Amokdrohungen und School Shootings. Armin Himmelrath

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Amokdrohungen und School Shootings - Armin Himmelrath

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      .

      1.Die Amokplaner

      Schulanschläge machen Angst. Entsprechend leicht lässt sich mit einer Amokdrohung eine ganze Schule terrorisieren. Wer versteht, was in den Köpfen der Amokdrohenden und der Täter vorgeht, kann auf Alarmsignale frühzeitig reagieren.

      Erfurt, Emsdetten, Winnenden – diese Städtenamen (und viele andere) sind im kollektiven Gedächtnis mit sogenannten Amokläufen an Schulen verbunden. Die Vorstellung, dass ein schwer bewaffneter Schüler oder Ex-Schüler Rache an seinen Klassenkameraden, Lehrern und Mitschülern nimmt und gezielt mordet, ist schon als abstrakt formulierter Gedanke kaum greifbar. Umso größer sind das Entsetzen und der Schock, wenn ein Schulanschlag tatsächlich Realität wird.

      In anschließenden Debatten werden Sicherheitsmaßnahmen an Schulen diskutiert, Notfallpläne entworfen oder überarbeitet und scheinbar präventive Maßnahmen vorangetrieben. Oft sind solche Aktivitäten jedoch nur hilflose Reaktionen auf eine als unkontrollierbar und stark bedrohlich empfundene Vorstellung einer Situation. Tatsächlich ist die statistische Gefahr, als eine von weit über 50.000 Schulen im deutschsprachigen Raum zum Ziel eines Anschlags zu werden, sehr gering. Im Durchschnitt gab es in den vergangenen Jahren pro Jahr in Deutschland nur einen tatsächlich durchgeführten Schulanschlag oder den Versuch dazu. Entsprechende Meldungen aus der Schweiz und aus Österreich liegen nicht vor.

      Deutlich größer ist die Gefahr, als Schule mit einer Amokdrohung konfrontiert zu werden und entscheiden zu müssen, ob diese Drohung ernst zu nehmen und wie darauf zu reagieren ist. Seit 2005 gab es tausende bekannt gewordene Amokdrohungen gegen Schulen vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich und in der Schweiz. Meist sind sie inspiriert von School-Shootings in den USA und Europa. Diese Zahlen sind möglicherweise aber nur die Spitze des Eisbergs: Zahlreiche Fälle werden nicht öffentlich oder aktenkundig, vielleicht durch besonnenes Handeln der Betroffenen, durch gezieltes Schweigen gegenüber der Öffentlichkeit oder auch durch Ignoranz. Wie wichtig der Trittbrettfahrereffekt beim Thema Schulanschlag ist und wie stark Medienberichte und die Kommunikation in sozialen Netzwerken sind, wird noch thematisiert.

      1.1Der schwierige Umgang mit Drohungen

      Für Schulen und Lehrer ist es oft schwierig, die Bedeutung solcher Drohungen einzuschätzen, Gerüchte von tatsächlichen Alarmsignalen zu unterscheiden und in angemessener Weise aktiv zu werden. Um die Situation richtig einschätzen zu können, müssen Lehrkräfte für folgende Fragen sensibilisiert werden: Welche Regelmäßigkeiten gibt es bei den Schülern, die mit einem Schulanschlag drohen? Was treibt sie an? Wie und was planen sie? Wen weihen sie ein?

      Im Vorfeld einer Drohung oder eines Anschlags gibt es häufig wiederkehrende Muster, die es zu veranschaulichen gilt. Dieses Buch möchte den Lehrerinnen und Lehrern das Wissen vermitteln, das sie brauchen, um sich in Krisenpräventionsteams (KP-Teams) auf konkrete Bedrohungsszenarien an der eigenen Schule vorbereiten zu können. Im Mittelpunkt steht nicht die Analyse der Ereignisse, sondern der Blick auf das Zusammenleben an Schulen und auf die Unregelmäßigkeiten, die im Vorfeld einer konkreten Tat wahrnehmbar sind. Fast alle einschlägigen Studien zeigen, dass Schulattentäter vor ihrer Tat – bewusst oder unbewusst – Hinweise auf ihre Pläne geben. Leaking nennen das die Experten und sehen hier den wohl besten Ansatzpunkt für die Prävention.

      Das vorliegende Buch soll daher als Leitfaden dienen, der dabei hilft, einen möglichen Schulanschlag frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Da es sich bei School-Shootings in aller Regel nicht um spontane Amokläufe, sondern um vorbereitete Aktionen handelt, kann rechtzeitig präventiv interveniert werden. Voraussetzung ist allerdings, dass das Thema Amoklauf entmystifiziert wird: Denn die einfachen Erklärungsmuster vom Ego-Shooter spielenden, schwarz gekleideten Einzelgänger und Außenseiter stimmen nur bedingt. Werden Schulattentäter ausschließlich auf die Mitgliedschaft in einer Subkultur reduziert und nach einfachen Kriterien schubladenartig beurteilt, können komplexere Zusammenhänge übersehen werden. Es existiert keine Checkliste mit einhundertprozentiger Amokläufer-Identifikations-Garantie. Die Kriterien, die es gibt, können immer nur Bausteine in der Bewertung einer komplexen und emotionalen Situation sein. Gefragt ist nicht das Durcharbeiten von Fragebögen, sondern der pädagogische Blick auf die Gesamtsituation. Lehrerinnen und Lehrer sollen darin bestärkt werden, niedrigschwellige Krisenintervention zu leisten und Expertinnen und Experten anderer Fachdisziplinen heranzuziehen, wenn die notwendigen Maßnahmen über den pädagogisch-erzieherischen Alltag der Schule hinausreichen. Wird der Verdacht einer schweren zielgerichteten Straftat, wie es bei einem Schulanschlag der Fall ist, in Erwägung gezogen, muss die Schule handeln können. Ziel ist es deshalb nicht, die psychologische oder kriminologische Erklärung von Einzelfällen oder eine umfassende Chronik und Analyse der Schulanschläge im deutschsprachigen Raum vorzulegen, sondern der Versuch, sich wiederholende Strukturen zu verdeutlichen und damit frühzeitig konkrete Handlungsoptionen zu eröffnen.

      Die meisten School-Shootings gab es bislang in den USA, direkt gefolgt von Deutschland. Seit 1999 wurden insgesamt neun School-Shootings in Deutschland ausgeführt, auf die nachfolgend kurz eingegangen werden soll. Die Auflistung wurde aufgrund von Internetrecherchen erstellt und erfolgt chronologisch absteigend.

      •22. Mai 2012 – Memmingen (Bayern): Ein 14-jähriger Schüler bedroht an der Lindenschule andere Mitschüler mit Schusswaffen und flieht dann. Er wird festgenommen.

      •18. Februar 2010 – Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz): Ein 23-Jähriger, bewaffnet mit Messer und Schusswaffe, tötet in der Technischen Berufsschule seinen ehemaligen Lehrer. Die Polizei kann ihn stellen.

      •17. September 2009 – Ansbach (Bayern): Ein 18-Jähriger greift im Gymnasium Carolinum seine Mitschüler mit Messern, einer Axt und Brandsätzen an. Die Polizei stellt den Täter und verletzt ihn schwer. Zwei Schüler tragen gravierende Verletzungen davon, neun Schüler werden ebenfalls verletzt. Ein Mädchen erleidet schwere Brandverletzungen, eine andere Schülerin hat tiefe Stichwunden am Kopf.

      Die Polizei findet im Zimmer des Täters das Kalenderblatt, auf dem „Apocalypse today“ vermerkt ist. Sein Vorbild seien frühere Schulmassaker in den USA gewesen, so die Polizei. Der Täter plante seine Tötung durch die Polizei mit ein. Auf seinem Laptop können mehrere Dokumente rekonstruiert werden. Sie zeigen, dass der Schüler bereits Mitte April ein School-Shooting im Sinn hatte und Mitte Mai erste konkrete Pläne ausarbeitete – bis hin zu Tatzeit, Bewaffnung und Etagenaufteilung des Schulgebäudes. Sein Plan soll es gewesen sein, mit Feuer alle Schüler aus ihren Klassenzimmern zu treiben, um diese dann auf der Flucht mit der Axt zu attackieren. Somit ging der Täter nicht ziel- und personengerichtet vor. Es ging ihm in erster Linie darum, so viele Schüler wie möglich hinzurichten.

      •11. März 2009 – Winnenden (Baden-Württemberg): Ein 17-jähriger ehemaliger Schüler der Albertville-Realschule schießt in drei Klassenzimmern auf neun Schüler (im Alter von 14 und 15 Jahren) und drei Lehrerinnen, mit tödlichem Ausgang. Er trägt einen schwarzen Kampfanzug. Der Täter schießt nicht wild um sich, sondern richtet mit seiner 9-Millimeter-Pistole acht Schüler mit einem Kopfschuss hin. Anschließend verlässt er das Schulgebäude und tötet einen Mitarbeiter einer nahegelegenen Klinik. Er zwingt einen Autofahrer, ihn zu fahren, lässt die Geisel aber später wieder frei. 40 Kilometer weiter, in Wendlingen, kommt es bei einem Autohaus und einem Supermarkt zum Schusswechsel zwischen Amokläufer und Polizei. Dabei werden zwei Passanten getötet

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