Amokdrohungen und School Shootings. Armin Himmelrath

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Amokdrohungen und School Shootings - Armin Himmelrath

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6.000 in Österreich und rund 6.500 in der Schweiz ist nicht nur die Zahl möglicher Drohziele enorm, sondern eine maximale öffentliche Aufmerksamkeit ist garantiert. Schulen gelten als Schon- und Rückzugsraum für Kinder und Jugendliche. Wer massiv in diese Welt einbricht, beispielsweise mit einer Todesdrohung, begeht damit eine maximale Grenzüberschreitung.

      1.3Schulanschläge und Drohungen als kommunikativer Akt

      Schulanschläge und Drohungen mit einem Amoklauf müssen als kommunikativer Akt begriffen werden, wie es bereits der Soziologe Lorenz Graitl in seinem Buch Sterben als Spektakel 2 beschreibt. Er geht zwar nur am Rande und aus Gründen der Abgrenzung spezifisch auf Amokläufer ein, dennoch lassen sich viele seiner kommunikationsbezogenen Erkenntnisse auf die Motivation von Schulattentätern übertragen. Tatsächlich sind die Medien das erste Hilfsmittel zur Verbreitung der Tat, wenn es in einem solchen Fall um kommunikative Aufmerksamkeit geht. Schulanschläge und ihre Androhung erfüllen alle journalistischen Kriterien, die solche Ereignisse zu einem Topthema machen: Eine hohe Dramatik und Aktualität, die persönliche Betroffenheit vieler Leser, Hörer und Zuschauer, eine große emotionale Tiefe des Themas und außergewöhnliche kriminelle Energie kommen hier zusammen. Die Medien sind zur Berichterstattung gezwungen und müssen permanent darauf achten, dass die Weitergabe der Informationen trotz des aktuellen Drucks angemessen bleibt. Die Berichterstattung in Winnenden konnte dem nicht immer standhalten, wie die folgende Abbildung zeigt.

      Abb. 1: Medienschlagzeilen zum Schulanschlag von Winnenden (2009)

      Eine reißerische Aufmachung der Berichterstattung kann vom Täter auch als Gratifikation aufgefasst werden. Auf der einen Seite besteht ein großes öffentliches Interesse an derart weitreichenden Ereignissen, gleichzeitig erfüllt ein Journalist, der über einen angedrohten oder durchgeführten Schulanschlag berichtet, aber auch die Handlungserwartungen des Täters und trägt damit zur Faszination des Terrors bei.

      1.4Werther- und Copycat-Effekt

      Diese Problematik gab und gibt es auch bei anderen Themen, die im Fokus der medialen Aufmerksamkeit stehen. So löste Johann Wolfgang von Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers mit seinem Erscheinen 1774 eine regelrechte Nachahmungswelle von Selbsttötungen aus. Fachleute sprechen deshalb bis heute vom Werther-Effekt, wenn mediale Berichterstattung über ein (Tötungs-)Ereignis zu entsprechenden Nachahmungstaten führen. In der englischsprachigen Medienwirkungsforschung ist in diesem Zusammenhang auch vom Copycat-Effekt die Rede: Was medial ausführlich dargestellt wird, regt Nachahmer an. Dass es sich keineswegs um einen antiquierten Effekt handelt, wurde 1981 auf tragische Weise belegt: Das ZDF strahlte die sechsteilige Fernsehserie Tod eines Schülers aus. Der Selbstmord des 19-jährigen Schülers Claus Wagner, der sich vor einen Zug wirft, steht im Mittelpunkt der Serie. In der Folgezeit stieg die Suizidrate unter 15- bis 19-jährigen männlichen Schülern um 175%. Bestätigt wurde dieser Effekt, als die Staffel 1983 trotz der Warnungen von Psychologen noch einmal gesendet wurde. Die Zahl der Nachahmer-Selbstmorde stieg erneut auf über das Doppelte an. Obwohl das ZDF anschließend Studien vorlegte, nach denen die Serie und die gestiegene Zahl der Selbstmorde auf Bahngleisen nicht ursächlich miteinander zu tun hatten, ließen die Fernsehverantwortlichen die sechs Folgen dennoch bis vor wenigen Jahren für die Videoauswertung sperren.

      Wichtige Aspekte für die Nachahmung solcher Taten ist die Anzahl der konkreten Identifikationspunkte. Je mehr sich ein Leser oder Zuschauer mit der dargestellten Figur identifizieren kann und je mehr Einzelheiten über das Umfeld, aber auch über die Tat selbst geschildert werden, umso leichter wird es potenziellen Nachahmern gemacht.

      Der Arzt und Psychiater Volker Faust3 warnt vor diesen möglichen Identifikationspunkten und bittet die Medien bei der Suizidberichterstattung ausdrücklich um die Einhaltung folgender Punkte:

      •Angaben zur biologischen und sozialen Identität vermeiden.

      •Angaben zur Suizidmethode und zum Ort des Selbstmords vermeiden.

      •Keine Spekulationen über Hintergründe und Motive anstellen.

      Damit könne, so Faust, wirksame Prävention im Hinblick auf Nachahmungstäter betrieben werden, um den Werther-Effekt nicht erst entstehen zu lassen.

      Ausgiebige Hintergrundinformationen zum Werther-Effekt vermittelt der Arzt und Neurologie-/Psychiatrieprofessor Volker Faust auf der Webseite http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/werther.html.

      Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, Suizidberichterstattung zu unterlassen, wäre aus psychiatrischer Sicht sinnvoll, aus journalistischer Perspektive aber kaum umzusetzen. Ein generelles Themenverbot käme einer Zensur nahe. Der Verzicht auf ethisch reflektierte Grenzen der Berichterstattung wäre allerdings auch keine Lösung. „Eine suizidpräventive Berichterstattung steht im krassen Gegensatz zu journalistischen Grundregeln“4, beschreiben auch die Psychiater Walther Ziegler und Ulrich Hegerl in ihrem Artikel Der Werther-Effekt das journalistische Dilemma in dieser Situation. Wie aber können und wie sollten Medien über Ereignisse wie Suizide, Schulanschläge oder deren Androhung berichten, von denen ein hohes Nachahmungspotenzial ausgeht?

      Die Debatte darüber ist nicht neu. „Beschreibe den Suizidenten, die Methode, den Ort, die Lebensverhältnisse und die Gründe so abstrakt, dass sie kein Anschauungsmaterial mehr enthalten, das einer möglichen Identifikation und Enthemmung Vorschub leisten könnte“5, formuliert Volker Faust sein Credo an Journalisten. Mit anderen Worten: Gefordert ist eine ethisch-moralische Abwägung zwischen Selbstbeschränkung und Informationsvermittlung. Wie schwer diese Abwägung fällt und wie groß die Herausforderung an die berichterstattenden Journalistinnen und Journalisten im Einzelfall sein kann, zeigt der Blick in die deutschsprachigen Pressekodizes. „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände“6, heißt es etwa in den Richtlinien zum Deutschen Pressekodex. „Journalistinnen und Journalisten üben bei Suizidfällen größte Zurückhaltung“7, formulieren es die Richtlinien des schweizerischen Presserats, „um das Risiko von Nachahmungstaten zu vermeiden, verzichten Journalistinnen und Journalisten auf detaillierte, präzise Angaben über angewandte Methoden und Mittel.“8 Im Ehrenkodex des österreichischen Presserats wird formuliert:

      »Berichterstattung über Suizide und Selbstverstümmelung sowie Suizidversuche und Selbstverstümmelungsversuche gebietet im Allgemeinen große Zurückhaltung. Verantwortungsvoller Journalismus wägt – auch wegen der Gefahr der Nachahmung – ab, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, und verzichtet auf überschießende Berichterstattung.9 «

      Volker Faust verweist in seinen Ausführungen außerdem auf die in den BBC-Producer-Guidelines festgelegten Vorgaben: „Die Berichterstattung über Suizide könnte

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