Mehr ausbrüten, weniger gackern. Andreas Müller
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Grosses Gegacker mit Riesenwirbel, wenn eine Reform die Bühne betritt. Keine Idee, wie die Reform umgesetzt werden könnte, sondern nur, warum sie nicht funktioniert. Meist legt sich die Aufregung dann bald wieder und alles ist wie vorher.
Die Sozialisierungshintergründe von Kindern und Jugendlichen weichen zunehmend voneinander ab. Es beschränkt sich nicht auf die offenkundigen kulturellen und ethnischen Unterschiede. Die Lebensgewohnheiten haben sich insgesamt grundlegend verändert. Andere Menschen waren zwar schon immer eines: anders. Aber heute sind sie noch deutlich «anderser». Das Stichwort «Heterogenität» prägt denn auch allenorts die schulischen Diskussionen – meist in Kombination mit dem Wort «Problem». Und in der Tat: Die Schule ist herausgefordert, mit dieser Diversität gescheit umzugehen. Das heisst beispielsweise: Es geht nicht einfach darum zu akzeptieren, dass Lernende unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, unterschiedliche Vorstellungen, unterschiedliche Ziele. Es geht auch darum, diese Unterschiede als Chance und Ressource zu nutzen. Und wenn man nur ein bisschen ernst nimmt, was man heute so weiss über unterschiedliche Lernvoraussetzungen, dann müsste das erhebliche Konsequenzen haben. Ein einigermassen gesunder Menschenverstand reicht um zu erkennen, dass die geschlossenen Marschkolonnen in den tradierten Strukturen immer weniger tauglich sind, mit der zunehmenden Vielfalt konstruktiv und Sinn stiftend umzugehen.
Wenn eine Gesellschaft ihre jungen Menschen nicht braucht und sie dies ausdrücklich wissen lässt, indem sie sie in Schulen, an Orten, von denen nichts ausgeht, kaserniert und mit sich selbst beschäftigt, sie von allen Aufgaben ausschliesst, dann zieht sie ihre eigenen Zerstörer gross. Hartmut von Hentig
Konstruktiv mit Vielfalt umgehen – das heisst in erster Linie mit einer Vielfalt von Menschen. Es heisst aber ebenso: mit einer Vielfalt von Dingen, mit einer allgemeinen und fast uneingeschränkten Verfügbarkeit. Das heisst: Immer mehr geht es auch darum, Mengen zu bewältigen. Dazu gehört unter anderem auch die Menge an Informationen.
Die Schleusen der globalen Informationskanäle stehen sperrangelweit offen. Pausenlos dringen Datenfluten in die hintersten Winkel der Welt. Sich darin zurecht zu finden ist ähnlich einfach, wie aus einem voll geöffneten Feuerwehrschlauch Wasser zu trinken. Die Schule muss Lernende deshalb befähigen, dieses permanente Wildwasser der Information für sich zu bändigen.
Viele Grenzen lösen sich auf. Nicht nur die politischen. Auch die Grenzen der Sprachen verschwinden im Staub der Völkerwanderungen. Was heisst beispielsweise heute «Muttersprache» in einer durchschnittlichen Schulklasse in einem durchschnittlichen Dorf? Deutsch? Das war einmal. Mehrsprachigkeit ist nicht einfach Thema bildungspolitischer Sonntagsreden, es ist eine schulpraktische Realität. Die Menge an Sprache und die Menge an Sprachen, damit gescheit umgehen zu können, das will gelernt sein.
Mehrsprachigkeit verlangt sozusagen nach mehr Sprachigkeit. Verbalisie rungs- und Visualisierungsfähigkeit sind Motor und Treibstoff zugleich, um das Boot des eigenen Denkens geschickt durch die Hochwassergebiete der Informationen zu manövrieren und sichere Ankerstellen zu finden.
«Ich wanderte im Land umher und suchte Antworten auf Dinge, die ich nicht verstand. Warum sich Muscheln auf den Berggipfeln finden, zusammen mit Abdrücken von Korallen und Pflanzen und Meeresalgen, die für gewöhnlich im Meer vorkommen. Warum der Donner eine längere Zeit dauert als das, was ihn verursacht und warum der Blitz dem Auge unmittelbar nach dem Zeitpunkt seiner Erzeugung sichtbar wird, während der Donner hundertmal länger für seinen Weg braucht. Wie die verschiedenen Kreise im Wasser sich um die Stelle formen, die von einem Stein getroffen wurde, und warum sich ein Vogel in der Luft hält.
Diese Fragen und andere merkwürdige Phänomene haben mein Denken während meines ganzen Lebens beschäftigt.»
Leonardo da Vinci
Der Schlüssel zum Erfolg steckt innen. Mit Erfolg ist gemeint: Anschlussfähigkeit. Und das ist weit mehr als das Wissen, dass die Rigi aus Nagelfluh besteht. Anschlussfähigkeit, das sind vor allem soziale und personale Kompetenzen. Es ist der Umgang mit sich und mit anderen. Es sind Werthaltungen und Tugenden. Anstand zum Beispiel. Wenn ein Kind vor noch nicht allzu langer Zeit etwas haben wollte, hiess das Schlüsselwort «bitte». Heute heisst es «subito».
Früher wuchsen Kinder meist mit mehreren erwachsenen Personen zusammen auf. Und sie hatten Geschwister. In diesem Geflecht von Auseinandersetzung und Rücksichtnahme wurden sie erzogen. Der Mehrpersonenhaushalt ist im Verlaufe der Jahre drastisch zusammengeschrumpft. Das sich daraus entwickelnde Leben in ungeteilter Aufmerksamkeit birgt die Gefahr, dass ganze elementare Tugenden verkümmern, Tugenden wie warten, zuhören, sich nützlich machen, bitte sagen und danke.
Auch wenn solchen Dingen der Geruch der Mottenkiste anhaftet: Die Schule – will sie zur Anschlussfähigkeit beitragen – muss sich ganz zentral um die Sozialisierung der Kinder kümmern. Oder ein bisschen direkter: um die Erziehung. Sie muss ein Ort sein, wo Kinder lernen, mit sich und mit anderen konstruktiv umzugehen.
Und sie muss ein Ort sein, wo Leistung einen Wert hat. Leistung verlangt auch immer wieder, sich selber zu überwinden. Und das Ergebnis: Stolz. Lernende sollen deshalb möglichst häufig die Erfahrung machen, dass es ein cooles Gefühl ist, sich überwunden und eine Leistung erbracht zu haben. Denn das Leben belohnt den Effort, nicht die Ausreden.
Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare, hat Christian Morgenstern einst formuliert. Daraus folgt: Körperliche Aktivitäten wirken sich positiv auf das Lern- und Leistungsverhalten aus. Lernende brauchen also Bewegung. Täglich. Und viel. Doch viele Kinder sind (auch) in dieser Beziehung arm dran. Die Medienorientierung und die damit einhergehende Passivität ist ein erschreckender Aspekt davon. Bereits zehn Prozent der Vier- bis Fünfjährigen haben in ihrem Zimmer einen eigenen Fernseher. Die Jugendlichen sitzen täglich mehrere Stunden in Konsumhaltung vor dem Bildschirm. Das hat Auswirkungen. Für Hirnforscher Manfred Spitzer jedenfalls ist klar: «Fernsehen macht dick, dumm und gewalttätig.» (Spitzer 2005)
Klar ist: Wer vor dem Bildschirm sitzt (oder liegt oder etwas dazwischen), bewegt sich nicht. Bewegungsarmut, eine zunehmende Beziehungslosigkeit zum eigenen Körper und damit eine Generation «Kartoffelsack» ist ein Ergebnis davon.
Kinder erleben die Welt häufig nur noch aus dritter Hand. Schulen müssen deshalb zu Orten der Aktivierung werden. Des Tuns. Des Herstellens. Des Handelns. Dabei geht es nicht um die Frage einer zusätzlichen Turnstunde. Vielmehr geht es darum, sich als