Im Auto um die Erde. Max Reisch
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Neue Gäste kommen: der Polizeikommandant und der Arzt. Der »Hakim« spricht etwas Deutsch, das er aus seinen medizinischen Büchern gelernt hat. »Wir sind sehr glücklich in deinem Haus«, lassen wir Abdul Hussein sagen.
Darauf er, mit verhaltener Befriedigung: »Mein Haus ist nur klein und Allah war ungnädig, dass er mich eure Ankunft nicht eher wissen ließ.« So plätschern die Lobesbeteuerungen und Entschuldigungen von unseren Lippen. Die »Nargileh« kreist, der Rauch gurgelt durch den gläsernen Wasserbehälter, um dann mit tiefen Zügen in die Lunge eingesogen zu werden. Gewaschen sind wir noch immer nicht.
So geht das einige Stunden – rauchen und Tee trinken, Tee trinken und rauchen.
Halt – jetzt tut sich was: Ein Diener bringt ein Kännchen und bleibt abwartend vor mir stehen. Ich begreife, strecke die Hände hin, reibe sie erwartungsvoll: Ein fadendünner Strahl rinnt darüber hin – und schon ist die »Reinigung« vollendet. Ich sehe eben noch, wie Helmuth ein paar Wassertropfen liebevoll in seinen ausgetrockneten Handflächen verreibt, dann hält schon der Hakim seine spitzen Finger hin. Auch er bekommt nicht mehr als einen Teelöffel voll, wie ein Wiesel eilt der Diener weiter zum Polizeioffizier und endlich zu Abdul Hussein. Die Waschung von fünf Personen hat kaum eine Minute gedauert. Doch scheint jedermann sehr zufrieden zu sein – nur wir nicht.
Mit dieser Zeremonie ist der Auftakt zum Abendmahl gegeben. Fruchtschalen werden gebracht. Leider sind wir nicht sattelfest im persischen Knigge, wissen nicht: Dürfen wir anfangen oder sollen wir noch warten. Wir entscheiden uns für das Letztere. Mit uns aber warten alle! Heimlich spähe ich nach der Uhr. Eine geschlagene Stunde sitzt die Gesellschaft vor den Schalen mit lockenden Trauben, Marillen und Granatäpfeln, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Die Unterhaltung beginnt langsam zu stocken. Alles scheint sich nach den Früchten zu sehnen. Der Polizeioffizier hat schon mehrmals danach geblickt, der Hakim rutscht unruhig auf seinem Sessel hin und her. Helmuth und ich tun das schon lange. Verzweifelt sogar. Wie schön war es doch gestern im »Auto-Hotel«, wo man für ein paar Krans tun und lassen konnte, was man wollte.
Abdul Hussein ist der Einzige, der Würde zu wahren versteht, lässig hat er sich zurückgelehnt, raucht aus der Nargileh. Damit aber ist die Unterhaltung ganz versiegt. Die Stimmung scheint gewitterschwül, ja geradezu feindselig zu werden. Bald muss irgendetwas geschehen, der Hakim hat mich so herausfordernd angeblickt.
»Zum Teufel noch einmal«, denke ich – und sage es auch und nicht eben leise. Mit dem Mut eines gequälten Tieres reiße ich mich hoch, greife nach der schönsten Marille und beiße herzhaft hinein.
Alles wartete auf diese befreiende Tat und wie eine Erlösung geht es durch die Reihen. In wenigen Minuten sind die Schalen geleert. In rascher Folge werden nun Reis, Hammelkeulen, Brotfladen, Eier, Hühnerhaschee und Melonen aufgetragen. Abdul Hussein lässt sich stets von mir nötigen zu essen.
So ist das also in Persien! Gewaschen aber sind wir immer noch nicht und das ausgerechnet in jener Stadt, die den Erlös aus dem Lebenswerk des größten aller persischen Dichter auf seinen Wunsch dazu verwendete, großzügige Bewässerungsanlagen zu schaffen.
Erlebt hat Firdusi, der »Paradiesische«, ihre Ausführung allerdings nicht mehr. In 60.000 Doppelversen hatte er in seinem ungeheuren Epos »Schah-name« alle alten persischen Heldensagen zusammengefasst und ihnen die unsterbliche dichterische Form gegeben. Von Sultan Mahmud I. war ihm für jeden Doppelvers ein Goldstück versprochen worden – aber seine Neider wussten den Sultan gegen ihn einzunehmen und der greise Dichter fiel in Ungnade. Spät erst erkannte der Sultan seinen Fehler. Zu spät, denn die Karawane mit den 60.000 Goldstücken, die nach Nischapur, Firdusis Heimat, unterwegs war, begegnete bei ihrem Einzug in die Stadt dem Leichenzug des Dichters. Er selbst allerdings hatte keiner äußeren Ehrung bedurft, um ewigen Ruhmes sicher zu sein, denn das Nachwort zu seinem Epos lautet:
»Wer immer Geist hat, Glauben und Verstand,
von dem werd’ ich mit Lob und Preis genannt,
der ich die Saat des Wortes ausgesät.
Ich sterbe nicht, wenn auch mein Leib vergeht!«
Fremde Teufel
Ostpersische Höhlendörfer • Meschhed • Drei Polizisten warten auf den
Zwischenfall • Helmuth sitzt im Käfig – ein Spaß für alle Beteiligten •
»Und sie haben doch ein Maschinengewehr!«
Die Straße, die jetzt so lange Zeit eintönig gerade verlief, bekommt Kurven, sie steigt und fällt, die Wüste wird hügelig. Wir nähern uns Meschhed, dem großen Pilgerort, dem Mekka der schiitischen Welt.
Auf der letzten Anhöhe zeichnen sich eine Unmenge kleiner Steinpyramiden als Silhouetten gegen den Himmel ab. Was mögen sie bedeuten? Erst als wir oben halten, finden wir die Erklärung dafür: Hier ist die Stelle, wo man Meschhed zum ersten Mal in seiner ganzen Ausdehnung überblickt. Ein Häusermeer, viele Gärten und Bäume dazwischen und alles überragend die vergoldete Kuppel der großen Moschee. Soweit man sehen kann, dehnt sich um die Stadt herum ein Gürtel blühender Felder, Pappelwälder und Dörfer. Kein Wunder, dass dieser Anblick die Pilger trifft wie eine Botschaft aus den Gefilden des Paradieses! Sie haben vielleicht wochenlange Reisen auf dem Rücken der Kamele hinter sich, nichts als Mühsal und Anstrengung, nichts als Hitze, Sand, Staub, eintönige gelbbraune Ebene, trockene Salztümpel. Und nun auf einmal liegt diese strahlende Stadt vor ihren Augen! Dieser Stunde muss ein Gedenkzeichen errichtet werden, hier muss man seinem Gott für die überstandene Mühsal danken. Und so entstehen die kleinen Steinpyramiden und daneben kleine, von niederen Mauern umgebene Plätze, wo der Gebetsteppich ausgebreitet werden kann.
Wie viele mögen nicht nur das Ende einer langen, beschwerlichen Reise hier feiern, sondern den Augenblick, wo in ihr Leben überhaupt zum ersten Mal eine Ahnung von Glanz und Herrlichkeit tritt! Wir denken an die Armseligkeit mancher Behausungen, die wir auf der Fahrt von Teheran nach Meschhed angetroffen haben.
Von ostpersischen Dörfern ist nichts zu erblicken als etwa zwei Meter hohe Kuppeln aus einer Mischung von Lehm und Stroh. Keine Gasse führt durch das Dorf, eng schließt eine Kuppel an die andere an.
Jede hat eine Öffnung in ihrer Mitte, Rauch steigt daraus auf und verrät, dass sich unterirdisch das dörfliche Leben abspielt.
In welchen Formen? Es lässt uns keine Ruhe, wir klettern erst zwischen den Kuppeln herum, dann einen engen Lichtschacht hinunter, in dem kleine Fensteröffnungen ausgespart sind. Die sogenannten Wohnungen, die wir auf diese Art erreichten, waren schrecklich! Finster, dumpf, von Rauch und einem unbeschreiblichen Gestank erfüllt. Zunächst konnten wir überhaupt nichts erkennen, so geblendet waren unsere Augen noch von der grellen Sonne, aber bald sahen wir, dass Frauen, Kinder, junge Hunde da unten auf dem Boden herumtollten und sich nur jetzt vor Staunen alle ganz still verhielten, um uns wie ein Wunder anzustarren.
Ein Mann fand sich, um uns durch dieses eigenartige Höhlendorf zu führen. Raum reihte sich an Raum; in dem einen lagen alte Leute, in Lumpen gehüllt, in dem anderen Werkzeuge und primitive Geräte, der nächste diente einer Familie als Schlaf- und Wohnraum, der vierte als Stall. Ein Fettschwanzschaf stand darin, wahrscheinlich hatte es sein gewichtiges Anhängsel verletzt, denn es trug den Schwanz in einem hölzernen Gestell auf den Rücken gebunden. Dieser Körperteil dient als »Vorratskammer« für magere Zeiten und die Tiere bieten einen grotesken Anblick, wenn sie ihn prall gefüllt hinter sich herschleppen. Die Räume des unterirdischen Dorfes waren alle durch Türlöcher miteinander verbunden, die nur selten mit einem schmutzigen Lappen verhängt wurden. Besonders