Staatsfeinde. Hansjörg Anderegg

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Staatsfeinde - Hansjörg Anderegg

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nicht nur der brillanteste Fallanalytiker, den sie kannte, er beherrschte auch die hohe Kunst der Baristas. Sein wunderbar cremiger Ristretto war allein schon eine Reise zum Bundeskriminalamt am Treptower Park wert.

      Unterwegs im Auto ließ sie sich von ihm briefen. Mit einer Tasse seines edlen Gebräus betrat sie wenig später Staatsanwältin Winters Büro, im Kopf die klare Vorstellung, was sie erwartete und was die andern von ihr zu erwarten hatten. Der Unbekannte an Winters Besprechungstisch musste Staatssekretär Panzer sein. Er erhob sich und stellte sich vor, eine unerwartete Geste, die ihre kompromisslose Haltung zu untergraben drohte. Nicht unsympathisch, musste sie zugeben, beinahe schon Kategorie Generalbundesanwalt Osterhagen, dessen Gegenwart sie einige Male in der Vergangenheit verwirrt hatte.

      »Ich nehme an, das BMI interessiere sich nicht in erster Linie für einen Mordfall in Aachen«, bemerkte sie lächelnd.

      Staatsanwältin Winter rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, bereit einzugreifen, falls nötig. Sie war die Einzige unter Hochspannung im Raum. Das Gespräch zwischen dem Vertreter des Innenministers und ihr selbst verlief geradezu beängstigend harmonisch. Es lag wohl daran, dass Panzer wie das Ministerium von einer wenig fassbaren Angst getrieben war. Das BMI fürchtete, die durch Proteste in den sozialen Medien und einem Teil der Presse aufgeheizte Stimmung in der Bevölkerung könnte kippen, in Gewalt ausarten und das ganze Land überziehen.

      »Und jetzt die Morde in Aachen«, sagte Panzer düster. »Der Minister, was sage ich, das halbe Kabinett fürchtet, diese mysteriösen Geschworenen könnten ihre Drohung wahr machen. Klaus Hartmann gibt offen zu, dass die Nerven im Kanzleramt blank liegen.«

      Vielleicht etwas übertrieben, dachte sie, aber die Gefahr war nicht von der Hand zu weisen. Winter brach ihr Schweigen.

      »Müsste unter diesen Umständen nicht eher das Justizministerium aktiv werden?«

      Er stimmte zu, schränkte allerdings ein:

      »Es ist eine heikle Gratwanderung, wie Sie sich vorstellen können. Noch liegen keine Straftaten vor außer den bedauernswerten Fällen in Aachen. Hetze im Internet und Drohungen auf Transparenten sind weitgehend erlaubt, Meinungsäußerungsfreiheit.«

      Winter bohrte weiter. Die Staatsanwältin wusste wie Sie, worauf diese Besprechung hinauslief: auf einen politisch delikaten Spezialauftrag. Den wollte die Juristin wenigstens klar umreißen und wenn möglich aufs Machbare beschränken. Chris sah keine Veranlassung, sie daran zu hindern.

      »Das BMI möchte also die gefährliche Hetzkampagne beenden, das verstehe ich«, sagte Winter. »Bundesanwaltschaft, BKA und vor allem der Verfassungsschutz haben doch aber die Mittel, um in einem solchen Fall präventiv einzugreifen. Weshalb geschieht das nicht?«

      Panzer nickte lächelnd. »Wer sagt, dass das nicht der Fall ist?« Nach kurzem Zögern fügte er an: »Eine entsprechende Taskforce hat vor zwei Tagen die Arbeit aufgenommen.«

      Es war an Winter, diese Nachricht mit einem Lächeln zu quittieren, obwohl ihr das nie richtig gelang. Lächeln passte einfach nicht zu ihrem Gesicht. Das Wort Taskforce gefiel Chris ganz und gar nicht. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich, als sie fragte:

      »Was haben wir damit zu tun?«

      »Gar nichts.«

      Panzers Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, als wüsste er um ihre Allergie gegen Gruppenarbeit aller Art über verschiedene Behörden hinweg. Er betrachtete sie eine Weile, nickte dann schmunzelnd und sagte:

      »Curd hat mich gewarnt.«

      Der Name elektrisierte sie.

      »Osterhagen?«, platzte sie heraus. »Sie sprechen vom Generalbundesanwalt?«

      »Er hat mich überzeugt, Sie einzuschalten – oder es zumindest zu versuchen.«

      Winters Gesicht leerte sich. Sie gab die Schlacht verloren. Gegen ihren obersten Chef konnte sie nichts ausrichten. Panzer verlor keine Zeit und beschrieb kurz und präzise, was Bundesanwaltschaft und Innenministerium von ihr erwarteten.

      Gegen Mitternacht fuhr sie auf der A2 Richtung Westen, den klaren Auftrag im Gepäck, die Geschworenen zu identifizieren. Haases Akte darüber und über die Morde in Aachen lag im Kofferraum. Sie füllte bereits zwei dicke Ordner. Osterhagen würde ihr den Rücken freihalten und sie unterstützen. Daran zweifelte sie keinen Augenblick. Ein Problem stellten einzig die Kollegen vom LKA Düsseldorf dar. Sie konnte sich deren Begeisterung über die Verstärkung aus Berlin lebhaft vorstellen.

       KAPITEL 2

      Wiesbaden

      Am frühen Morgen fuhr sie direkt zur BKA-Zentrale in Wiesbaden. Hier hatte ihre Karriere als Ermittlerin begonnen, falls man die erlebten Höhen und Tiefen so bezeichnen wollte. Nostalgische Gefühle kamen nicht auf, zu sehr beschäftigte sie die Eiszeit zu Hause. Schlimm genug, dass sie und Jamie sich auseinander lebten, vor allem aber sah sie keine Verbesserung, falls sich beide an ihren Job klammerten.

      Mit einem leisen Fluch stieß sie die Tür zur Cafeteria auf. Wenn Sie jetzt nichts zwischen die Zähne bekam, würde sie zusammenklappen, bevor sie Uwe gefunden hätte. Telefonisch war der IT-Spezialist, dem sie nachgerade alles zutraute, was entfernt mit Computern zu tun hatte, während der ganzen Nacht nicht zu erreichen gewesen. Uwes abgeschaltetes Smartphone bedeutete nichts Gutes. Sie stopfte rasch ein fast zu Staub zerfallendes Schoko-Hörnchen in sich hinein. Die frischen würden erst in zwei Stunden geliefert, versicherte die Kassiererin mit vorwurfsvollem Blick. Das gebräunte Wasser, das hier als Kaffee verkauft wurde, verhinderte wenigstens den drohenden Erstickungsanfall.

      Das Großraumbüro, wo Uwe Wolf mit zwei Dutzend anderen Nerds arbeitete, als wäre er einer von ihnen, empfing sie kalt und leer wie ihr Haus in Dahlem. Er war keiner von ihnen. Nicht nur sein IQ unterschied ihn vom gewöhnlichen Volk. Er besaß auch ein paar Eigenschaften, die den Umgang mit ihm nicht eben erleichterten.

      »Die werden doch nicht wieder alle an einer bescheuerten Sitzung ihre Zeit vertrödeln«, murmelte sie ärgerlich.

      Schon auf dem Sprung zum Abteilungsleiter, der sie fürchtete wie Uwe fremde Hände auf seiner Tastatur, sah sie, wie eine junge Frau lachend hereinplatzte. Sie erkannte Lena erst auf den zweiten Blick, aufgekratzt, strahlend, in einem geradezu unverschämt entblößenden Trägerleibchen. Aus dem Mauerblümchen am Platz gegenüber Uwes Burgwall aus Bildschirmen war eine junge Frau geworden, die ihr Glück gefunden hatte, wie es schien.

      »Gott sei Dank, Lena«, grüßte sie schmunzelnd. »Ich dachte schon, die hätten eure IT aus Spargründen dichtgemacht.«

      Lena erinnerte sich sofort an sie, obwohl die letzte Begegnung knappe zwei Jahre zurücklag.

      »Chris!«, rief sie überrascht. »Verstecken sich die schweren Jungs wieder im Netz?«

      Lenas Transformation war vollkommen. Die Frage nach dem Grund lag Chris auf der Zunge, doch sie hielt sich zurück. Der Grund betrat gerade das Büro, wie sie an der leichten Errötung von Lenas sonst schneeweißen Wangen erkannte.

      »Uwe, rate mal, wer da ist«, rief sie dem Gesuchten entgegen, als hätte er keine Augen im Kopf. Zu ihr gewandt, fügte sie kichernd hinzu: »Ein Pfeiler in der Tiefgarage stand heute Morgen am falschen Platz.«

      Die Liebe musste noch sehr jung sein, wenn das der Grund für ihre Heiterkeit war.

      »Hauptkommissarin

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