Im Auto um die Erde. Max Reisch
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Wir haben drei gute Freunde als Begleiter: über uns die Telegraphendrähte, unter uns die Erdölleitung und mit uns der Brief der I.P.C. Solcherart ist eine Wüstenfahrt ein Kinderspiel. Wir brauchen nur einen Draht an einen Stein binden und diesen über die Leitung werfen. In spätestens einem halben Tag wird ein Störtrupp der I.P.C. zur Stelle sein.
Von der gebauten Straße, von der MacPherson sprach, ist nicht viel zu sehen: Hart und felsig ist der Wüstenboden, man muss den Spuren der I.P.C.-Dienstautos folgen. Oft geht der Weg weitab von der Telegraphenleitung, aber immer wieder kehrt er zu ihr zurück.
Am Abend des 30. Mai tauchen aus dem Dunst der Steppe zwei schlanke Türme auf. Bald erkennen wir auch die Antenne, die sich zwischen ihnen spannt; Mauern und Häuser nehmen Gestalt an. Die erste Pumpstation, »H.5«, liegt vor uns. Ein stacheldrahtartiges, hohes Gitter, wohl einige hundert Meter im Quadrat, umschließt die weitläufige Anlage. Der Wachposten lässt uns passieren, weiße Männer sind keine Räuber, das weiß er.
Trotz der abendlichen Stunde ist es noch drückend heiß. Mr. Meadows, der Leiter der H.5, sitzt in Hemdsärmeln in seinem Bungalow. Whisky-Soda wird aufgetragen und der kreisende Ventilator peitscht einen wohltuenden Luftstrom in die weit offenen Hemden.
»Gute Fahrt gehabt?«, fragt der Manager und dann übergibt er uns ein Telegramm:
»Hoffe Sie gut in H.5 angekommen, wünsche gute Weiterreise. MacPherson.«
Einfach rührend und englisch sportlich ist die Fürsorge, mit der man uns umgibt. Das stellen wir fest, als wir wohlig in der Badewanne sitzen und den Wüstenstaub vom Körper spülen. Mit kristallklarem Wasser tun wir das, aus beträchtlicher Tiefe holen es Pumpen herauf. Man darf sich überhaupt unter diesen Stationen der Ölleitung nicht etwa ein einsames Häuschen in der Wüste vorstellen. Es sind fünf Wüstenstädte, die wie ein Ei dem anderen gleichen. Um die Maschinenhäuser, Kraftanlagen und Pumpen gruppieren sich die Reparaturwerkstätten, die Garagen für Transport-, Personen- und Panzerautos, die Hangars, die Funk- und Telegraphenstationen und die Zelte der eingeborenen Arbeiter. Eine einigermaßen grün aussehende Gartenfläche mit ein paar kümmerlichen Bäumchen ist auch vorhanden. Sie trennt die technischen Anlagen der Stationen von den Bungalows der Ingenieure, dem gemeinsamen Speise- und Aufenthaltsbungalow und dem Gästehaus. Die Bungalows sind flach geduckt in die Breite gebaut, um den Wüstenstürmen möglichst wenig Angriffsflächen zu bieten. Doppelfenster sind in Stahlrahmen verpasst und sorgfältig mit Filzleisten gedichtet. Ein engmaschiges Drahtnetz soll vor Moskitos schützen. Wie diese den Weg in die einsame Station gefunden haben, erscheint rätselhaft. Mit Karawanen und an windgeschützten Stellen der Autos machen sie offenbar als blinde Passagiere die Reise durch die Wüste. Nachts hat man die Wahl, entweder unter dem kreisenden Ventilator zu schlafen und sich dabei ein Rheuma zu holen oder aber sich zerstechen zu lassen. Die Wahl zwischen beiden Übeln schafft wenigstens Abwechslung.
Bald hätte ich über Kleinigkeiten die Hauptsache der Pumpstation vergessen, das Fort! Es liegt inmitten der Wüstenstadt und sein massiger Turm ist das einzige mehrstöckige Gebäude. Man staunt über die starke Befestigung der Anlage und Mr. Meadows scheint mich für einigermaßen naiv zu halten, als ich fragte, ob eine solche Festung überhaupt notwendig sei.
»Es sind häufig Überfälle vorgekommen auf die Ölleitung«, werde ich aufgeklärt. »Bei Unruhen kann sich die ganze europäische und eingeborene Besatzung der Station in das Fort zurückziehen, wo Wasser und Lebensmittel für drei Monate aufgespeichert sind.«
So gemütlich, wie Mr. MacPherson in seinem sicheren Büro in Jerusalem die Wüste geschildert hat, scheint sie also doch nicht zu sein.
Ibn Saud, der Beherrscher fast ganz Arabiens, wird immer anspruchsvoller. Man erzählt uns, dass erst kürzlich zwei englische Flugzeuge durch einen Sturm in sein Gebiet abgetrieben wurden. Sie wurden abgeschossen und Ibn Saud sandte die beiden Leichen dem High Commissioner von Palästina.
Die Weltmacht I.P.C. aber lässt sich nicht abschrecken. Ihre Zehn-Millionen-Pfund-Ölleitung schützt sie mit allen Mitteln. Panzerwagen und mit Maschinengewehren bewaffnete Lastwagen versehen den Sicherheitsdienst. Von all dem ist freilich nichts zu merken, als wir abends mit den Ingenieuren beim Essen sitzen. Würde draußen nicht ein Sturm rasen und feiner Sand an den Fensterscheiben herunterrieseln, so könnte man glauben, sich im Speisesaal des »King David« in Jerusalem aufzuhalten. Genauso geborgen fühlt man sich. Die Aufmachung lässt noch viel weniger vermuten, dass wir uns mitten in der Wüste befinden. Lautlos serviert ein in tadelloses Weiß gekleideter Araberboy. Eine in der Druckerei der Station hergestellte Speisekarte verkündet Genüsse, die zum Teil per Flugzeug frisch herangeschafft worden waren.
Trotz solcher Genüsse und eines hohen Monatsgehaltes möchte ich doch kein Ingenieur der I.P.C. sein. Die Langeweile frisst die Seele bei lebendigem Leibe auf. Drei Jahre in der Wüste sind keine Kleinigkeit. In der nächsten Station ist alles so wie in H.5. Das Bad ist gleich erfrischend, das Essen gleich gut, der Boy gleich sauber, die Ingenieure gleich freudlos. So ist es auch im H.3; Zimmer Nummer 2 und 3, das Bad gleich erfrischend und so weiter. Er ist schon fast langweilig, dieser Komfort der Wüste. So undankbar ist der Mensch.
Mr. Taylor, der Manager der Pumpstation H.2, überreichte uns eine gedruckte Einladung zu seiner Wüsten-Party: »Es sind die geselligen Zusammenkünfte, die alle zwei Monate abwechselnd in einer der fünf Pumpstationen stattfinden; sie sind die einzige Erholung von dem nerventötenden Dienst auf den weltvergessenen Stationen.«
»Siehst du, wie gut, dass wir unseren Smoking mithaben«, sagte Helmuth. Es war rührend, wie er mich tröstete über den unsinnigen Haufen Gepäck, der wie ein Alptraum auf meinem Gewissen lag.
Das Wüstenfest überstieg die kühnsten Erwartungen. Von den anderen Pumpstationen kamen die Ingenieure viele hunderte Kilometer mit geländegängigen Autos angefahren und noch am späten Abend landete ein Flugzeug, das den Generaldirektor und sechs Damen aus Haifa brachte.
Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus. Die Damen waren in Abendkleidern und festlich gekleidete arabische Diener servierten ein erlesenes Essen. Auch an Getränken wurde nicht gespart. Wäre nicht das Surren der Ventilatoren gewesen und die engen Fliegengitter vor den Fenstern, man hätte völlig vergessen, mitten in der Wüste zu sein. Dann wurde getanzt. Es waren allerdings vierzehn Herren, die sechs Damen gegenüberstanden. In später Stunde holten wir unsere Platten und die Wiener Walzer fanden großen Beifall.
»Siehst du…«, sagte Helmuth.
»Ja, ich weiß schon«, unterbrach ich ihn. »Es ist nett von dir, dass du mich immer trösten willst; trotzdem, es bleibt dabei.«
Zum Abschied übergaben wir Mr. Taylor all unsere Walzerplatten als kleinen Dank für die große Gastfreundschaft.
Wieder ein paar Kilo weniger. Das Koffergrammophon getrauten wir uns nicht zu verschenken, weil die Ingenieure alle so schöne elektrische Plattenspieler hatten. Aber in Bagdad wollten wir uns des Grammophons entledigen. Auch die Smokings, die wir in der Wüste einmal in Ehren getragen hatten, mussten nun über Bord. Klugerweise hatten wir beim Fest auf H.2 Photos machen lassen. Wir, smokingbekleidet, mit den smokingbekleideten Ingenieuren in Arabien. Bei nächster Gelegenheit konnten wir sagen: »Bitte sehr: Wir hatten Smoking mit, hier ist der bildliche Beweis, aber leider sind diese (für englische Begriffe) unentbehrlichen Kleidungsstücke den Strapazen der Expedition zum Opfer gefallen.« Mit diesen Photos hofften wir, auch ohne Smoking in der englischen Kolonialwelt salonfähig zu bleiben. In der Brieftasche wohlverwahrt und doch stets griffbereit trugen wir unsere Smoking-Photos stets bei uns. Lächerlich mag dies erscheinen, aber es ist englisch.