Hinweisgebersysteme. Martin Walter
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Gem. Art. 5 Ziff. 4 EU-Hinweisgeberrichtlinie ist eine „interne Meldung“ die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße innerhalb einer juristischen Person des privaten oder öffentlichen Sektors.
Gem. Art. 5 Ziff. 5 EU-Hinweisgeberrichtlinie ist eine „externe Meldung“ die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße an die zuständigen Behörden.
Mahnhold NZA 2008, 737; vgl. auch Eufinger NZA 2017, 619, Johnson CCZ 2019, 66.
Vgl. hierzu auch IDW PS 980 A 17 „Compliance Programm“.
1. Kapitel Einführung › II. Implikationen für den Hinweisgeber und die betroffene Organisation
II. Implikationen für den Hinweisgeber und die betroffene Organisation
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Die eingangs erwähnten positiven Auswirkungen eines Hinweises dienen – jedenfalls mittel- und langfristig – auch den Interessen und Zielen der betroffenen Organisation. Insoweit werden vor allem die positiven wirtschaftlichen Effekte von Hinweisen betont: Hinweisgeber sollen dazu beitragen, durch Rechtsverstöße entstehende Schäden zu vermeiden und Bedrohungen oder Schäden des öffentlichen Interesses, die andernfalls unentdeckt blieben, aufzudecken.[1] Gleichwohl sind Hinweisgeber in der Praxis häufig negativen Reaktionen aus den Reihen der betroffenen Organisation und deren Angehörigen (Kollegen) ausgesetzt. Nicht selten ergreift die Organisation gegenüber dem Hinweisgeber zivil- oder arbeitsrechtliche Schritte (z.B. Herabstufung oder Versagung einer Beförderung, Versetzung oder Kündigung). Aus dem Kreis der Kollegen drohen Stigmatisierung, sozialer Ausschluss bis hin zum Mobbing.[2] Zwar bildet ein Hinweisgebersystem aufgrund der Erhöhung des subjektiven Entdeckungsrisikos sowie der Verstärkung der Sozialisationseffekte der Mitarbeiter eine wesentliche Grundlage für eine effektive Kriminalprävention in Organisationen.[3] Erweist sich der Hinweis als stichhaltig und bezieht er sich auf illegale Verhaltensweisen, wird die Hinweiserteilung intern gerade von den Führungskräften und den übrigen Arbeitskollegen oftmals als illoyal empfunden.[4] Dies gilt vor allem in Organisationen, in denen ein ausgeprägtes Gruppengefühl vorhanden ist und sich daher viele in erheblichem Maße mit der Organisation und ihren Zielen identifizieren.[5] Ein vertrauensvolles Zusammenwirken, ausgerichtet auf eine offene Kommunikation sowie Kooperation mit Vorgesetzten und Kollegen, ist aber zentrale Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit und den Erfolg jeder Organisation. Die Implementierung eines funktionstüchtigen Hinweisgebersystems (als Bestandteil eines effektiven Compliance-Management-Systems) hängt daher maßgeblich davon ab, inwieweit es gelingt, die möglichen negativen Folgen, die zum einen der betroffenen Organisation, zum anderen dem Hinweisgeber drohen, zu vermeiden oder jedenfalls abzumildern. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an der Aufdeckung von Rechtsverstößen sowie Missständen in Unternehmen und Behörden einerseits und den zivil-, arbeits- und dienstrechtlichen Pflichten von Hinweisgebern andererseits verstärkt sich bei Meldungen an externe Stellen. Wann in diesem Spannungsverhältnis die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten die Verschwiegenheits- und Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Dienstherrn überwiegt und damit eine Offenbarung von Missständen rechtfertigt, war gesetzlich bislang nicht ausdrücklich geregelt.
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In seiner Grundsatzentscheidung im Fall Heinisch hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit dem Schutz von Hinweisgebern befasst und Kriterien für die Abwägung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen festgestellt.[6] 2003 hatte eine Pflegerin in einem Berliner Pflegeheim mehrfach Personalnotstand und unhaltbare Pflegezustände zunächst bei ihrem Arbeitgeber, dann bei der übergeordneten Heimaufsicht angezeigt. Diese stellte gravierende Pflegemängel fest. Da der Arbeitgeber keine Maßnahmen ergriff, um die Mängel abzustellen, erstattete die Pflegerin Strafanzeige gegen die verantwortlichen Personen wegen Betrugs. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein und der Pflegerin wurde von ihrem Arbeitgeber gekündigt. Die Kündigung hielt einer arbeitsgerichtlichen Prüfung stand. Im Juli 2011 urteilte der EGMR, dass die von den deutschen Gerichten bestätigte Kündigung eine Verletzung von Artikel 10 (Freiheit der Meinungsäußerung) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstelle. Der EGMR bestätigte dabei die Pflicht des Arbeitnehmers zu Loyalität, Zurückhaltung und Vertraulichkeit gegenüber seinem Arbeitgeber und bezeichnete den Gang an die Öffentlichkeit als „letztes Mittel“. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung seien unter anderem das öffentliche Interesse an der Information, deren Wahrheitsgehalt, Handlungsalternativen des Arbeitnehmers, aber auch die Gründe.[7] Die Umstände dieses Falles, die vorausgegangenen erfolglosen internen Meldungen, die Reaktion des Arbeitgebers und die Dauer des Verfahrens zeigen beispielhaft, wie notwendig klare gesetzliche Regelungen für hinweisgebende Personen sind.
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Die Vorgaben des EGMR im Fall Heinisch zum Schutz von Hinweisgebern wurden zwar seitdem in der deutschen Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit im Wesentlichen übernommen.[8] Es verblieben für Hinweisgeber aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Entscheidungen aber nicht unerhebliche rechtliche Risiken, wenn sie einen Missstand aufdecken wollten. Durch die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben für einzelne Sektoren – speziell im Bereich der Finanzdienstleistungen – wurden diese Risiken in den vergangenen Jahren bereits etwas abgemildert.[9] Zudem verbreitete sich in jüngster Zeit auch auf internationaler Ebene der Konsens, dass Hinweisgeber einen effektiven gesetzlichen Schutz benötigen, um vor allem der Korruption Einhalt zu gebieten.
Anmerkungen
Dilling CCZ 2019, 214 unter Hinweis auf die Begründung des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden v. 23.4.2018, 2018/0106 (COD), S. 3.
Vgl. nur Veljović CB 2019, 475, 477.
Veljović CB 2019, 475, 477 f.
Vgl. hierzu bereits Berndt/Hoppler BB 2005, 2623, 2628.
Näher zur Soziologie von Hinweisgebersystemen etwa Veljović CB 2019, 475.