Morgen ist alles besser. Annemarie Selinko

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Morgen ist alles besser - Annemarie  Selinko

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möchte mit dir in dein Zimmer gehen, ich muss mit dir reden. Ernst reden«, beginnt Toni.

      Sie begleitet Friedl in sein Schlafzimmer. Friedl wirft sich nach dem Essen immer für eine halbe Stunde auf den Diwan. Es ist eine geheiligte halbe Stunde. Jetzt zieht die Toni einen Sessel zum Diwan.

      »Also, was gibt’s, Anton?«, fragt Friedl und ist auf den Ankauf eines neuen Pullovers gefasst. Es handelt sich aber nicht um einen neuen Pullover. Toni beginnt nämlich: »Vater, ich muss dir etwas sagen.« Und da spürt Friedl gleich, dass es um wichtige Dinge geht. Wenn Toni »Vater« sagt, statt »Friedl«, dann will sie entscheidende Dinge besprechen und appelliert an seine väterliche Würde. Dann braucht sie keinen Kameraden, dann sucht sie den Vater, der voll Autorität über ihr steht, der alles besser weiß als sie und alle komplizierten Fragen ihres kleinen Lebens lösen kann. Der Vater richtet sich halb auf, stützt sich auf den Ellbogen und sieht ihr ins Gesicht.

      »Ist in der Schule etwas nicht in Ordnung, Anton?«

      »Etwas? Gar nichts ist in Ordnung! Du sollst – du musst zur Mikula gehen.«

      »Wer ist die Mikula?«

      »Die Lateinprofessorin. Du warst schon einmal bei ihr, aber du hast damals nicht mit ihr gesprochen. Voriges Jahr warst du in ihrer Sprechstunde, aber wie du sie nur gesehen hast, bist du gleich wieder weggegangen. Erinnerst du dich an diese Hässliche im Lüstermantel, sie sehe so ungewaschen aus, sagtest du damals, und du hättest einen Widerwillen gegen hässliche Frauen und könntest zu einer unappetitlichen Frau mit bösem Blick nicht freundlich sein. Und zur Mikula musst du eigentlich sehr freundlich sein, ich hab sie in Latein und sie ist Klassenvorstand.«

      »Anton, du darfst nicht durchfallen, du musst maturieren. Sonst wirst du nach der Schule niemals eine halbwegs mögliche Stellung bekommen. Zum Donnerwetter, der dümmste Kerl wird Einjährig-Freiwilliger, weil er Matura hat. Und du sollst nicht maturieren? Du bist sicherlich sehr faul, Anton.«

      »Nein, Vater, ich glaube, ich bin dumm. Ich bin geistig unter dem Durchschnitt.«

      »Meine Tochter ist nicht geistig unter dem Durchschnitt, meine Tochter kann faul sein, aber nicht dumm. Also was ist los?«

      »In Latein komm ich nicht mit, weil ich früher nie Latein gelernt hab. Ich hab die Aufgaben immer von der Raftl abgeschrieben und die Schularbeiten auch. Ich kann keine Grammatik, ich hab sie nie gelernt. Früher haben wir doch den alten Professor Müller in Latein gehabt, da konnte man sich so schön durchschwindeln. Und jetzt, seit uns die Mikula so malträtiert, weiß ich nicht, Vater, was ich machen soll …«

      Große Tränen in Tonis Augen. »Anton, mach keine Szenen, erwachsene Menschen weinen nicht. Und schon gar nicht, wenn sie nicht allein sind. In welchem Gegenstand geht es dir noch schlecht?«

      »In Mathematik. Aber da kann ich nichts dafür, Mathematik verstehe ich nicht. Vater, ich kann mir unter einer Hyperbel nichts vorstellen und unter einem Sinus und einem Kosinus auch nichts. Ich kann nur Sachen begreifen, die ich mir vorstellen kann.«

      »Es ist ein Skandal«, murmelt Friedl und kann sich unter Sinus und Kosinus auch nichts vorstellen.

      »Gib mir noch eine Zigarette, Friedl, dann sag ich dir alles«, flüstert Toni. Sie brennt die Zigarette an und beginnt mit großen Schritten auf und ab zu laufen. Toni macht Bilanz: »In Mathematik und Latein geht es in diesem Semester schief. In Geographie komm ich noch einmal dran, wir haben jetzt Nordamerika, ich werde Nordamerika büffeln, und vielleicht kann ich mich herausreißen. Aber Vater, du musst zur Mikula!«

      »Wann hat sie die nächste Sprechstunde?«

      »Nächsten Montag. Vormittags von elf bis zwölf.«

      »Ausgeschlossen, Anton, nächsten Montag muss ich dem Direktor referieren, ich habe keine Ahnung, wann er mich rufen lässt, ich kann aus dem Büro nicht weggehen. Übernächsten Montag gehe ich zu ihr, wie heißt sie nur? – ach ja, Frau Professor Mikula –, sag dem Fekete, dass er mich übernächsten Montag daran erinnern soll. Ich werde mir Zeit nehmen.«

      »Danke, Vater«, murmelt Toni.

      Der Friedl hat natürlich recht, der einsame Kaktus auf dem Tisch ist eine trostlose Angelegenheit, überlegt die Toni. Ihr großer Kummer ist gar kein großer Kummer mehr, sie hört auf, an die Mikula zu denken, der Friedl wird ihr schon helfen. Auf einmal fühlt sie sich satt und zufrieden und ein bisschen müde, die richtige Nach-Tisch-Stimmung. Friedl ist eingeschlafen und Toni ist zu faul, um aus dem Zimmer zu gehen. Sie bleibt still neben ihm sitzen und geht mit ihren Gedanken spazieren.

      Zuerst denkt sie noch an den Kaktus. Früher war unser Tisch viel schöner, fällt ihr dann ein. Als wir noch die vielen Silberschüsseln hatten. Schade: Wir sind keine Parvenüs. Die Meier hat einen Pelzmantel bekommen. Silbergraues Feh, geborenes Kaninchen, ein wunderschöner Pelzmantel. Neulich erzählte es Toni dem Friedl. »Ein junges Mädchen braucht keinen Pelzmantel«, sagte Friedl.

      »Aber die Meier hat doch einen«, beteuerte Toni. Friedl machte sein hochmütiges Gesicht und meinte so nebenbei: »Anton, wir sind doch keine Parvenüs.«

      Nein, leider sind wir keine Parvenüs, stellt Toni fest. Leider, leider. Wir sind sogar das Gegenteil von Parvenüs: Wir sind von so alter Vornehmheit, dass wir in der Nachkriegszeit unser Silber verkaufen mussten. Es ist keine Schande, Silberschüsseln zu verkaufen. Aber es ist auch keine Ehre. Es ist nur unerfreulich. Und es ist sicherlich ein herrliches Gefühl, ein richtiger, großer Parvenü zu sein.

      Toni sieht Friedls Gesicht an. Mit einer wilden Zärtlichkeit studiert sie des Vaters Gesicht. Zwei bittere, hochmütige Falten gehen an den Mundwinkeln vorbei. Toni findet die Furchen sehr interessant. Ihr Friedl ist ein schöner Mann. An seinen Schläfen schimmern graue Haare, aber er sieht trotzdem nicht wie ein Vater aus. Und Toni denkt begeistert: mein père noble.

      Die Raftl hat einmal zur Toni gesagt: »Ihr seid ein komisches Haus.« Sie war nämlich nachmittags bei Toni gewesen, hatte mit ihr gelernt, und abends kam Friedl nach Hause, machte vor der Raftl eine flüchtige Verbeugung und murmelte: »Küss die Hand, liebes Fräulein.« Die Raftl ist damals sehr rot geworden und verlegen. Und als ihr im Vorzimmer der Fekete in den Mantel half, der Fekete, den Friedl in einen Steireranzug gesteckt hat, ein Steireranzug ist kleidsam und praktisch, also als die Raftl den Fekete in seiner Livree sah, wurde sie noch mehr verlegen. Und am nächsten Vormittag sagte sie in einer Schulpause, dass die Hubers ein komisches Haus seien.

      Vielleicht sind wir wirklich ein komisches Haus, denkt die Toni. Angestrengt versucht sie, sich an ihre Mutter zu erinnern, das geschieht öfters, aber nicht viel Erinnerung ist geblieben. Toni macht die Augen zu und versucht, ein Bild zu sehen. Die Mutter war schlank und – eine rote Jacke hatte sie, fällt der Toni ein. Mutters Gesicht – manchmal ist es ihr, als könnte sie sich ganz klar an das Gesicht erinnern, aber das kommt vielleicht daher, weil Friedl ihr viele Fotographien von der Mutter gezeigt hat. In jenen Tagen, als die kleine Toni immer beim Fekete in der Küche sitzen durfte, war die Mutter wohl krank. Der Fekete machte für Toni quietschende Schweinderln nach und zeigte ihr »Fekete – Habt acht« und »Fekete – rrrruht«. Darüber musste die dreijährige Toni so lachen.

      Dann kamen ein paar Nachmittage, an denen viele fremde Leute im Speisezimmer herumsaßen. Und auch die Tante Florentine war da, ganz in Schwarz, und sie weinte und wollte die Toni küssen. Aber die Toni lief davon, weil Tante Florentine mehr mit der Nase als mit den Augen weinte, sie schnaubte und – dem Fekete gefiel sie auch nicht. Alle sagten: »Das arme, arme Kind.« Tonis Mutter war an Grippe gestorben, es war in der Nachkriegszeit, als die furchtbare Grippeepidemie in Wien wütete.

      Das

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