Pragmatikerwerb und Kinderliteratur. Группа авторов

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Pragmatikerwerb und Kinderliteratur - Группа авторов Studien zur Pragmatik

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man sehen konnte, gibt es bisher nur wenige Forschungsergebnisse zum Zusammenhang von Kinderliteratur und Pragmatikerwerb. Zwar liegen schon Untersuchungen zum Einfluss des Vorlesens auf den Spracherwerb vor, jedoch nehmen die vorliegenden Studien vorrangig Kinder im Vor- und frühen Schulalter und deren Wortschatzentwicklung bzw. die Entwicklung grammatischer und narrativer Fähigkeiten in den Blick. Zum Einfluss des Vorlesens auf den Erwerb pragmatischer Fähigkeiten und Kompetenzen gibt es bisher kaum Untersuchungen. Darüber hinaus bleibt auch bei vielen der bisher durchgeführten Studien unklar, inwieweit es die konkreten sprachlichen Eigenschaften der vorgelesenen Texte waren, die zu den positiven Effekten des Vorlesens auf den Spracherwerb geführt haben. Wie sich das Vorlesen oder auch das Selbstlesen von Kinderliteratur auf den weiterführenden Spracherwerb jenseits des frühen Schulalters auswirkt, ist aktuell völlig ungeklärt. Bedenkt man die teilweise recht langen Erwerbszeiträume verschiedener pragmatischer Phänomene, erscheint gerade das Alter von 6/7 bis 13/14 Jahren als besonders interessant, um dieser Frage nachzugehen. Hier spielt nun unter Umständen auch die schulische Beschäftigung mit Kinderliteratur im Rahmen des Deutschunterrichts für die weitere Entwicklung pragmatischer Fähigkeiten und Kompetenzen eine Rolle. Auch das gälte es zu untersuchen. Welchen Einfluss Kinderliteratur in anderen medialen Formen als dem (Bilder-)Buch auf den Pragmatikerwerb hat, ist gegenwärtig eine weitere offene Frage. Ebenso ist die Frage, inwieweit sich (das Vorlesen von) Kinderliteratur für therapeutische Zwecke bei pragmatischen Störungen im Kindesalter eignet, bisher weitestgehend unbeantwortet.

      Im Wesentlichen sind also die folgenden Fragen zu beantworten:

       (1) Stellt Kinderliteratur einen spezifischen Input für den (weiterführenden) Pragmatikerwerb (im Selbstlesealter) dar?

       (2) Kann Kinderliteratur in ihren unterschiedlichen medialen Erscheinungsformen den Erwerb pragmatischer Phänomene unterstützen?

       (3) Kann das Vorlesen von Kinderliteratur den Erwerb pragmatischer Phänomene unterstützen?

       (4) Welche anderen Formen der Rezeption von Kinderliteratur sind geeignet, den Erwerb pragmatischer Phänomene und Kompetenzen voranzutreiben?

       (5) Welche Formate der unterrichtlichen Beschäftigung mit Kinderliteratur sind geeignet, neben dem literarischen Lernen auch sprachliches (insbesondere „pragmatisches“) Lernen anzuregen?

       (6) In welchen medialen Formen und mit welchen Rezeptionsformaten eignet sich Kinderliteratur für den therapeutischen Einsatz bei verzögerter/gestörter Entwicklung pragmatischer Kompetenzen und Fähigkeiten?

      Wir haben in diesem Beitrag dafür argumentiert, dass Kinderliteratur einen spezifischen Input für den Pragmatikerwerb darstellt. Das wäre jedoch empirisch zu prüfen. Um die Frage in (1) beantworten zu können, braucht man konkretere Annahmen darüber, was einen Input im Spracherwerb „spezifisch“ macht. Wir haben dafür oben schon einige Vorschläge gemacht. Darüber hinaus bietet sich auch ein Vergleich mit der an das Kind gerichteten Sprache (KGS) an, welche u.a. folgende Eigenschaften aufweist (vgl. u.a. Kauschke 2012, Klann-Delius 2016):

      1 Sie ist an den kognitiven Entwicklungsstand des Kindes angepasst. Das heißt, je jünger das Kind, umso „einfacher“ die KGS.

      2 In dialogischen Erwerbssituationen wiederholt der kompetente erwachsene Sprecher häufig die Zielstruktur/das zu erwerbende Wort mehrmals.

      3 Der erwachsene Sprecher spricht langsamer und deutlicher und mit einer melodischen Intonation.

      Natürlich wurde KGS in Bezug auf sehr junge Kinder beobachtet und ihre Verwendung durch die Bezugspersonen eines Kindes nimmt mit zunehmender Sprachkompetenz desselben ab bzw. es verändern sich die zu beobachtenden Eigenschaften der KGS (vgl. Grimm 2003 zu verschiedenen elterlichen Sprechstilen). Nichtsdestotrotz lassen sich z. B. in Finkbeiners (2011) Analyse von Phrasemen in kinderliterarischen Texten einige, zu den oben genannten analoge, aber auf ältere „Sprachlerner“ angepasste Eigenschaften finden. So hat Finkbeiner verschiedene Phrasemarten in Hinblick auf deren Komplexität unterschieden und zeigen können, dass ein Text für Kinder eher einfachere Phraseme enthält als ein Text für Jugendliche (vgl. a). Des Weiteren spricht Finkbeiner von „Prozeduren der Verständlichmachung“ in literarischen Texten in Hinblick auf Phraseme. Eine solche, bekannte Prozedur ist die der „Phrasemhäufung“: An einer Stelle im Text tritt nicht nur ein Phrasem, sondern treten gleich mehrere auf (vgl. b).

      In Bezug auf (b) lässt sich außerdem noch die Tatsache erwähnen, dass es insbesondere für Kinder im Vorlesealter sehr typisch ist, dass sie ihnen schon bekannte Geschichten immer wieder vorgelesen bekommen möchten. Auch durch diese Praxis kommt es zur mehrfachen Wiederholung eventuell bisher unbekannter oder weniger bekannter pragmatischer Zielstrukturen (vgl. auch Thiede 2019: 388). Aber auch bei der eigenständigen Lektüre von Kinderliteratur hat das lesende Kind jederzeit die Möglichkeit, eine vielleicht schwierig zu verstehende Textstelle mehrfach zu rezipieren, was eine solche Lesesituation von oralen Gesprächssituationen unterscheidet, die ja dialogisch aufgebaut und „flüchtig“ sind und in denen Kinder unter Umständen ihr Nichtverstehen nicht immer anzeigen. Die prinzipielle Möglichkeit, nachzufragen oder Nichtverstehen zum Ausdruck zu bringen, gibt es zwar in solchen Situationen immer. Sie wird aber vielleicht nicht in jeglicher Kommunikationssituation auch wahrgenommen, sondern nur in solchen, an denen Kommunikationspartner beteiligt sind, die in einer solchen sozialen Beziehung zum Kind stehen, dass es ermutigt wird, derartige Verstehensprobleme anzuzeigen.

      Auch für (c) lassen sich mögliche Analogien in literarischen Texten annehmen. Langsameres und deutlicheres Sprechen dient auf Hörerseite der besseren Identifikation und Verarbeitung des Gesprochenen. Dies wiederum bildet die Grundlage für eine gelingende Interpretation des Gehörten. Man könnte daher auch hier von einem Verfahren der Verständlichmachung des sprachlichen Inputs sprechen. Wenn es nun darum geht, pragmatische Phänomene zu verstehen, deren Interpretation auf Annahmen über mögliche Sprecherintentionen beruht, können zum Beispiel mehr oder weniger explizite Hinweise auf solche Sprecherintentionen bei der Interpretation helfen. So ist es z. B. einfacher, eine Äußerung einer literarischen Figur wie „Das war echt Klasse!“ als ironisch gemeint zu interpretieren, wenn der Erzähler dieser einen Hinweis wie „sagte sie und verdrehte dabei die Augen“ oder „sagte sie mit übertriebener Heiterkeit“ etc. beifügt.

      Insgesamt ist also davon auszugehen, dass sich die Spezifik der Kinderliteratur als Input für den Erwerb eines bestimmten pragmatischen Phänomens darin zeigt, dass in literarischen Texten für jüngere Kinder (mehr) einfachere Formen des jeweiligen Phänomens auftreten als in Texten für ältere Leser und/oder dass in literarischen Texten für jüngere Kinder Verfahren der Verständlichmachung des jeweiligen Phänomens eine größere Rolle spielen als in Texten für ältere Leser. Dies ließe sich empirisch nachweisen, wobei die Operationalisierung des Begriffs „Einfachheit“ in Bezug auf die jeweils interessierenden pragmatischen Phänomene nicht zu unterschätzen ist (vgl. die Diskussion in Meibauer 2014).

      Bei der Frage in (2) geht es zunächst einmal darum, die Eigenschaften literarischer Texte in ihren verschiedenen medialen Erscheinungsformen zu identifizieren, die potenziell förderlich sind für den Erwerb eines bestimmten pragmatischen Phänomens und zwar unabhängig von der Frage, wie der einzelne Text tatsächlich rezipiert wird (also ob er z. B. vorgelesen oder selbst gelesen, als Hörspiel oder in Filmform rezipiert wird). Insofern hängt Frage (2) eng mit Frage (1) zusammen, denn die Eigenschaften, die einen Text zu einem spezifischen Spracherwerbsinput machen, sind wohl auch die, die den Erwerb eines bestimmten Phänomens unterstützen (können). Was genau das für Eigenschaften sind, hängt vermutlich stark von dem jeweiligen pragmatischen Phänomen ab, welches gerade im Zentrum des Interesses steht, aber auch von dem Erwerbsstand mit Bezug auf das jeweilige Phänomen, auf dem sich ein Kind gerade befindet. Daneben ist (2) natürlich auch so zu verstehen, dass man empirisch prüft, ob das Selbstlesen von Kinderliteratur tatsächlich den Erwerb pragmatischer Phänomene

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