Kaukasische Sinfonie. Werner Ryser

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Kaukasische Sinfonie - Werner Ryser

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Patronengurt, den sie schräg über Schulter und Brust trugen. Ausserdem besass jeder der Männer einen Kindschal, einen etwa fünfzig Zentimeter langen Dolch, der als Stich- und Schlagwaffe verwendet werden konnte.

      Simon brachte das Gefährt zum Stehen und tastete nach seinem Repetiergewehr, das unter dem Kutschbock lag. Sophie, die an den Überfall dachte, bei dem ihr Vater ums Leben gekommen war, konnte einen leisen Schreckensruf nicht unterdrücken. Karl und Hannes starrten die wilden Gesellen aus weit aufgerissenen Augen an. Nur Jakob schlief weiter.

      Der Anführer der Männer, ein Alter mit einem langen, weissen Bart, hob beide Hände mit der Innenfläche nach aussen, zum Zeichen, dass er keinerlei feindliche Absicht hege. Er stieg vom Pferd, deutete auf seine Brust und sagte «Allachwer». Das war offenbar sein Name. Dann reichte er Simon ein zusammengefaltetes Blatt. Gleichzeitig deutete er auf ein Messingschild an seinem Patronengurt. Tschapar des Herrn von Kutzschenbach stand da in perforierter Schrift. Simon überflog das Papier. «Ihr braucht keine Angst zu haben», sagte er zu Sophie und den Buben. «Die Männer gehören zu Kutzschenbachs Leibwache und sollen uns sicher bis nach Mamutlie begleiten.»

      Allachwer, ob er nun verstanden hatte, was der Gast seines Herrn sagte oder nicht, nickte eifrig und zeigte Richtung Süden. Von zwei bewaffneten Tataren vor und zwei hinter der Kutsche eskortiert, fuhren sie auf der Landstrasse weiter. Sie passierten nacheinander vier Siedlungen mit einem halben Dutzend erbärmlicher Erdhütten, dazwischen ab und zu ein elendes Holzhaus. Halbwilde Hunde balgten sich mit Scharen von Krähenvögeln um Abfälle. Männer in zerlumpten Kleidern starrten den Reisenden misstrauisch nach. Manchmal fuhren sie an einer verschleierten, von schmutzigen Kindern begleiteten Frau vorbei, die auf dem Kopf einen Wasserkrug oder ein Bündel Holz trug.

      Am späteren Nachmittag öffnete sich vor ihnen ein breiter, nach Südwesten sanft ansteigender Talkessel. Er war im Osten von Hügeln begrenzt, an deren Hängen von Bäumen und Sträuchern bewachsene Felsen standen. Im Süden und Westen schloss eine lange, steil abfallende Wand aus Lavagestein, über die ein tosender Wasserfall stürzte, den Talboden ab. Die grünen Wiesen, auf denen Obstgärten angelegt waren, standen in einem seltsamen Gegensatz zu den verwahrlosten Äckerchen und Weiden der Tatarensiedlungen, die sie hinter sich gelassen hatten.

      Mamutlie war ein Dorf, wie man es auch in Deutschland hätte finden können: eine kleine Kirche mit Glockenturm, um die sich fünf Dutzend schmucke, mit roten Ziegeldächern bedeckte Häuser scharten, davor Gemüsegärten. Hier lebten offenbar die Angestellten des Gutsbesitzers und ihre Familien. An einem Gebäude hing eine Tafel: Ambulanz und Apotheke. Am Rand der Siedlung standen Ställe, eine grosse Sennerei samt Käsekeller, eine Mühle, eine Stellmacherei, eine Backstube, ein Badehaus und eine Schmiede. Und mittendrin, eingerahmt von Bäumen und Ziersträuchern, eine Parkanlage: kurz getrimmter englischer Rasen und ein Teich, aus dem die Fontäne eines Springbrunnens in die Höhe schoss. Am Ufer des Wassers lag das Herrenhaus, auf dessen Freitreppe Alexander von Kutzschenbach, seine Frau und ihre Kinder standen, um die Gäste zu empfangen – ein Fürst, der sich mit seiner Familie präsentiert.

      Wie schon in Tiflis küsste der Deutsche Sophies Hand, und wie damals spielte ein Lächeln um ihre Lippen, das sich vertiefte, als die älteste Tochter des Gastgebers mit spitzen Fingern ihren Rock leicht anhob und knickste. Die drei Söhne, von denen der älteste bald mannbar sein würde, während es sich bei den beiden anderen um Halbwüchsige handelte, führten einen tadellosen Diener vor. Die Diepoldswilerbuben, die diese Art von Begrüssung einschüchterte, schauten fragend zu ihrem Vater, dessen strenger Blick ihnen jede Reaktion verwies. Die Atmosphäre entspannte sich erst, als Barbara von Kutzschenbach, die einen Säugling auf dem Arm trug und ein etwa Dreijähriges an der Hand hielt, die Gäste in breitem Berndeutsch willkommen hiess. Ein stattliches Weibervolk mit kräftigen Armen und breitem Becken, wie eine Emmentaler Bäuerin, dachte Simon.

      «Du kannst jetzt das Nachtessen vorbereiten», wies Herr von Kutzschenbach seine Frau an. «Und ihr kümmert euch um die drei Jungen», befahl er seinen Kindern. «Ich zeige Herrn und Frau Diepoldswiler unterdessen Mamutlie. Nach der Mahlzeit können wir», er wandte sich an Simon, «das Geschäftliche erledigen. Morgen nach dem Gottesdienst werden wir einen Ausflug zum Steppensee und zur Almkäserei machen. Ich hoffe, Sie und Ihre Familie geniessen den Aufenthalt bei uns.»

      3

      Am Sonntag nach dem Besuch auf Mamutlie ritt Simon auf seinem Kabardiner Verdandi südwärts durch die Steppe. Er hatte den Arm um Hannes gelegt, der vor ihm im Sattel sass. Vater und Sohn wurden begleitet von Lewan Gabaschwili, einem Georgier aus dem Dorf, Cornelius Fresendorff und Wassilij. Der Russe sass, seinem Alter zum Trotz, noch immer gut im Sattel. Er hatte darum gebeten, mitkommen zu dürfen. Die Männer hatten ihre Nabadis, Hirtenmäntel, die man beim Schlafen als Decken benutzen konnte, hinter ihren Sätteln aufgeschnallt. Ihr Ziel war Baron von Fenzlaus ehemalige Jagdhütte am Ufer des Pinesauri. Sie würde Gabaschwili als künftige Wohnung dienen. Nachdem durch den Erwerb des Kutzschenbachschen Forsts die Waldungen von Eben-Ezer markant grösser geworden waren, hatte sich Simon entschlossen, dem jungen Mann, der bis dahin in der Zimmerei von Hovhannes Stepanyan gearbeitet hatte, das Amt eines Wald- und Wildhüters anzuvertrauen.

      Ab und zu warf Simon einen Blick auf Cornelius. Er hatte nicht vergessen, wie erbärmlich der junge Mann bei seiner Ankunft auf Eben-Ezer auf seinem Maulesel gesessen war. Damals hatte er sich vorgenommen, ihm das Reiten beizubringen. «Hier draussen müsst Ihr mit einem Pferd umgehen können», hatte er ihm erklärt. «Ihr werdet mich von jetzt an einmal in der Woche begleiten, wenn ich bei den Hirten, die mein Vieh hüten, zum Rechten sehe.»

      «Ich muss doch Karl und Hannes das Abc beibringen», hatte Cornelius einzuwenden gewagt. Ihm graute davor, mit dem Patron durch die Steppe zu galoppieren.

      «Den Unterricht könnt ihr am Mittwochnachmittag nachholen, wenn die Buben freihaben.» Simon war energisch geworden: «Wenn einmal eine Bande von Tataren hinter Euch her ist, werdet Ihr froh sein, reiten zu können. Und wenn wir schon davon sprechen», er hatte den Schulmeister streng angeschaut, «könnt Ihr mit einem Gewehr umgehen?»

      «Um Himmels willen!» Der Balte war ehrlich entsetzt gewesen. «Ich habe noch nie eine Flinte in den Händen gehabt. Ich bin ein friedlicher Mensch. Von meinem Vater habe ich gelernt, Wunden zu heilen, nicht welche zuzufügen.»

      «Dann ist es höchste Zeit, dass sich das ändert. Ich werde Euch schiessen lehren. Glaubt mir: Früher oder später werdet Ihr es brauchen. Ihr seid nicht mehr in Libau. Dies ist ein wildes Land, und wer sich nicht zu wehren weiss …» Simon hatte den Satz nicht beendet.

      Zu seiner Befriedigung sass Fresendorff inzwischen ganz passabel im Sattel. Mit seinen Schiesskünsten war es allerdings nicht weit her. Noch immer erschrak er, wenn er den Abzug betätigte, und verzog regelmässig jeden Schuss.

      Es war ein herrlicher Frühsommertag. Das kniehohe Gras, das reif für den ersten Schnitt war, beugte sich unter einer sanften Brise. Simon machte Hannes auf fünf grosse Vögel aufmerksam, die mit weit ausgebreiteten Schwingen scheinbar schwerelos hoch über ihnen am Himmel kreisten. «Das sind Gänsegeier», sagte er. «Du erkennst sie an ihrem hellbraunen Federkleid und den fast schwarzen Schwingen, dem weissen Kopf und dem kurzen Schwanz. Sie wohnen im Gebirge.»

      «In den Nassen Bergen?»

      Dass sich der Bub noch an den Namen erinnerte!

      Am Pfingstsonntag waren die Diepoldswilers mit Alexander von Kutzschenbach auf die Hochebene gestiegen, die zu dessen Besitz gehörte. Es war eine baumlose, mit dichtem Gras bewachsene Steppe. Sophie war von den zahlreichen Blumen, die da oben wuchsen, entzückt gewesen. Sie hatte verschiedene Enziane und Hyazinthen entdeckt, rote, blaue und weisse Bergkornblumen, ferner zahlreiche Arten von Glockenblumen, Rittersporn, Eisenhut und sogar eine ihr unbekannte Orchideenart: ein

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