Die Kunst des richtigen Maßes. Johannes Huber

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Die Kunst des richtigen Maßes - Johannes Huber

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einen Liter Wasser.

      Schon sein Morgenritual sagt viel aus: Um fünf Uhr öffnet er die Augen, Wecker braucht er keinen. Seine innere Uhr ist präziser als jedes iPhone. Dorsey gähnt nicht, er ist im Nu wach. Er steht auf und steigt vom warmen Bett direkt in kaltes Wasser. Ein Pool mit vierzehn Grad kaltem Wasser. Dorsey setzt sich hinein und taucht unter, ganz ruhig und bewusst.13

      Der biochemische Effekt ist sofort spürbar: Adrenalin wird ausgeschüttet, der Mensch steht unter Strom. In zunehmendem Alter verlieren wir immer mehr diesen Effekt. Das ist der Grund, warum wir dicker werden, obwohl wir gleich viel essen. Das Adrenalin verbrennt das Fett. Dieses kalte Bad von Jack Dorsey verlangt enorme Überwindung. Er selbst sagt:

      Ein kaltes Bad am Morgen mag wie eine Kleinigkeit erscheinen, und es ist sehr schmerzhaft, aber wenn ich mich dazu überwinde, traue ich mir tagsüber alles zu, was ich mir vornehme.

      Dorsey hat dafür den Ausdruck will power gewählt. Er bringt den Willen auf, sich zu überwinden, sich ins kalte Wasser zu setzen, und aus diesem Willen in Kombination mit dem Verzicht auf das warme Bett schöpft er die Kraft, den ganzen Tag Höchstleistungen abzuliefern.

      Dorsey fand seine Erfahrung so ermutigend, dass er anfing, mit einer noch extremeren Form des Fastens zu experimentieren. Er ließ seine Mahlzeiten am Freitag und Samstag gänzlich aus. Zwei Tage in der Woche aß er nichts. Den Effekt beschrieb er so:

      Beim ersten Mal habe ich mich am dritten Tag so gefühlt, als ob ich halluziniere. Aber ich habe auch festgestellt, dass es mir bei längerem Fasten so vorkommt, als ob die Zeit viel langsamer vergeht. Vor allem hatte ich Gedanken, auf die ich sonst nie gekommen wäre.

      Ideen durch Verzicht. Weisheit durch Weglassen.

      Die Enthaltsamkeit am Wochenende gab Jack Dorsey irgendwann wieder auf. Heute isst er wieder sieben Mahlzeiten in der Woche, also jeden Tag genau eine. Auf diese Art des Fastens führt er seine Erkenntnisse bei Twitter und in der elektronischen Technologie zurück. Zusätzlich versucht er, täglich drei Mal eine Stunde zu meditieren. Für ihn bedeutet auch Meditation den Verzicht auf etwas, und zwar auf den ständigen Gedankenfluss. Sie ist Entgiftung vom Alltag.

      In regelmäßigen Abständen macht er außerdem die sogenannte Vipassana-Meditation, bei der er sich zehn Tage zurückzieht, ähnlich wie der israelische Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari. Dorsey verzichtet dabei auf alles. Auf Sprechen, Augenkontakt, Computer, Handy, vor allem auf elektronische Nachrichten, obwohl er sie selbst weltbekannt gemacht hat.

      Jeden Tag geht er acht Kilometer zur Arbeit und wieder zurück. Spät am Abend schreibt er seine Erfahrungen und Gedanken auf. Dabei verzichtet er auf sein Handy, sein iPad oder seinen Laptop. Er bedient sich lieber eines analogen Tagebuchs. Der Asket weiß auch dabei, warum. Handschriftliche Aufzeichnungen haben für die eigene Ausrichtung auf Ziele, für die eigene Verarbeitung, für das eigene Gehirn mehr Gewicht als elektronische Memos.

       Die Methode Dorsey macht Schule

      Es scheint so, als würde sich zumindest Dorseys Ernährungsweise aus den elitären Zirkeln des Silicon Valley heraus in etwas größeren gesellschaftlichen Gruppen ausbreiten. Sie trägt den Namen OMAD, was sich vom englischen »One Meal A Day« ableitet.14 Es ist eine extremere Form des aus guten Gründen in Mode gekommenen Intervallfastens, bloß haben ihre Anhänger nicht sieben Stunden, sondern nur eine Stunde pro Tag Zeit zu Essen.

      Es gibt vier Grundregeln bei dieser OMAD-Diät:

      Erstens. In den restlichen 23 Stunden sind auch keine kalorienhaltigen Getränke erlaubt.

      Zweitens. Jeden Tag zum gleichen Zeitpunkt essen. Das soll dem Körper helfen, sich auf den Fastenrhythmus einzustellen.

      Drittens. Der Durchmesser des Tellers darf nicht mehr als 28 Zentimeter betragen. Das hilft gegen große Mengen.

      Viertens. Stapeln verboten! Das Essen am Teller darf nicht mehr als sieben Zentimeter hoch sein.

      Generell gilt: Zwei bis drei Liter Wasser am Tag trinken. Der Sprit für einen klaren Geist.

       Phil Libins Hunger nach geistiger Klarheit

      Werfen wir einen Blick auf Phil Libin.

      Mit 17 Jahren gründete er sein erstes Unternehmen, 2007 erfand er mit Evernote ein elektronisches Notizbuch, auf das User von jedem Computer oder Smartphone aus zugreifen können. Phil Libin stammt aus dem russischen Sankt Petersburg und kam mit seinen Eltern nach New York. Sein erstes Geld verdiente er mit Reparaturarbeiten, heute ist er Vorstandschef von Evernote und gilt als einer der innovativsten EDV-Unternehmensgründer der Welt.

      Auch Libin hat sich der Askese verschrieben. Zwischen zwei und acht Tagen am Stück verzichtet er gänzlich auf Essen. Den größten Vorteil sieht auch er darin, dass er sich durch das Fasten geistige Klarheit erarbeitet. Mit dieser Klarsicht kann er Dinge entwickeln, die er seiner Meinung nach nicht geschafft hätte, wenn er einfach jeden Tag normal gegessen hätte. Er fing damit an, als sich seine Frau von ihm getrennt hatte und er in eine tiefe Depression schlitterte. Er begann zu fasten und wurde erst dann erfolgreich. Hunger und Liebeskummer sind erstaunliche Motoren für den Erfolg.15

       Wie Steve Jobs den Macintosh erfand

      Oder nehmen wir Steve Jobs, der ein Adoptivkind war. Er wollte ursprünglich Kalligraph werden und baute dann, ähnlich wie Bill Gates, in der Garage seines Elternhauses die ersten beiden Apple-Computer. Der Durchbruch gelang ihm 1984, da stellte Apple den Macintosh vor.

      Von Steve Jobs gibt es eine bekannte Biographie, verfasst von Walter Isaacson. Isaacson beschrieb ganz genau, wie Jobs beim Fasten Euphorie-Gefühle bekam. Diese Momente des Verzückens waren es, die ihn begleiteten, als er den Macintosh entwickelte. Jobs aß nichts, und erst da flogen ihm die entscheidenden Ideen zu. 2003 kam dann die Krebsdiagnose. Jobs lebte asketisch weiter, immerhin bis 2011. Acht Jahre Lebenserwartung, das hätte ihm zunächst kein Arzt mehr zugetraut.16

      Dorsey, Libin und Jobs.

      Die gleiche Clique aus dem Silicon Valley, die pionierhaft und im Übermaß die Digitalisierung vorantrieb, erkannte die Vorteile der Mäßigung und nutzte sie konsequent und ihren Ambitionen entsprechend einigermaßen extrem für sich.

      Die Elite der silikalen Welt und ihr simples Credo: Weniger ist mehr. Das Zitat des Dalai Lama17 ließe sich so extemporieren:

      Loslassen vom Überschuss ist das Herz geistigen Wachstums, das sich auch in äußerem Erfolg manifestieren kann.

      Erstaunlicherweise verlangen die Eliten diesen Verzicht sich selbst ab, nicht aber ihren Mitarbeitern. Auf der Payroll von Google und Facebook zu stehen, heißt ganz im Gegenteil, zur Völlerei geradezu animiert zu werden. Die Internetkonzerne bitten zu Tisch, als wär jeder Tag das letzte Abendmahl.

      Die Mitarbeiter bekommen in den Betriebskantinen täglich gratis All you can eat in der Gourmet-Variante serviert. Google und Facebook sind bekannt für ihre Gourmet-Kantinen. Das Essen gilt als besonders exzellent. Asiatisch, mexikanisch, mediterran, vegan, natürlich auch Steaks und Burger, alles in jeder beliebigen Menge, aber nur vom

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