Vernichten. Hansjörg Anderegg

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Vernichten - Hansjörg Anderegg

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ins Büro der Staatsanwaltschaft. Sie versuchte, das eisige Schweigen mit der Versicherung zu brechen, der verlangte Abschlussbericht würde pünktlich bis Mittag auf ihrem Schreibtisch landen.

      »Es geht nicht darum«, gab die Staatsanwältin nervös zurück.

      Als sie sich gegenübersaßen, schob sie eine Akte über den Tisch.

      »Das LKA hat Mist gebaut. Lesen Sie!«

      Fälle, in denen sie Kollegen an den Karren fahren musste, hasste sie besonders, und Winter wusste es. Sollte das eine Art Strafaktion werden für häufige Alleingänge? Bevor sie die Akte aufschlug, suchte sie die Antwort in Winters Augen, doch da gab es nichts zu lesen.

      Der Bericht begann wie einer von tausend Fällen, denen sie in der Abteilung für schwere und organisierte Kriminalität täglich begegnete. Das einzig Ungewöhnliche schien der Ort des Verbrechens zu sein, jedenfalls aus Sicht des Bundeskriminalamts. Zwei deutsche Staatsbürger, das Ehepaar Martha und Tobias Meier aus Berlin, waren in einem Hotelzimmer in Sankt Petersburg erschossen aufgefunden worden. Bei der Lektüre des zweiten Abschnitts konnte sie einen Ausruf der Überraschung nicht unterdrücken.

      »Verdeckte Ermittlungen des LKA in Sankt Petersburg?«, murmelte sie ungläubig.

      »Verstehen Sie jetzt, was ich mit Mist meine?«

      »Allerdings.«

      Martha und Tobias Meier waren unter falscher Identität nach Russland eingereist. In Wirklichkeit handelte es sich um die Kommissare Katharina Bach und Malte Friedmann vom LKA. Über den Grund des verdeckten Einsatzes blieb der kurze Bericht vage mit dem Verweis auf die Ermittlerin in Berlin, Hauptkommissarin Monika Weber vom LKA 4, zuständig für organisierte Kriminalität und Bandendelikte.

      »Ich möchte, dass Sie diesen Fall übernehmen, Dr. Roberts«, sagte die Staatsanwältin. »Finden Sie die Täter von Sankt Petersburg, und finden Sie um Gottes willen heraus, was da im LKA falsch läuft.«

      Es war eine Bitte, kein Befehl. In Winters Stimme schwang ein Hauch banger Hoffnung mit. Chris sparte sich die Diskussion um Zuständigkeiten. Sie wussten beide, dass dieser Doppelmord ein Fall für die russischen Behörden war. Aber die Tatsache, dass es sich bei den Opfern um deutsche Polizisten handelte, deren Identität und Aufgabe auf keinen Fall an die Russen durchsickern durften, barg erheblichen Sprengstoff.

      »Da werden meine drei Lektionen Russisch nicht weiterhelfen«, versuchte sie zu scherzen.

      Winter ignorierte die Bemerkung.

      »Dank der grenzenlosen Dummheit der Kollegen vom LKA stehen wir unter einem enormen Druck. Das werden Sie verstehen. Die Sache erfordert äußerstes Fingerspitzengefühl. Der Fall ist Verschlusssache und streng geheim. Ich muss über jeden Schritt informiert sein und ich genehmige jeden Zugriff Dritter auf die Akten. Sonst haben Sie freie Hand. Haben wir uns verstanden?«

      »Ich bin also auf mich allein gestellt«, fasste Chris nüchtern zusammen.

      Winter versuchte zu lächeln. »So kann man es auch ausdrücken.«

      Chris wandte sich zum Gehen. »Haben Sie die Kollegin Weber schon vorgeladen?«

      Winter schüttelte den Kopf. Bevor sie das Büro verließ, wandte sie sich noch einmal an sie:

      »Dr. Roberts …«

      »Ja?«

      »Sieht schick aus, die neue Frisur, gefällt mir.«

      »Danke«, antwortete sie perplex, nach Hintergedanken forschend.

      »Ich habe mir auch schon überlegt, so etwas machen zu lassen.«

      Bloß nicht!, dachte sie erschrocken und zog die Tür hinter sich zu. Für einmal konnte sie den Ärger der Staatsanwältin über die Dilettanten im LKA nachvollziehen. Sie war versucht, die harte Tour zu fahren, Hauptkommissarin Weber wie eine Verdächtige vorzuladen und ihr erst einmal die Leviten zu lesen. Nachdem sie Haase mit den notwendigen Informationen über den Fall vertraut gemacht hatte, entschied sie sich für die wissenschaftliche Methode: beobachten, zuhören und erst dann Schlüsse ziehen.

      Eine halbe Stunde später betrat sie das LKA-Gebäude am Tempelhofer Damm. Das Erste, was ihr an Monika Weber auffiel, war die tiefe, männliche Stimme. Sanft, angenehm, aber sie passte nicht zu den harten, fast abgehärmten Gesichtszügen. Die Frau, zwanzig Jahre älter als sie, erweckte den Eindruck, als wäre sie schon etliche Male durch die Hölle gegangen, zuletzt wohl am Vortag bei der Nachricht aus Sankt Petersburg. Im Besprechungszimmer wartete ein Mann um die vierzig in betont lässiger Pose.

      »Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich meinen Partner zuziehe?« Ohne die Antwort abzuwarten, stellte Monika Weber ihn vor: »Oberkommissar Dieter Vogel, auch LKA 4.«

      »Ganz ohne Staatsanwaltschaft?«, fragte er bissig.

      Chris ließ sich nicht provozieren. An diesem schönen Tag schon gar nicht.

      »Staatsanwältin Winter wird Sie nicht mehr belästigen«, sagte sie lächelnd, »dafür bin ich jetzt da.«

      Der Scherz trug nicht zur Entspannung bei. Sie beeilte sich, ihren Auftrag sachlich zu schildern, wobei sie betonte, alle verfügbaren Ressourcen des BKA einzusetzen, um die Tat aufklären zu helfen. Kollege Vogel traute dem Frieden nicht, setzte zu einer Entgegnung an, hielt jedoch den Mund auf ein Zeichen seiner Partnerin.

      »Am besten erzählen Sie mir alles, was Sie über die verdeckte Ermittlung der Opfer in Sankt Petersburg wissen«, schlug sie vor.

      Monika Weber deutete auf eine Reihe Ordner im Regal an der Wand.

      »Im Grunde genommen steht alles da drin. Das sind die Ergebnisse von sieben Jahren Ermittlungsarbeit. Es fällt mir nicht leicht, das Material zusammenzufassen. Das dürfen Sie mir glauben, Dr. Roberts.«

      »Chris«, unterbrach sie. »Vergessen Sie den Doktor. Kollegen nennen mich Chris.«

      »Also gut, Chris, ich versuch’s. Vielleicht ist es am besten, am Schluss anzufangen, bei der Katastrophe in Sankt Petersburg.«

      Ihr Partner breitete schweigend Fotos auf dem Tisch aus, welche die russische Polizei am Tatort geschossen hatte.

      »Sieht auf den ersten Blick wie eine fatale Abrechnung unter Eheleuten aus«, bemerkte Chris. »Wer ist das Mädchen?«

      Monika Weber zuckte die Achseln. »Wir wissen es nicht, und die Kollegen der Kripo in Sankt Petersburg konnten ihre Identität bisher auch nicht feststellen.« Sie verstummte für kurze Zeit, bis sie mit einem Kloß im Hals sagte: »Ich weiß, wie das für Sie aussehen muss. Wir lassen zwei Leute undercover in Sankt Petersburg ermitteln, wozu wir gar nicht berechtigt sind, und tappen zudem im Dunkeln darüber, was die beiden im Hotelzimmer gewollt haben. Sie müssen glauben, wir hätten komplett den Verstand verloren.«

      Chris hätte es nicht besser ausdrücken können. Laut sagte sie:

      »Ich bin sicher, die Geschichte hört sich aus Ihrer Sicht ganz anders an.«

      »Da haben Sie verdammt recht«, schaltete Kollege Vogel sich ein.

      Die Erklärung überließ er wieder seiner Partnerin.

      »Es begann

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