Im Auto um die Erde. Max Reisch
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Helmuth hat einen Revolver. Jetzt ist er in der Eile natürlich nicht greifbar.
Da geschieht etwas Unerwartetes: Der Waran saust mit letzter Kraft wieder los, direkt auf uns zu. Mir wird etwas flau zumute. Regungslos vor Schreck sitzen wir im offenen Wagen, der noch dazu türlos ist, die nackten Schenkel jedem mutigen Angriff preisgegeben. Jetzt ist das Biest da und – saust unter das Auto! Wir drehen uns um, blicken nach allen Seiten, kein Waran ist zu sehen. Er liegt unter dem Wagen und rührt sich nicht.
Wir beide schauen uns verdutzt an. Wir wollen diese Jagdbeute haben, sitzen sozusagen auf ihr und haben sie doch nicht. Unter uns das pfeifende Atmen der Bestie. Helmuth kramt nach seinem Revolver. Dann muss er ihn erst laden. Jetzt ist es so weit.
»Kitzel ihn mit einem Staberl.«
»Ich habe keines.«
»Nimm den Spaten.«
Vorsichtig schnalle ich ihn von der Seite los, beuge mich hinaus und stochere unter dem Auto herum. Der Waran flitzt auf der anderen Seite heraus. Bum! und noch einmal bum! und dann ist der Waran tot. Helmuth ist etwas erstaunt über diesen verblüffenden Erfolg. Jetzt wird der Wüstenwaran in Ruhe besichtigt. Kopf, Rücken und Schwanz sind mit starken Hornschuppen gepanzert. Ich glaube nicht, dass die Wüstenwarane dem Menschen gefährlich werden, aber ihre Größe ist imponierend. Wir schnallen das Tier über die Reserveräder. In Nedschef soll das ein guter Braten werden und der Panzer muss als »Jagdtrophäe« nach Hause. Wo sind die guten Vorsätze? Das kann ja heiter werden, wenn wir jetzt schon wieder beginnen, den Wagen zu überlasten!
Weiter nach En Nedschef, das die Araber auch Nedschef-Mesched nennen, die Stadt des Grabmals.
Aber wie geht es weiter?
Durch die Jagd auf den Waran haben wir Spuren und Orientierung verloren. Wo ist die Autopiste? Rechts oder links von uns? Abseits der großen Verkehrsstraße Bagdad - Damaskus hat sich schon manche Tragödie verirrter Autofahrer ereignet. Einmal verdurstete die Besatzung eines Wagens ganze acht Meilen von der Piste entfernt. So etwas passiert nur Europäern. Die Araber haben einen geradezu unheimlichen Orientierungssinn. Versucht man aber mit Karte und Kompass eine Oase anzusteuern, so ist unbedingte Voraussetzung, dass man genau den Ausgangspunkt der Berechnung kennt. Hat man sich erst einmal verfahren, dann wird jede weitere Orientierung ein Spiel mit dem Glück. Man weiß wohl: Hier an dieser Stelle der Karte muss ich mich beiläufig befinden. In diesem »beiläufig« aber liegt die Gefahr, denn eine Oase ist nur ein winziger Punkt in dem Sandmeer der Wüste. In den Annalen der modernen Wüstenerschließung sind Fälle verzeichnet, wo Expeditionen eine Oase anpeilten und sie nie erreichten. Sie waren nur einige Dutzend Kilometer links oder rechts daran vorbeigefahren, in die verderbenbringende Leere der Wüste hinaus.
Auf der Fahrt nach En Nedschef ist das zum Glück nicht so tragisch. Es herrscht Autoverkehr, Karawanen ziehen nach der heiligen Stadt und irgendwie werden wir schon wieder auf die richtige Spur stoßen. Durch ein tiefes, sandiges Wadi wollen wir versuchen, den Wagen mit Schwung hindurchzutreiben, aber es ist erstaunlich, wie sehr eine auch nur dreißig Zentimeter tiefe Sandschicht zu bremsen vermag. Der Motor schnauft ein paar Mal heftig, man kann gerade noch auskuppeln, um ihn nicht abzuwürgen, und schon sitzen wir fest. Noch dazu an einer besonders bösartigen Stelle. Zwar ist der Wagen nicht »bis über die Achsen eingesunken«, wie es in der Kraftfahrersprache so schön heißt, aber der Motor hat einfach nicht die Kraft, den großen Widerstand des Sandes zu überwinden. Da gibt’s nur eins: abladen! In einer Hitze, die unsere Hundstagetemperaturen bei weitem übertrifft, wird das Gepäck mühsam nach vorn bis an den Rand des Wadis geschleppt. Sogar die Reserveräder rollen wir hin und schleppen den toten Waran hinüber.
Wird es jetzt gehen? Der Motor springt an, aha, die Räder drehen sich – aber am Fleck! Keinen Zentimeter rührt sich der Wagen von der Stelle. Wir versuchen, Gummimatten unter die Hinterräder zu legen, aber es nützt nichts. Fast senkrecht brennt die Sonne auf uns herunter, zwei Stunden sind schon verloren und En Nedschef ist noch weit.
Unbemerkt hat sich der Führer einer Karawane genähert. Wir schauen erst auf, als er knapp vor uns steht, und begreifen nicht, was er sagen und uns bedeuten will. Immer wieder weist er heftig gestikulierend abwechselnd auf das Auto und dann längs des Wadis in östlicher Richtung. Nun probieren wir es unsererseits mit der Zeichensprache. »Helft uns doch!«, bitten wir mit der ganzen Beredsamkeit unserer Hände und Mimik und schon graben kräftige braune Arme im Sand und legen den Wagen frei. Zum ungeschriebenen Gesetz der Wüste gehört eine unbedingte Kameradschaftlichkeit und Hilfsbereitschaft, die sich auch hier wieder einmal bewährt. Binnen kurzem werden wir flott und stehen bald auf festem Boden. Wieder deutet der Anführer in die gleiche Richtung wie vorhin und dann auf das Auto. Sollten wir uns ganz verfahren haben?
»En Nedschef?«, fragte ich und zeigte ebenfalls in die angegebene Richtung.
Der Araber nickte eifrig mit dem Kopf, was so viel wie »Nein« bedeutet. Ein Glück, dass wir mit diesem orientalischen Brauch vertraut sind. Sonst wären wir sicher am Wadi entlanggefahren, um mit leeren Benzintanks irgendwo stecken zu bleiben. Vielleicht hätte man uns nach Tagen gefunden, vielleicht auch nicht – was kann doch alles von einem missverstandenen Kopfnicken abhängen!
Die Toten suchen Allahs Nähe
Nach En Nedschef • Gräber, soweit das Auge reicht • Einbalsamierte und nasse
Leichen • Vertraute Klänge in der Wüste • Wieder in Bagdad • Schwimmen im
Tigris ist gefährlich • Zehn Tage Krankenhaus retten uns das Leben • Es war
Kismet • Über die 3.000 m hohen Pässe Persiens • Das persische Schilda
Gegensätzliche Dinge bezeichnen so einen Weg durch die Wüste. Das Skelett eines Kamels – ebenso häufig heutzutage, aber auch das Wrack eines alten Chevrolets. Abgenagte Knochen und leere Benzinkanister. Wann wird man nur mehr Kotflügel, Wagenkästen und Räder längs einer Karawanenstraße finden? Sauber sind kleine viereckige Plätze da und dort mit Steinen abgegrenzt; wenn mohammedanische Reisende zur Stunde des Gebets vorbeikommen, nehmen sie ihren Teppich vom Kamel oder aus dem Auto, breiten ihn zwischen den Steinen aus und verrichten ihre Andacht.
Wird so für die Bedürfnisse der Seele gesorgt, so gibt es auch ähnliche abgegrenzte Stellen für die Bedürfnisse des Lebens. Entnimmt man bei uns einem hölzernen Kästchen zusammengefaltetes Papier, so greift man hier nach einem der runden, kleinen, glatten Steine, die säuberlich innerhalb der Abgrenzung zu zwei Pyramiden geschichtet sind. Man muss nur darauf achten, keinen der Steine zu erwischen, die an der Oberfläche liegen und der vollen Sonnenbestrahlung ausgesetzt sind. Lästige Verbrennungen wären die Folge. Nach Gebrauch legt man ihn auf die andere Pyramide zurück (welche die Pyramide der gebrauchten Steine ist, lässt sich meist erkennen) und nach wenigen Tagen haben Sonne und Wind so gründlich gearbeitet, dass er wieder glatt und sauber ist wie zuvor. Dann kann die hoch angewachsene Pyramide wieder langsam abgetragen werden, auf die andere Seite hinüber, und es bleibt den praktischen Wüstenbewohnern erspart, an das Nachfüllen hölzerner Kästchen zu denken.
Kein