Der gläserne Fluch. Thomas Thiemeyer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der gläserne Fluch - Thomas Thiemeyer страница 17

Der gläserne Fluch - Thomas Thiemeyer Die Chroniken der Weltensucher

Скачать книгу

Er hatte das ganze Zimmer abgesucht. Jeden Winkel, jedes Fach, jede Schublade. Wieder kein Glück gehabt. Dabei war Humboldt so sicher gewesen, dass das Tagebuch im Schlafzimmer sei. Doch hier war nichts. Eine ganze Viertelstunde hatte er verplempert und war immer noch keinen Schritt weiter.

      Die Zeit wurde knapp.

      Er verließ das Schlafzimmer und eilte nach links. Das nächste Zimmer schien eine Art Studierstube zu sein. Bücherregale, ein Schreibtisch, einige Stühle und ein Sekretär. Darauf Tintenfässer, Schreibwerkzeuge sowie ein Stapel unbeschriebenes Papier.

      Mit aufkeimender Hoffnung näherte sich Oskar dem Sekretär.

      Die Schublade war abgeschlossen.

      Oskar wühlte in seiner Hosentasche. Seine Finger ertasteten ein gebogenes Metallstück. Er zog es heraus und hielt es in die Höhe. Ein schmales Grinsen umspielte seinen Mund. Alte Gewohnheiten legte man nicht so einfach ab. In den Zeiten, als er sein Brot mit Taschendiebstählen und kleinen Raubzügen bestritten hatte, war ihm dieses Metallstück stets ein treuer Begleiter gewesen.

      Er steckte den Dietrich ins Schloss und drehte ihn sanft nach rechts. Er spürte einen Widerstand. Jetzt war Vorsicht geboten. Eine unachtsame Bewegung und der dünne Stift würde abbrechen. Zum Glück waren die Metallteile gut geölt. Er ertastete den Widerstandspunkt, winkelte den Dietrich leicht an, sodass er ihn als Hebel verwenden konnte, und drückte den Stift nach unten. Ein befriedigendes Klicken war zu hören. Rasch zog er ihn wieder heraus, steckte ihn ein und öffnete die Schublade. Im Licht der Feuerwerkskaskaden sah er den Inhalt. Briefpapier, Siegelwachs, allerlei Stifte und – ihm stockte der Atem – ein fleckiges, abgewetzt wirkendes Notizbuch. Auf dem dunklen Holzboden der Schublade glitzerten Sandkörner.

      Er wollte schon zugreifen, als er in der Fensterscheibe eine Bewegung bemerkte. Irgendjemand kam hinter ihm den hell erleuchteten Flur entlang. Rasch löste er die Finger vom Tagebuch und stieß die Schublade zu. Oskar hielt den Atem an und tat so, als würde er aus dem Fenster blicken. In der gläsernen Reflektion sah er, dass der Fremde im Türrahmen hinter ihm stehen geblieben war.

      »Hallo, mein Junge.«

      Es war der Hausherr.

      Himmel!

      Oskar drehte sich um. »Oh, hallo, Herr Bellheim.« Seine Stimme zitterte. Er konnte es nicht verhindern.

      »Was machst du hier?«

      »Ich hab mich verlaufen«, log Oskar. »Die untere Toilette war besetzt, da hab ich gedacht, ich schau mal im ersten Stock nach. Na ja, und dann fing das Feuerwerk an. Ist das nicht eine herrliche Aussicht?« Er wusste selbst, wie unglaubwürdig das klang, aber das war das Einzige, was ihm in so kurzer Zeit einfiel.

      Der Völkerkundler schloss die Tür hinter ihnen, dann kam er langsam näher. Oskar hörte sein Blut in den Ohren pochen.

      Bellheims Blick wanderte von Oskar zum Sekretär. Als er seine Hand ausstreckte und mit den Fingern über das Schloss tastete, verließ Oskar der Mut. Er hatte etwas bemerkt. Er musste etwas bemerkt haben.

      »Hat dir der Abend gefallen?«

      »Was …? Oh ja. Sehr.«

      »Deine Cousine ist ein zauberhaftes Mädchen. Ich bin sicher, sie vermisst dich. Du solltest zu ihr gehen.«

      »Ja, Sie haben sicher recht.« Oskar schluckte. Dieses Gespräch war irgendwie eigenartig.

      »Dann beeil dich. Und gutes neues Jahr, mein Junge.«

      »Das wünsche ich Ihnen auch. Von ganzem Herzen. Ihnen und Ihrer Frau.«

      Bellheim nickte und wandte sich dann wieder dem Fenster zu.

      Das war’s. Keine Beschuldigung, kein Vorwurf. Oskar trat einen Schritt zurück. »Und bitte entschuldigen Sie, dass ich einfach unerlaubt Ihr Arbeitszimmer betreten habe.«

      »Macht doch nichts, mein Junge. Jetzt geh und richte den anderen einen schönen Gruß aus. Ich werde oben bleiben und mir von hier aus alles ansehen. Ist gemütlicher.« Er lächelte.

      Oskar spürte, wie die Last von seinen Schultern fiel. Sein Einbruchsversuch war offenbar unbemerkt geblieben.

      »Gern«, sagte er in leichtem Plauderton. »Oh, und alles Gute für Ihre Vortragsreise. Ich bin schon gespannt zu erfahren, was es mit dem Meteoriten auf sich hat.«

      Er biss sich auf die Lippen. Eigentlich durfte er das gar nicht wissen. Die Worte waren aus seinem Mund geschlüpft. Einfach so.

      Der Völkerkundler drehte sich um. Langsam. Als befände er sich in einem Glas mit Honig. In seinen Augen lag ein grünlicher Schimmer.

      »Sagtest du gerade Meteorit, mein Junge?«

      12

      Charlotte konnte ihre Enttäuschung nicht länger verbergen. Oskar war nicht gekommen. Der magische Moment war vergangen und er hatte sie einfach allein stehen lassen. Und dann noch dieser Kommentar ihres Onkels. Hegte er allen Ernstes den Verdacht, sie habe sich in Oskar verliebt?

      Lächerlich.

      In ihr tobte eine Mischung aus Enttäuschung und Sorge. Was war nur mit dem Kerl los? Manchmal verstand sie ihn einfach nicht. War es wirklich zu viel verlangt, dass er wenigstens an diesem besonderen Moment pünktlich erschien? Oskar war notorisch unzuverlässig, aber jetzt hatte er das Maß überschritten.

      Andererseits: Was, wenn es ihm nicht gut ging? Vielleicht sollte sie mal nach ihm sehen.

      Sie wollte gerade zurückgehen, als sie eine feste Hand auf ihrer Schulter spürte. »Nein, nicht.«

      Es war Humboldt. Sein Gesicht wirkte ernst. »Lass es bleiben.«

      Er schien genau zu wissen, was mit Oskar los war.

      »Und wenn es ihm schlecht geht? Vielleicht ist ihm übel geworden oder er …«

      »Es geht ihm gut.«

      »Woher weißt du das?«

      »Weil ich es weiß.«

      Sie hob die Brauen. »Willst du es mir verraten?«

      »Er ist in meinem Auftrag unterwegs.«

      Charlotte brauchte einige Sekunden, um sich über die Bedeutung der Worte klar zu werden. »In deinem Auftrag?« Sie zögerte. »Heißt das … Oh nein. Du hast ihn doch nicht zu irgendwelchen krummen Sachen angestiftet?«

      »Es dient einem guten Zweck«, sagte der Forscher. »Er soll für mich etwas suchen. Etwas Privates. Etwas, das nur er in dieser kurzen Zeit finden kann.«

      »Und wenn er erwischt wird?«

      Humboldt blieb die Antwort schuldig.

      Charlotte spürte, wie frostige Finger ihr Herz umklammerten.

      * * *

      »Woher weißt du von dem Meteoriten?« Bellheims Stimme hatte die Härte einer Diamantklinge. Oskar wollte etwas antworten, doch er konnte nicht. Seine Stimme war wie zugeschnürt.

Скачать книгу