Im Auto um die Erde. Max Reisch

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Im Auto um die Erde - Max Reisch страница 2

Im Auto um die Erde - Max Reisch

Скачать книгу

gehört haben wollen und mich nicht einmal kennen, kann ich Ihnen nur dringend raten, in frühestens einem halben Jahr wiederzukommen.«

      Das war ein trauriges Erlebnis. In die Faschingszeitung der Hochschule kam es auch. Alle haben furchtbar gelacht. Nur mir war nicht danach zumute. Um mein seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen, beschäftigte ich mich mit einem neuen Reiseprojekt: »Auf dem Motorrad nach China.« Eigentlich ganz naheliegend: Auf der großen Karawanen-Route durch Asien, die südlich des Himalajas vom Mittelmeer zum Chinesischen Meer läuft, hatte ich bisher die Hälfte zurückgelegt: am Landweg nach Indien. Nun war der zweite Teil fällig – von Indien nach China. Professor Dietrich, der meine bisherigen Pläne aus seiner wissenschaftlichen Sicht gefördert hatte, sagte: »Ein verkehrsgeographisch interessantes Projekt! Es gilt, den langen Seeweg um Singapore herum zu vermeiden und stattdessen am Landweg an der Wurzel von Hinterindien eine Verbindung zwischen Vorderindien und China zu suchen.«

      Solchermaßen angeregt, arbeitete ich aufgrund der vorhandenen Unterlagen im Institut ein Exposé aus, um der Industrie, die ja das Geld liefern sollte, das Projekt schmackhaft zu machen. Es war eine hübsch gebundene Broschüre mit Landkarten, Diagrammen, Zeit- und Kostenberechnungen. Es galt die Direktoren zu begeistern.

      Gerne hätte ich das Projekt persönlich vorgelegt und erläutert. Aber das Sekretariat ließ mich wissen, der Direktor sei verreist, ich möge doch bitte alles schriftlich einreichen. Das schätzte ich gar nicht, denn da kam dann vielleicht ein kurzer, unpersönlicher Brief, man bedaure usw. Das war tatsächlich eine Gefahr, denn es herrschte eine große Wirtschaftskrise just in jener Zeit.

      Aber es blieb mir nichts anderes übrig. Ich reichte schriftlich ein. Vorher schrieb ich das ganze Expose noch einmal um. Präziser, schärfer, selbstbewusster und die Kosten setzte ich höher an. Dann wartete ich, ziemlich lange und ich war mit mir, Gott und der Welt, allen Professoren und Direktoren in höchstem Maße unzufrieden. Und mein Gewissen wurde immer schlechter: Hatte ich in den Lichtbildvorträgen oder in einem Zeitungs-Interview etwas Dummes gesagt? Es war mir schon nahegelegt worden, in meinen Stegreifvorträgen vorsichtiger zu sein. Über den Sekretär des Konsulats in Bagdad zum Beispiel hatte ich eine bissige Bemerkung gemacht und der persische Schah hatte durch seine Wiener Gesandtschaft Protest gegen ein Bild eingelegt: eine Kamelkarawane vor dem persischen Justizministerium in Teheran. Welche Unverschämtheit! Wo doch Persien so modern ist und es in den Straßen der persischen Metropole keine Kamele gibt … Hatte ich über meine treue »Indien-Puch« etwas Unrechtes gesagt? Ja, die Speichen waren gerissen, die Sattelfeder gebrochen, das habe ich gesagt! Ein Vierganggetriebe und eine Federung des Hinterrades hatte ich energisch gefordert. Hatte ich sonst noch etwas gesagt, das österreichische Werkmannsarbeit geschmäht haben konnte?

      Ich war mir keiner Schuld bewusst. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen.

      Schließlich kam die Antwort. Nicht vom Herrn Direktor. Nanu? Ich musste zweimal lesen, bis ich erfasste: »Der Herr Generaldirektor erwartet Sie am 2. Oktober um 15 Uhr zu einer Besprechung.« Das war ein schicksalsschwerer Brief: Sollte ich mich freuen? Oder würde mir von allerhöchster Stelle eine Strafpredigt gehalten werden? Mein Gewissen war infolge der langen Wartezeit immer schlechter geworden.

      15.10 Uhr. »Der Herr Generaldirektor lässt bitten.« Wie furchtbar das klang!

      Der Weg war endlos lang. Ich glaube, nach China ist er kürzer. Man hat von Diktatoren gelesen, dass sie über ein Arbeitszimmer verfügen, dessen Durchschreitung einem Canossagang gleichkommt. Mir ging es ähnlich. Ich wurde klein und immer kleiner. Ich dachte: Du hättest die Reisekosten nicht erhöhen sollen. Verringern hättest du sie sollen, du Tor!

      Dann hörte ich wie aus weiter Ferne eine Stimme: »Die Ergebnisse Ihrer Indienreise haben uns recht befriedigt.«

      Ich verbeugte mich stumm.

      »Aber nun haben wir genug Werbung für unser Motorrad gehabt.« Der Herr Generaldirektor machte eine Kunstpause, (während der mir das Herz endgültig in die Hose rutschte) und dann fuhr er fort: »Muss es unbedingt ein Motorrad sein? Warum wollen Sie eigentlich keinen Wagen nehmen?«

      Das »Eigentlich« des Generaldirektors half mir.

      Ja, warum eigentlich nicht? Ich riss mich zusammen und sagte: »Das wäre ein großartiger Plan, kühner als ich ihn je geträumt habe.«

      Der Generaldirektor lächelte. »Wir sehen das Problem aus einer größeren Perspektive. Unser neues Modell Steyr 100 liegt uns am Herzen. Es soll sich in der Welt bewähren. Trauen Sie sich zu, unser neues Modell durch China zu steuern?«

      »Ja, Herr Generaldirektor.«

      »Die von Ihnen genannten Kosten würden sich natürlich für den Wagen entsprechend erhöhen.«

      »Ja, Herr Generaldirektor.« (Es war wie im Märchen.)

      »Sagen wir das Doppelte des Vorschlages von Ihrem Exposé?«

      »Ja, Herr Generaldirektor.« (So etwas kommt eigentlich nur im Kino vor.)

      »Wir legen aber größten Wert auf Serienmäßigkeit. Nichts darf mechanisch verändert werden! ›Herr Jedermann‹ muss das Gefühl haben, auch er könne mit einem Steyr 100 nach China fahren.«

      »Ja, Herr Generaldirektor.«

      »Wann wollen Sie fahren?«

      »Im Mai«, sagte ich aufs Geratewohl. Jetzt nur keine Unsicherheit zeigen.

      »Gut. Bis dahin erhalten Sie eine Limousine unserer neuen Type, damit Sie sich mit dem Wagen vertraut machen können. Alles Weitere besprechen Sie mit Direktor X, Direktor Y und Ingenieur Z. Viel Glück!«

      Die Unterredung hatte etwa zehn Minuten gedauert. Ich wankte aus dem Saal hinaus. Im Kopf schwirrte es: im Auto nach China, Reisekosten zuerst schon erhöht, dann nochmal verdoppelt, Limousine zum Privatgebrauch …

      Im Auto vom Mittelmeer zum Gelben Meer!

      Ist das leichter oder schwerer als mit dem Motorrad? Ich wusste es selbst nicht.

      Auf vier Rädern

      Die prächtige Limousine • Wer fährt mit? • Der richtige Partner • Helmuth

      Hahmann, Chefingenieur und Kameramann • Karosserie nach eigenen Ideen •

      Expeditionsgepäck in Hülle und Fülle • Aber die Erleuchtung kam zu spät

      Ich war noch wie betäubt und wusste nicht, ob ich mich freuen sollte. Im Resselpark, hinter dem Verwaltungsgebäude der Steyr-Daimler-Puch AG, stürmten die Gedanken auf mich ein. Lach ein bissl, drängten sie. Jetzt wirst du dir nicht mehr die Knie zerschinden und die Waden verbrennen am heißen Auspuff und Gepäck kannst du mitnehmen, soviel du willst! Sogar den Tennisschläger! Du bist ein Schuft, mahnten sie dann gleich darauf; hat dich dein Motorrad nicht treu und brav bis nach Indien gebracht? War es nicht dein guter Freund? Und jetzt lässt du es im Stich! Dieser Gedanke war mir schmerzlich. Denn ich war verliebt in mein Motorrad, in die vielen gemeinsamen Erinnerungen und auch in seine kraftvolle Sprache. Ob dem Motor zu heiß war oder zu kalt, ob er freudig arbeitete oder widerwillig, ob das Benzin gut war oder schlecht, ob ihn ein geheimnisvolles Leiden zu quälen begann, das alles sagte mir sein Klang. Und nun sollte ich mein sprechendes Motorrad mit einem lautlosen Automobil vertauschen. Das war mir neu und fast unheimlich. Außerdem konnte ich nicht Autofahren.

      Das Motorrad beherrschte ich, das Auto war ein großes Fragezeichen und in ein paar Monaten sollte ich damit

Скачать книгу