arzneiwissenschaft, überhaupt in Allem.

      Er war weiter nichts, als ein früherer Krankenwärter der Quarantäne, dessen Aufgabe darin bestand, die Reisenden zu beobachten, die zur Erlangung eines Gesundheitspasses an der Grenze eine Zeit lang zurückgehalten wurden – weiter nichts. Das schien der anspruchslosen Bevölkerung von Werst vollkommen zu genügen. Wir müssen noch hinzufügen, dass Doktor Patak – wie sich das eigentlich von selbst versteht – ein starker Geist, um nicht zu sagen Freigeist war, und etwas derart muss ja wohl Jeder sein, der sich der Fürsorge und Pflege Seinesgleichen widmet. Er leugnete auch alle die abergläubischen Geschichten, die man sich im Lande der Karpaten erzählte, sogar die, die sich auf die Burg bezogen. Er lachte, er scherzte einfach darüber, und sagte man ihm, dass seit langer, langer Zeit Niemand gewagt habe, sich dem Schlosse zu nähern, so antwortete er Jedem, der es hören wollte: »Mir könnt Ihr ruhig zutrauen, dass ich sofort bereit wäre, dem alten Ritterneste einen Besuch abzustatten.«

      Da man es ihm zutraute und sich Jeder hütete, ihm zu widersprechen, hatte der Doktor Patak freilich keine Gelegenheit gefunden, seine Behauptung zu beweisen, und bei der herrschenden Leichtgläubigkeit blieb das Karpatenschloss nach wie vor in den undurchdringlichen Schleier des Geheimnisses gehüllt.

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