Europarecht. Bernhard Kempen

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Europarecht - Bernhard  Kempen Grundbegriffe des Rechts

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auf demokratischen Grundsätzen beruhen“. Eine gewisse Festigung erfuhr das Prinzip sodann in den Verträgen von Amsterdam und Nizza, welche in ihrem jeweiligen damaligen Art. 6 Abs. 1 EUV explizit vorsahen, dass die Union u.a. auf dem Grundsatz der Demokratie beruht, welcher „allen Mitgliedstaaten gemeinsam“ ist. Somit waren nicht mehr nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Union selbst an den Grundsatz der Demokratie gebunden.

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      Der – letztlich gescheiterte – Konventsentwurf des Verfassungsvertrags (→ Konstitutionalisierung) ging wesentlich weiter. Unter Teil I Titel VI (Das demokratische Leben der Union) und Teil II Titel V (Bürgerrechte) wurden verschiedene Aspekte des Demokratieprinzips aufgegriffen. Das in der Literatur z.T. als zu heterogen kritisierte Zusammenspiel der Demokratieelemente wurde schließlich im Vertrag von Lissabon gelockert. Unter Beibehaltung der Kernaspekte wurde die Zahl der Vorschriften zum Demokratieprinzip reduziert. Das Prinzip wird nunmehr zunächst im zweiten, vierten und siebten Erwägungsgrund erwähnt. In Art. 2 EUV wird die Demokratie sodann zu einem Wert erhoben, auf den sich die Union gründet. Unter Titel II (Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze) werden Teile des Prinzips in vier Artikeln (Art. 9–12 EUV) konkret behandelt. Mit dem Vertrag von Lissabon fand das Demokratieprinzip somit erstmalig eine präzisierte Ausgestaltung.

      DDemokratieprinzip (Stephan Hobe) › II. Ausprägungen des Demokratieprinzips

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      Das Demokratieprinzip wird im Unionsrecht weder durch die Gründungsverträge noch durch den EuGH definiert. Es handelt sich vielmehr um ein offenes Prinzip, welches sich einer eindeutigen Begriffsbestimmung entzieht. Sein tatsächlicher Gehalt kann demnach nur anhand seiner jeweiligen Ausprägungen erfasst werden. Orientierungspunkte liefern insofern die Art. 9–12 EUV, in welchen das Demokratieprinzip unionsrechtlich konkretisiert wird.

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      Bereits vor dem Lissabonner Vertrag war das Demokratieprinzip als Allgemeiner Rechtsgrundsatz (→ Primärrecht) der EU anerkannt. Insofern ergibt sich sein Gewährleistungsgehalt auch aus dem gemeinsamen Verständnis der Mitgliedstaaten.

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      Im deutschen Grundgesetz ist das Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verankert. So hält Art. 20 Abs. 1 GG fest, dass die Bundesrepublik Deutschland „ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ist. Nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Dieses sog. Prinzip der Volkssouveränität wird in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dahingehend präzisiert, dass die Staatsgewalt „in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“ ausgeübt wird. Das Grundgesetz ist demnach auf eine repräsentative Demokratie ausgelegt. Abstimmungen als Formen direkter Demokratie sind auf Bundesebene nur in wenigen ausdrücklich vorgesehenen Fällen zugelassen.

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      Im Wesentlichen beschreibt das Demokratieprinzip nach deutschem Verständnis somit die Herrschaft des Volkes. Alle Staatsgewalt muss letztlich auf den Willen des deutschen Volkes als Träger ebendieser rückführbar sein. In einem Staat, in welchem Grundrechte gewährleistet werden, kann Staatsgewalt nur ausüben, wer demokratisch legitimiert ist. Daraus ergeben sich auch Anforderungen für die Wahl der Volksvertreter, welche gem. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG „in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt“ werden. Auch das Mehrheitsprinzip, also das Prinzip der Herrschaft der Mehrheit auf Zeit, ist somit vom Demokratieprinzip geschützt. Gleiches gilt für das Erfordernis des effektiven Minderheitenschutzes, des Mehrparteiensystems sowie des Transparenzgebots. Weitere Ausprägungen des Demokratieprinzips stellen z.B. der Parlamentsvorbehalt sowie das Bestehen demokratischer Grundrechte an sich dar.

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      Ausgehend von den nationalen Verfassungstraditionen hat sich ein gemeinsamer Minimalkonsens entwickelt. Gewisse Gewährleistungen der Demokratie sind somit von allen Mitgliedstaaten anerkannt und in internationalen Verträgen festgehalten. So sind nach Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur → Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) alle Vertragsparteien der EMRK – und damit auch alle Mitgliedstaaten der EU – dazu verpflichtet, „in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten“. Ähnliches besagt Art. 21 Abs. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), wonach der Wille des Volkes „die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt“ bildet und dieser Wille „durch regelmäßige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder einem gleichwertigen freien Wahlverfahren“ zum Ausdruck kommen muss. Auch Art. 25 Buchst. b) IPbpR garantiert jedem Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht bei „echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist“. Das periodische Wahlrecht zu den repräsentativen Körperschaften stellt somit einen wesentlichen, allgemein anerkannten Aspekt des Demokratieprinzips dar.

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      Im Kopenhagener Abschlussdokument des Treffens über die menschliche Dimension der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) – Vorgängerin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE; dazu → Internationale Kooperationspartner) – im Jahr 1990 wird das Erfordernis freier, geheimer und fairer Wahlen in angemessenen Zeitabständen ebenfalls proklamiert. Überdies werden dort weitere Kernaspekte des Demokratieprinzips festgehalten. Dabei handelt es sich u.a. um eine repräsentative Regierungsform, das Recht auf die Gründung politischer Parteien, den Minderheitenschutz, die Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung sowie das Bestehen demokratischer Grundrechte wie der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit.

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      Das Demokratieverständnis der EU geht auf das der Mitgliedstaaten zurück. Der Grund für das Vorhandensein einer demokratischen Komponente in der Europäischen Union besteht darin, dass die Union mit ihrer Rechtsetzungsgewalt auch Rechte der EU-Bürger einzuschränken in der Lage ist. Nach geläutertem Demokratieverständnis ist dies allerdings nur durch demokratisch legitimierte Organe möglich. Die in den Mitgliedstaaten wurzelnde Demokratieidee ergibt sich bereits aus Art. 2 EUV, wonach die Demokratie einen Wert darstellt, der allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist. Nichtsdestotrotz bestehen auch zwischen den Mitgliedstaaten Unterschiede in Bezug auf die konkreten Ausgestaltungen des Prinzips. Insofern ist stets von einem modifizierten unionsrechtlichen Demokratieprinzip auszugehen. Art. 9 EUV normiert dazu zunächst die Gleichheit aller Unionsbürger sowie

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