Europarecht. Bernhard Kempen

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Europarecht - Bernhard Kempen страница 79

Europarecht - Bernhard  Kempen Grundbegriffe des Rechts

Скачать книгу

wird, hebt den bürgerschaftlichen Aspekt des Demokratieprinzips hervor. Bedeutung gewinnt er insbesondere in der Zusammenschau mit Art. 10 und Art. 11 EUV.

      514

      Die Kernbestimmung zum unionsrechtlichen Demokratieverständnis bildet Art. 10 Abs. 1 EUV, der den Grundsatz der repräsentativen Demokratie festhält. Danach wird die Herrschaftsmacht innerhalb der Union – wie grundsätzlich auch in den Mitgliedstaaten – nicht direkt durch die Unionsbürger, sondern durch von ihnen bestimmte und somit demokratisch legimitierte Repräsentanten ausgeübt. Demnach muss grundsätzlich jedes Handeln der EU vom Willen der Unionsbürger getragen sein. Art. 10 Abs. 2 EUV konkretisiert diesen Grundsatz speziell für die EU dahingehend, dass die Unionsbürger „auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten“ sind (Art. 10 Abs. 2 UAbs. 1 EUV). Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten „im Europäischen Rat von ihrem jeweiligen Staats- oder Regierungschef und im Rat von ihrer jeweiligen Regierung vertreten, die ihrerseits in demokratischer Weise gegenüber ihrem nationalen Parlament oder gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern Rechenschaft ablegen müssen“ (Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2 EUV). Die EU beruht somit auf einem sog. doppelten Legitimationsstrang.

      515

      

      Demokratische Legitimation wird hier zunächst durch die Wahl zum → Europäischen Parlament als Repräsentationsorgan der Unionsbürger gewährleistet (s. a. → Europäisches Parlament: Wahlrecht). Ausformungen dieses Legitimationsstrangs bilden u.a. das aktive und passive Wahlrecht der Unionsbürger bei den Wahlen für das Europäische Parlament (Art. 22 Abs. 2 AEUV), das Wahlverfahrensrecht (Art. 223 Abs. 1 AEUV) und die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 14 Abs. 3 EUV, wonach die Parlamentarier in „allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt“ werden. Daneben vermittelt die demokratische Rückbindung der im → Europäischen Rat und im → Rat (Ministerrat) vertretenen Regierungsmitglieder an die jeweiligen nationalen Parlamente einen zweiten Legitimationsstrang (zur Tragfähigkeit der demokratischen Legitimation s. Rn. 520–524). Der Einfluss der nationalen Parlamente auf die Willensbildung innerhalb der EU wurde mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages beachtlich gestärkt (→ Europäische Union: Geschichte). So regelt Art. 12 EUV nunmehr Informationsrechte hinsichtlich Entwürfen von Gesetzgebungsakten (dazu → Rechtsakte) und Anträgen für den → Beitritt (zur EU). Des Weiteren gewährleistet die Norm Mitwirkungs- und Kontrollrechte, insbesondere im Verfahren zur → Vertragsänderung sowie in Bezug auf die Einhaltung des → Grundsatzes der Subsidiarität und des → Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Ferner sind die nationalen Parlamente an der Bewertung der Durchführung der Unionspolitik i.R.d. → Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu beteiligen und in die politische Kontrolle des → Europäischen Polizeiamtes (Europol) und in die Bewertung der Tätigkeit der → Einheit für justizielle Zusammenarbeit der EU (Eurojust) einzubeziehen.

      516

      Art. 10 Abs. 3 S. 1 EUV gewährleistet den Unionsbürgern das Recht, „am demokratischen Leben der Union teilzunehmen“. Eine Konkretisierung dieser Teilhaberechte findet sich in Art. 24 UAbs. 2 und Art. 227 AEUV in Form des Petitionsrechts sowie in Art. 24 UAbs. 3 und Art. 228 AEUV in Form des Beschwerderechts zum Bürgerbeauftragten. Ferner hat jeder Unionsbürger nach Art. 24 UAbs. 4 AEUV ein Fragerecht gegenüber den → Organen und Einrichtungen der EU.

      517

      

      Mit Art. 11 EUV sind weitere Teilhabemöglichkeiten hinzugetreten. So enthält Art. 11 Abs. 1 EUV das Gebot, den Unionsbürgern und repräsentativen Verbänden die Möglichkeit zu bieten, ihre Ansichten in „allen Bereichen des Handelns der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen“. Nach Art. 11 Abs. 3 EUV hat die → Europäische Kommission Betroffenenanhörungen durchzuführen. In gleichem Sinne sieht Art. 11 Abs. 2 EUV den „offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft“ vor. Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 EUV weisen somit Elemente partizipativer und assoziativer Demokratie auf. Hervorzuheben ist auch Art. 11 Abs. 4 EUV, der die → Bürgerinitiative als Element direkter Demokratie auf Unionsebene einführt. Wie auf nationaler Ebene stellen Formen direkter Demokratie auch in der EU die Ausnahme dar.

      518

      Art. 10 Abs. 3 S. 2 EUV legt fest, dass Entscheidungen auf EU-Ebene „so offen und bürgernah wie möglich getroffen“ werden. Dem Erfordernis möglichst bürgernaher Entscheidungen dient insbesondere der Grundsatz der Subsidiarität. Danach darf die EU in Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur dann tätig werden, wenn die dortigen Ziele durch Maßnahmen auf Unionsebene „besser“ zu verwirklichen sind (vgl. Art. 5 Abs. 3 UAbs. 1 EUV). Vorrangig sollen Entscheidungen somit auf Ebene der Mitgliedstaaten getroffen werden. Dies dient dem Schutz nationaler Identitäten, ermöglicht aber auch mehr Partizipation und effizientere Lösungen (dazu ausführlich → Grundsatz der Subsidiarität).

      519

      

      Mit der Offenheit der Entscheidungen wird ferner das Transparenzgebot angedeutet, welches u.a. in Art. 11 Abs. 2 EUV erwähnt wird. Danach müssen die Entscheidungen der EU möglichst verständlich und nachvollziehbar sein, um politische Kontrolle zu ermöglichen. Dies setzt zunächst den Zugang zu Dokumenten der Organe und Einrichtungen der EU voraus (vgl. Art. 15 Abs. 3 AEUV). Auch sind → Richtlinien und → Verordnungen der EU im Amtsblatt zu veröffentlichen und mit einer Begründung zu versehen (Art. 296 f. AEUV). Seit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages sind zudem die Sitzungen des Rates öffentlich, wenn dieser über Entwürfe zu Gesetzgebungsakten berät und abstimmt (Art. 16 Abs. 8 EUV; → Rechtsetzungsverfahren). Ein besonderer Aspekt der Offenheit und Bürgernähe ist zudem die Veröffentlichung der Unionstexte in sämtlichen Amtssprachen einerseits und die Kontaktaufnahmemöglichkeit der Unionsbürger mit den Organen und Einrichtungen der EU in den betreffenden Sprachen andererseits (dazu ausführlich

Скачать книгу