Das unsichtbare Netz des Lebens. Martin Grassberger

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Das unsichtbare Netz des Lebens - Martin Grassberger

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auf Koevolution beruhende Symbiose ist vor allem durch unser Mikrobiom und seine komplexen Wechselwirkungen mit der Physiologie unseres Körpers manifestiert.

      Es sind gerade die mit uns lebenden Mikroorganismen, welche die meisten Fäden des Lebensnetzes der Erde ausmachen und uns in unglaublichem Ausmaß mit unserer Umwelt und der Biosphäre des Planeten verbinden. Das große Gesamtökosystem, die Biosphäre, besteht aus unzähligen kleineren Teilökosystemen, deren Funktion selbst maßgeblich auf der Aktivität von Mikroorganismen beruht. Sie sind quasi das unsichtbare Lebenserhaltungssystem – sowohl des belebten Planeten als auch von uns. Ein weiterer Teil des Lebensnetzes sind somit die Ökosysteme, in denen wir leben, und ihre gesamte Biodiversität. Und von hier aus bestehen wiederum Verbindungen zu uns selbst, denn zahlreiche Umwelteinflüsse (die meisten davon menschengemacht) zusammengenommen, beeinflussen entweder direkt oder über den Umweg des Mikrobioms die alles entscheidende Epigenetik. Dieses erst vor Kurzem in den Fokus der Wissenschaft gerückte Forschungsgebiet schließt das Netz zwischen uns und unserer Umwelt.

      Maßgeblich beeinflusst werden sowohl das Mikrobiom als auch die epigenetischen Mechanismen von einem Produkt unserer Umwelt, unserer täglichen Nahrung, die wir aufgrund unserer langen Evolution und individuellen Ausstattung mal besser mal schlechter vertragen. Alles in allem handelt es sich bei den angesprochenen Wissenschaftsdisziplinen um eine durchaus komplexe Materie, zu der jeweils sicher noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist.

      Die wissenschaftlichen Ergebnisse der letzten Jahrzehnte machen es uns allerdings bereits jetzt schon möglich, die entscheidenden Zusammenhänge zu erkennen. Eine wichtige Erkenntnis daraus ist, dass es die Gesundheit des Menschen sowohl als Gesamtpopulation als auch als Individuum nur in Verbindung mit gesunden Ökosystemen und der Gesundheit des gesamten Planeten geben kann. Das neueste Schlagwort hierfür ist »Planetary Health«.

      Um die Erkenntnisse aus den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen auf systemischer Ebene zusammenzuführen und daraus konkrete Konsequenzen für unsere Gesundheit und die der Erde abzuleiten, bedarf es einer integrativen Sichtweise. Ein Verständnis aller Teildisziplinen bis in das kleinste wissenschaftliche Detail ist dabei für den Einzelnen aber nicht notwendig. Es reicht aus, wenn wir beginnen, die wesentlichen Mechanismen und Verbindungen dieses Netzes zu sehen und zu verstehen und in unsere täglichen Entscheidungen bezüglich Ernährung und Lebensweise im weitesten Sinne miteinzubeziehen. Eine Folge davon wird vielleicht auch eine ganz andere Sicht auf uns und unsere Rolle im Netz des Lebens auf der Erde sein.

       Prolog: Geburt

      »Blut, Schweiß und Tränen«, sagt Luise mit einem erleichterten Lächeln. Das umschreibe kurz gefasst die Geburt ihrer Tochter, die vor zwei Wochen in einem Wiener Krankenhaus das Licht der Welt erblickte. Luise und ihre Tochter sind wohlauf, obwohl »es eigentlich nicht so lief, wie geplant«, zumindest wenn es nach Luise gehen sollte. Sie wollte ihr Kind eigentlich lieber zu Hause auf die Welt bringen als in einem unpersönlichen Krankenhaus mit steriler Atmosphäre und all seiner Hektik.

      Als sie ihrem Frauenarzt im Zuge einer der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen den Plan einer »natürlichen Hausgeburt« eröffnete, fiel dieser aus »allen Wolken« und »wurde richtig unfreundlich«, erinnert sich Luise. »Anstatt mich als Patientin in meinem Wunsch ernst zu nehmen und die Vor- und Nachteile einer Hausgeburt zu besprechen, schürte er nur Unsicherheit und Angst, indem er diverse Horrorszenarien von abgebrochenen Hausgeburten skizzierte

      Die Hausgeburt einer Erstgebärenden sei wohl die verrückteste und gleichzeitig dümmste Idee, die jemand in einem zivilisierten Land haben könne, so der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. »Sie gefährden damit sich und Ihr Kind. Wollen Sie das wirklich?«, fragte der Arzt Luise und wartete keine Antwort ab, ehe er weiter konstatierte, dass in einem Krankenhaus sämtliche Risiken minimiert werden könnten. Dort bestünden nämlich alle Möglichkeiten zur Überwachung durch ein CTG (ein Gerät zur Überwachung der Wehentätigkeit und der kindlichen Herztöne, Anm.), einer medikamentösen Auslösung oder Hemmung der Wehentätigkeit, einer Unterdrückung der Schmerzen durch den Anästhesisten und im Falle von Komplikationen könne sofort ein Kaiserschnitt durchgeführt werden.

      Die eindringlichen Worte ihres Arztes brachten Luise zum Grübeln. Immerhin handelte es sich bei ihm um einen sehr erfahrenen und für seine fachlichen Kompetenzen geschätzten Gynäkologen. Was, wenn er recht behalten sollte? War es denn wirklich so eine dumme Idee, sein Kind zu Hause in unterstützender Begleitung einer versierten Hebamme gebären zu wollen?

      Die folgende Phase der Entscheidungsfindung gestaltete sich als Achterbahn der Gefühle für Luise, aber auch für ihren Partner, denn beide wollten nur das Beste und sicherlich keine unnötige Gefährdung ihres ungeborenen Kindes. Schließlich wurde ihnen aber eine erfahrene Hebamme empfohlen, die sowohl in einer Geburtsklinik arbeitete, als auch Hausgeburten betreute.

      Schon beim ersten Gespräch beruhigte die Hebamme Luise. Sie würde schon seit 20 Jahren Hausgeburten begleiten und es sei bisher eher selten der Fall gewesen, dass sie den Vorgang abbrechen und mit der Gebärenden in ein Spital fahren musste. Vor allem die Tatsache, dass die Hebamme über ein mobiles CTG-Gerät verfügte und somit den Geburtsvorgang – insbesondere das Wohlergehen des Kindes – dadurch überwachen könne, erschien der mittlerweile hochschwangeren Luise Sicherheit und Halt gebend, sodass sie sich letztlich trotz vieler mahnender Gegenstimmen gemeinsam mit ihrem Partner für eine Hausgeburt entschließen konnte.

      Einen Tag nach dem errechneten Geburtstermin war es dann so weit. »Die Hebamme war nach 20 Minuten da und alles verlief wie geplant«, erinnert sich Luise. Als dann aber nach sieben Stunden der Geburtsfortschritt im eigenen Schlafzimmer etwas stagnierte, entschied die Hebamme »sicherheitshalber«, wie sie sagte, in die Geburtsklinik, in der sie auch arbeitete, zu fahren. Dort angelangt, wurde die Lage des Babys mittels Bauchultraschall kontrolliert und folglich konnte Luise in einem abgedunkelten Entbindungsraum des Kreißsaals mit Unterstützung ihrer »eigenen« Hebamme und ihres Partner nach weiteren zwei Stunden schließlich ihre Tochter gebären. Und zwar ganz so, wie sie sich das eigentlich für zu Hause vorgestellt hatte: nämlich ohne jegliche medizinische Intervention auf »natürliche Weise«, allerdings nun mit der Sicherheit einer medizinischen Geburtshilfe im Hintergrund »für den Fall des Falles«. Als sogenannte »ambulante Geburt« durfte Luise, nachdem eine Kinderärztin den Neuankömmling untersucht und ihr Einverständnis gegeben hatte, die Geburtsklinik nach vier Stunden wieder verlassen, um gemeinsam mit ihrem »kleinen Wunder« im Wochenbett Bekanntschaft zu schließen. Das Stillen funktionierte wunderbar und die regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen durch die Hebamme fanden stressfrei in häuslicher Umgebung statt.

      Viele Frauen wünschen sich wie Luise eine sanfte Geburt mit geringer medizinischer Intervention, am liebsten in vertrauter Umgebung oder in den eigenen vier Wänden. Die moderne Medizin steht derartigen Bestrebungen allerdings sehr skeptisch gegenüber, denn immerhin kommt es selbst in Krankenhäusern, trotz aller Möglichkeiten der modernen Medizin, regelmäßig zu Geburtskomplikationen. Und genau diese haben Ärztinnen und Ärzte im Hinterkopf, wenn sie mit den Wünschen von Frauen nach einer sanften und »natürlichen« Hausgeburt konfrontiert werden.

      Aber ist nicht die Geburt ein absolut natürliches Phänomen, das seit Millionen von Jahren reibungslos funktioniert? Wäre sie es nicht, dann gäbe es die Spezies Mensch doch schon längst nicht mehr. Aber so einfach ist die Sache nicht.

      Über 130 Millionen Babys werden weltweit jedes Jahr geboren und immer noch sterben 2,4 Millionen Säuglinge innerhalb des ersten Lebensmonats.1 Das sind die bitteren Fakten und die Ursachen hierfür sind vielfältig. Weltweit sterben auch 211 von 100 000 Frauen im Zuge der Geburt.2 Allerdings bestehen erhebliche Unterschiede zwischen wohlhabenden Ländern und sogenannten Entwicklungsländern bzw. Ländern, deren medizinisches System in

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