Morgen ist alles besser. Annemarie Selinko

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Morgen ist alles besser - Annemarie Selinko страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
Morgen ist alles besser - Annemarie  Selinko

Скачать книгу

sie mühsam hervor, »und ich, ja also – nach der Matura muss ich schauen, irgendwie Geld zu verdienen –«

      Das Gespräch ist der Toni sichtlich peinlich. Sie blickt die Wände entlang und bemerkt, dass der Totenkopf, der auf dem Lehrmittelschrank steht, noch immer die gemalten Augenbrauen trägt. Sie hat dem Totenkopf voriges Jahr mit Tusche Augenbrauen gemalt. Damit der Totenkopf mehr Ausdruck bekommt.

      »Sie werden im Halbjahrszeugnis ein Nicht genügend in Latein haben«, teilt die Mikula mit. »Ihre letzte schriftliche Arbeit war vollkommen ungenügend. Und die vorletzte, die ich mit Genügend klassifizierte, haben Sie von der Raftl abgeschrieben. Glauben Sie nicht, dass ich das nicht weiß. Ich weiß alles.«

      Pause. Die Toni hat das Gefühl, dass ihr Herz ein Stein wird. Ganz schwer liegt es ihr in der Brust, es tut richtig weh, sie möchte sich am liebsten umdrehen, weglaufen und heulen. Aber vor der Mikula heult sie nicht. Sie hebt sogar den Kopf, presst die Lippen fest zusammen und sieht der Frau Professor gerade ins Gesicht.

      »Jaaa?«, sagt sie, es klingt gedehnt, die aufwärtsstrebende Nase mit ihrem Sommersprossenwald wirkt arrogant.

      »Und in Mathematik haben Sie dieses Jahr auch versagt, Professor Mitzner hat mich ersucht, Ihnen dies mitzuteilen. Sie werden auch in Mathematik ein Nicht genügend haben. Und in Geographie werden Sie noch einmal geprüft. Ich muss Ihnen das sagen, ich bin schließlich Ihr Klassenvorstand.«

      Die Motten sind in das ausgestopfte Känguru geraten, denkt Toni Huber. Das Känguru steht in einer Ecke und hat schon ganz kahle Stellen im Fell. Wenn der Matzl, der Schuldiener, nächsten Sommer kein Naphthalin nimmt, dann fressen uns noch die Motten das ganze Känguru auf. Und nächsten Herbst –

      »Hören Sie, Huber, Ihre Frau Mutter soll in der nächsten Sprechstunde zu mir kommen«, sagt die Mikula entschieden.

      »Ich habe keine Mutter mehr, Frau Professor«, erwidert die Toni.

      Sie sagt es nicht leise, sondern teilt einfach eine Tatsache mit. Die Mikula ärgert sich: Erstens ist es ihr peinlich, sich für eine unbeabsichtigte Taktlosigkeit entschuldigen zu müssen, und zweitens hat sie doch eine Wut auf die Huber. Im Augenblick scheint es ihr, als ob die Huber aus reinem Trotz, aus Widerspruchsgeist keine Mutter mehr habe. »Entschuldigen Sie, ich habe das vergessen«, murmelt sie. Und sachlich: »Dann schicken Sie mir Ihren Herrn Vater her, ich muss mit ihm über Sie sprechen.«

      »Ja«, sagt die Toni, »ich werde es ihm sagen.« Sie blickt noch immer das Känguru mit der Glatze an. Dann: »Ich hoffe, dass sich der Friedl freimachen kann, er hat vormittags immer viel zu tun.«

      Die Mikula fährt auf: »Von wem sprechen Sie?«

      »Ach so«, sagt die Toni, »ich meine, ich hoffe, dass sich der Vater freimachen kann.«

      »Es ist sehr wichtig, mein Kind, es handelt sich um Ihren Werdegang«, sagt die Mikula entschieden.

      Sie sagt »mein Kind« und meint, »du Fratz«, spürt Toni.

      »Das wäre hiemit erledigt. Sie können gehen, Huber«, sagt die Mikula abschließend.

      Der Friedl muss zur Mikula, er muss mit ihr reden, überlegt die Toni. Scheußliche Situation. Ich werde heut nach Tisch mit dem Friedl die Sache besprechen. Was die Mikula für ungepflegte Hände hat. Ich hab meistens auch schmutzige Nägel, aber ich bin ja schließlich noch nicht so erwachsen. Die Mikula beißt vielleicht Nägel, sie ist eine unappetitliche Person, sie beißt sogar bestimmt Nägel. Wie sie mich nicht leiden kann, diese Mikula –

      »Danke schön, Frau Professor«, flüstert die Toni gewohnheitsmäßig und macht eine ungeschickte Verbeugung.

      »Es ist gut, Huber. Grüß Gott«, nickt die Mikula und zieht den Stoß blauer Hefte zu sich heran.

      »’ß Gott, Frau Professor«, murmelt die Toni und geht zur Tür. Sie geht sehr aufrecht, mit langen Schritten, sie beißt die Zähne zusammen und haut nicht ein bisschen die Tür hinter sich zu. Auf dem Gang bleibt sie sekundenlang stehen. Man muss sich von der Mikula erholen. Da kommt die Meier vorbei, im Mantel, die Schultasche unterm Arm.

      »Was war bei der Mikula?«, fragt sie. Die Lateinstunde war von zwölf bis eins, die Meier hat eine Weile oben im Klassenzimmer auf Toni gewartet.

      »Nichts Besonderes«, sagt die Toni, und ihr Gesicht ist bös und verschlossen. »Ich geh voraus, beeil dich und komm in die Kondi«, ruft die Meier und poltert die Stiegen hinunter.

      Die Toni steigt ganz langsam in den dritten Stock hinauf, dort ist das Zimmer der achten Klasse. Das Klassenzimmer ist leer, drohend starren die metallenen Kleiderhaken von den Wänden, einsam hängt da ein alter Kamelhaarmantel mit deutlich sichtbaren Ölflecken. Die Toni geht zu ihrem Platz in der letzten Bank, sie holt die Schultasche aus dem Pultfach und wirft das Lateinbuch und die Füllfeder hinein.

      Man fühlt sich schrecklich allein in einem leeren Klassenzimmer. Auf der Tafel sind noch Überreste aus der Mathematikstunde. Die Kratochwil hat mit kühnem Schwung eine Hyperbel aufgezeichnet. Hyperbel ist ein gutes Wort für die Kratochwil, denkt Toni, da kommt kein »s« vor. Ellipse ist schon viel schwieriger. Elliptze oder Ellipche. Die Kratochwil ist eigentlich gar nicht gescheit. Aber sie stuckt nächtelang, um Vorzugsschülerin zu sein. Vorzugszeugnisse verderben den Charakter, die Kratochwil sagt nie ein. Die Mikula war sicher auch immer Vorzugsschülerin …

      Die Mikula hat wahrscheinlich eine Wut auf mich, weil, ja, wegen der Nase hat sie diese Wut, konstatiert die Toni. Sie hat ein Fenster aufgemacht und benützt die Glasscheibe des offenen Fensterflügels als Spiegel. Jede junge Dame, die notgedrungen noch ein Schulmädel ist, verwendet die Fenster im Klassenzimmer als Ankleidespiegel. Die Toni setzt ihre Pullmankappe auf, sie tritt ganz nahe an die Fensterscheibe heran und beugt sich vor, das Licht blendet so, sie schiebt die Haarsträhne, die nie glatt liegen bleibt, unter die Kappe und rückt diese etwas schiefer. Die Nase … die Nase macht einen frechen Eindruck. Die Toni hat ein sehr junges, noch nicht ganz fertiges Gesicht. Blassen, etwas zu großen Mund mit schmalen Lippen, große, hellgraue Augen mit langen Wimpern. Übrigens hübsche Augen. Es gibt Augenblicke, da diese Augen ganz schmal werden. Toni schiebt das Kinn vor und bekommt ein hartes Gesicht. Bei Unterredungen mit der Mikula, zum Beispiel, wird ihr kleines Gesicht sehr hart und die Toni hat auf einmal – ein Antlitz.

      Die Toni ärgert sich oft über ihre Nase. Abgesehen von den vielen Sommersprossen – es scheint nämlich, dass viele helle und ein paar etwas dunklere Sommersprossen gerade Tonis Nase für einen Sommersprossenkongress ausgesucht haben, man könnte auch einmal eine Schälkur machen, aber das kostet sicherlich viel Geld, und der Friedl hat es doch jetzt nicht so – macht die Nase einen unverschämten, mutigen und selbstbewussten Eindruck.

      »Sie haben’s notwendig, auch noch diese Frechheit«, zischt die Mikula, wenn sie bemerkt, dass die Toni ihre Hausaufgaben abschreibt. Und dabei könnte die Mikula schon wissen, wie notwendig das die Huber hat. Die Nase ist mein Unglück, konstatiert die Toni und zieht den fleckigen Mantel an. Die Toni ist weder unverschämt noch mutig. Und selbstbewusst, mein Gott, gar nicht besonders selbstbewusst, sie hat gerade nur das bisschen Selbstbewusstsein, das sich jeder einredet.

      Jetzt fällt der Toni alles wieder ein. Nicht genügend in Latein. Nicht genügend in Mathematik. Ganz abgrundtiefer Seufzer. Sie fischt aus der Manteltasche ein Riesenportemonnaie. Ein abgegriffenes, altmodisches Portemonnaie, wie es Köchinnen haben, wenn sie auf den Markt gehen. Die Toni hat es zu Hause einmal gefunden. Im Portemonnaie liegen: ein Nagel, den sie auf der Straße gefunden hat – Nägel, die man auf der Straße findet, bringen Glück –, ein vierblättriges Glückskleeblatt, das aber nur noch dreiblättrig ist,

Скачать книгу