Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

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Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg

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so unvorstellbar schnell gegangen. Praktisch von einer Sekunde zur anderen waren sie völlig alleine auf sich gestellt gewesen. Eine sehr harte Zeit für Mutter und Sohn. Und diese kleine Mauer, die schon dort gestanden war als Mark das Haus kaufte, wurde von Michael mit seinen damals sieben Jahren wütend abgerissen. Mit Werkzeugen umzugehen, brachte ihm sein Vater früh bei. Die Mauer wäre eine bleibende Erinnerung an den Unfall gewesen, für beide unerträglich. Sie konnte und durfte nicht stehen bleiben! Die gesamten Reste der Mauer entsorgten sie nach und nach mit der Mülltonne, nichts sollte davon übrig bleiben!

      Die Zeit war mit erzählen nur so verflogen und es war bereits dämmrig, als Frank Hauff in seinen Jeep stieg, wendete und Richtung Stadt davonfuhr. Sie winkten sich zu und er rief: „Ich melde mich!“ So, als wären sie alte Bekannte.

       4

      Es regnete. Wieder einer der düsteren Tage, an denen Helene Weber nicht in ihrem Gärtchen arbeiten mochte. Nötig war es ohnehin nicht, aber es ließ sich doch so gut über den Gartenzaun beobachten und es hätte ja auch eventuell mal die eine oder andere spontane Unterhaltung entstehen können, was ihrer Meinung nach sowieso selten genug vorkam. Ja, Helene war sehr vielseitig interessiert, wenn man das denn so nennen wollte, und sie wusste bestimmt auch sehr viel zu erzählen! Erst vor kurzem war sie sechsundfünfzig Jahre alt geworden. Sie verbrachte, wie üblich und wie alle anderen Tage auch im Jahr, diesen Tag alleine. Ohne einen nachbarschaftlichen Gruß, ohne ein paar Worte zu wechseln, es war einfach niemand zu sehen gewesen. Nicht, dass sie neugierig wäre, oh nein, aber ‚man muss doch am Leben seiner Mitmenschen teilnehmen’, war ihre Devise. Gemein, so einfach dahin gesagt: Helene Weber galt als die Klatsch- und Tratsch-Tante in der Siedlung, sogar bis in den Ort hinein. Und das dürfte sicher auch noch lange so bleiben, wenn nicht bald eine gravierende Änderung ihre Aufmerksamkeit in wenigstens halbwegs abwechslungsreichere Bahnen lenken würde. Oh ja, sie war durchaus über das Gerede der Leute im Bilde, was sie selbst anging, aber es machte ihr nichts aus, ganz und gar nichts! Sie warf einen Blick über den Zaun, komisch, das seltsame Schild steht immer noch neben Schnells Haustüre. Hm, w as stand denn heute an? Friseur, ja richtig, der war auch mal wieder fällig. Vielleicht sollte sie auch noch in die Schmiede fahren, dort könnte sie die Noppen kaufen, die unter die Stuhlbeine gehörten. An zwei Stühlen waren die derartig abgenutzt, vielleicht sollte sie sowieso dorthin zuerst fahren, also war zumindest der Morgen gerettet. Sie zog ihren Anorak über, hängte die Tasche um, nahm den Schlüsselbund vom Haken und verließ das Haus. Bevor sie jedoch zur Garage gehen konnte, um ihren Wagen heraus zu fahren, kam der Postbote am Gartentor an. Das passte! Ihr erstes Opfer war für diesen Tag gefunden. „Moment, Moment Herr May, ich komme, nehme die Post gleich in Empfang“, rief sie, mehr singend als sprechend.

      Johann May war ein höflicher, junger Mann. Er kannte längst Frau Webers wissbegieriges, zugleich auch mitteilsames Wesen und beugte schon mal vor: „Drei Minuten, Frau Weber, nur drei.“ Dabei spreizte er drei Finger seiner rechten Hand und hielt sie in Augenhöhe, so als könnte Frau Weber es dann besser verstehen. Ob sie sich auch daran halten würde, war eine ganz andere Sache.

      „Stellen Sie sich vor, Herr May, Frau Schnells hat endlich wieder einen Freund“, begann sie. „Nach so langer Zeit. Damit meine ich, seid ihr Mann tot ist. Er hat ihr auch ein Geschenk mitgebracht, der Neue, haben Sie es gesehen? Es steht schon seit zwei Tagen neben der Haustüre. Wenn Sie mich fragen, das ist ein ziemlich komisches Geschenk. Anscheinend weiß der Neue schon vom Steg am Fluss.“

      „Jaja, Frau Weber, denke ich auch, jedenfalls passt der Text dahin“, parierte Johann May etwas desinteressiert.

      Helene Weber wollte gerade so richtig los legen, da zeigte der Postbote auf seine Taschen, gab ihr die Briefpost direkt in die Hand, deutete auf seine Uhr, machte eine Handbewegung die anscheinend das Wort schade darstellen sollte und erinnerte daran: „Ich muss weiter, ich muss! Erzählen Sie mir demnächst mehr davon, Frau Weber. Wiedersehn.“ Damit schwang er sich auf das gelbe Fahrrad und fuhr eiligst zur nächsten Adresse.

      Helene Weber lenkte ihren Wagen zum Parkplatz der Schmiede, sah sich beim Aussteigen nach allen Seiten um, fand jedoch auf die Schnelle kein bekanntes Gesicht. – Jedenfalls noch nicht. Für die Kleinigkeit, die sie nur kaufen wollte, holte sie sich erst gar keinen Einkaufswagen und ging zielstrebig durch die Drehtür. Und, wie es der Zufall wollte, Berger Junior gab gleich hinter dem Eingang Anweisungen an zwei Angestellte. Das kam Helene Weber natürlich sehr gelegen. „Morgen Herr Berger. Morgen“, und auf die mit Paletten beladene Karre deutend fragte sie: „Na, neue Ware bekommen?“

      „Frau Weber, Sie habe ich aber lange nicht hier gesehen, geht es Ihnen gut?“

      „Ja danke, aber ich brauche nicht immer was vom Baumarkt.“

      „Dann haben Sie noch nicht mein schönes Gartenparadies in der neuen Halle besichtigt, Frau Weber? Das sollten Sie aber unbedingt nachholen. Übrigens, bei diesem nassen Wetter ist einpflanzen neuer Blumen genau das Richtige!“

      Tüchtig, tüchtig! Der Junge weiß seine Ware anzubieten. Helene Weber lächelte ihn an. „Ich glaube, da besorge ich mir lieber vorsichtshalber direkt einen Einkaufswagen, so wie ich mich kenne!“ Sie blinzelte Ralf Berger zu und meinte: „Das muss ich unbedingt Frau Schnells erzählen, mit dem Paradies meine ich. Ach, haben Sie schon mitbekommen, Frau Schnells hat endlich wieder einen Freund!“

      „Nein, hat sie?“ Ralf Berger war durch seine Arbeit etwas abgelenkt und es war ihm im Moment auch nicht bewusst, wer diese Frau Schnells sein könnte, bezweifelte sowieso ob er das überhaupt wissen wollte.

      „Hat sie! Vor zwei Tagen kam er mit einem Jeep, wie lange die sich aber schon kennen, weiß ich nicht.“

      Herr Berger begann plötzlich schallend zu lachen. Oh, diese redselige Weber. Ihm war inzwischen auch bewusst, wer Frau Schnells war.

      Helene Weber, ein wenig irritiert über sein lautes Lachen, zuckte die Schultern und schwieg.

      „Ist doch gut, Frau Weber. Ich gönne es der Frau“, fand Herr Berger.

      „Aber ja, ich doch auch. Sie ist noch viel zu jung um alleine zu bleiben!“

      Eine Angestellte suchte den Rat ihres Chefs und Herr Berger entschuldigte sich höflich: „Ich werde gebraucht, bis bald mal. Machen Sie’s gut, Frau Weber.“

      Sie nickte hinter ihm her. Schade, sie hätte gerne noch mit dem Junior, auch über alte Geschichten, geplaudert. Immerhin kannte sie ihn schon seit seiner Jugend, aus der Zeit ihrer Beschäftigung bei seinen Eltern, die sich erst vor kurzem zur Ruhe gesetzt hatten. Damals nannte sich dieses Haus noch ‚Schmiede‘, die Bezeichnung existierte vom Großvater, der den Ackergäulen im gesamten Umkreis Hufe schmiedete und anpasste. Seitdem war das Unternehmen um einiges gewachsen und nannte sich schon seit einigen Jahren Bergers-Markt. Nur den Alteingesessenen passierte es immer noch ‚Schmiede‘ zu sagen und zu denen gehörte Helene auch. Sie machte so etwas wie eine Lehre bei Rudolf und Bettina Berger als Büroangestellte, oder richtiger gesagt: ‚Mädchen für Alles‘, und war bis zu ihrer Heirat im Geschäft geblieben. Sie lernte ihren um fast fünfzehn Jahre älteren Mann in diesem Haus kennen. Helene schüttelte ihren Kopf, doch lieber nicht zurückdenken, nicht jetzt, heute war heute und jetzt musste sie sich einen Einkaufswagen besorgen und die neue Gartenabteilung unter die Lupe nehmen. Der Junior hat Ideen, „Gartenparadies“. Mal sehen, ob es auch den Namen verdient hat, schmunzelte sie. Und dann vergaß Helene Weber vorläufig die aktuelle Neuigkeit aus der Nachbarschaft unter die Leute zu bringen. Sie war entzückt über diese Blumen- und Pflanzenpracht, auch darüber, wie geschickt alles arrangiert wurde und die Blicke auf sich ziehen musste. Immerhin gehörte derartige Kunst auch in ihre Berufszeit. Jetzt überlegte sie sich

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