Morgen ist alles besser. Annemarie Selinko

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Morgen ist alles besser - Annemarie  Selinko

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sieht der Egger Josef herüber. Sein Name steht, auf einer kleinen Tafel, die über dem Kopfende seines Bettes angebracht ist. Jedes Bett hat so eine Namenstafel. Daher weiß Toni, dass dieser Egger Josef eben Egger Josef heißt.

      »Eine prachtvolle Seidendecke«, konstatiert der Egger Josef.

      Friedl konstatiert gar nichts. Er hat während der letzten Tage sehr hoch gefiebert. Es hat ihn »nur so geworfen«, erzählt der Egger Josef der Toni. Aber heute ist alles anders. Das Fieber ist gesunken. Friedl liegt ganz still da, er hat den Kopf ein wenig zur Seite geneigt und – wahrscheinlich schläft er, denkt Toni. Sein Gesicht ist mager geworden. Weiß und mager. Die ersten Tage hat sich Toni über die Stoppeln in seinem Gesicht gekränkt. Ihr Friedl sollte immer schön und niemals unrasiert sein, nun werden die Stoppeln zu einem kleinen Bart, einem flaumigen, hellbraunen Bart, und Friedls Gesicht ist fremd.

      Von zwei bis vier Uhr nachmittags ist Besuchsstunde im großen Spital. Toni kommt jeden Tag, sie sitzt auf der Kante von Friedls Bett, obwohl die Schwester jedes Mal energisch einen Sessel neben das Bett stellt.

      Unbeweglich liegt Friedl, die Toni sitzt auf der Bettkante, sie streichelt Friedls Hand. Jetzt schleicht der Fekete sehr enttäuscht aus dem Zimmer: Der Herr Rittmeister schläft, er hat die seidene Decke nicht einmal bemerkt, und den Fekete auch nicht, nur als das Packpapier so laut raschelte, ging ein unwilliges Zucken über Friedls Gesicht. Toni bleibt allein mit den beiden Männern. Der Egger Josef bekommt selten Besuch, er sei schon seit drei Wochen hier und deshalb für seine Leute keine Sensation mehr, berichtet er.

      Zuerst hat sich Toni im Krankenhaus sehr gefürchtet. Die Schwestern haben strenge Gesichter, man muss sie besonders lieb grüßen, denn Friedl ist von ihrem Wohlwollen abhängig. Und der Geruch auf den Gängen macht Toni ganz krank, dieser komische Geruch, wahrscheinlich ist der Äther oder Jodoform. Die Patienten in ihren gestreiften Mänteln – jeder bekommt im Krankenhaus so einen Mantel – schüchtern sie ein, die Patienten gehen auf den Gängen auf und ab, den gestreiften Mantel lose geschlossen, die Gesichter sind blass und unrasiert. Man kommt sich wie ein Eindringling vor, wenn man über die langen Gänge geht. Die Schwestern erwidern kaum den Gruß, zur Besuchsstunde kommen viele Leute, sie können nicht jeden grüßen. Die Ärzte sehen durch einen hindurch. Sie ist nicht mehr die Toni Huber, sondern einfach »eine Angehörige«, die Angehörige von einem Patienten auf 17b. Das Krankenhaus ist eine abgeschlossene Welt, die auf die übrige Welt verzichtet. Die Höfe im Krankenhaus sind die Plätze einer kleinen Stadt. Es gibt hier eine Apotheke, einen Friseurladen und ein Leichenbestattungsunternehmen. Der Friseur hat ein leuchtendes Schild und die Leichenbestattung eine hübsch hergerichtete Auslage mit Wachskerzen und Sargschmuck. Alles ist hier so sonderbar. Die Toni hat oft das Gefühl, als ob sie ihr den Friedl einfach geraubt hätten, jetzt gehört er nicht mehr zu ihr, jetzt gehört er zu diesen da, zu den Männern im gestreiften Mantel, zur Schwester Mathilde, die ihm die Kissen zurechtschüttelt, zum Egger Josef, der immer läutet, wenn der Friedl Durst hat und stöhnt und sich herumwirft. Der Friedl braucht sie nicht mehr.

      »Heut geht es besser, ich bin so froh, heut geht es viel besser«, sagt die Toni und versucht mit dem Egger Josef ein Gespräch. Friedl schläft und hat vergessen, dass sie zu Besuch gekommen ist.

      »Nicht wahr, wenn man kein Fieber mehr hat, ist man schon so gut wie gesund, Herr Egger?«

      Der Egger Josef nickt. Er hat ein gutmütiges, breites Gesicht, ein rosa Gesicht, es ist voll rosaroter Stacheln, obwohl sich der Egger Josef jeden dritten Tag rasieren lässt, rotblonde Haare, und die Toni kann sich gar nicht vorstellen, wie der Egger Josef in »angezogenem Zustand« aussieht. Am besten kann ich ihn mir noch mit offenem Hemd und Lederhosen vorstellen, überlegt sie, aber in der Radiogesellschaft wird er doch nicht in Lederhosen herumlaufen. Es ist schwer, Männer im Nachthemd in eine Gesellschaftsklasse einzuordnen, wenn alle dieselben Hemden tragen müssen.

      »Ich hab auch immer gehört, dass man gesund ist, wenn man kein Fieber mehr hat«, bestätigt der Egger Josef. Und unvermittelt: »Sagen Sie, Fräulein Huber, hat sich der Herr Papa den Herzfehler im Krieg geholt?«

      »Aber, Herr Egger, er hat doch keinen Herzfehler, nur Lungenentzündung. Das Herz ist doch sehr stark, der Herr Assistent hat mir gestern erst gesagt, wenn einer ein starkes Herz hat, hält er durch. Auf das Herz kommt es an, hat der Herr Assistent gesagt. Und der Friedl hat nie etwas mit dem Herzen zu tun gehabt, ich weiß gar nicht, wie Sie darauf kommen?«

      »Dann hab ich falsch gehört«, murmelt der Herr Egger, »mir ist vorgekommen, als ob die Ärzte etwas von einem Herzfehler gesagt hätten.«

      Aber die Toni hört ihm nicht zu. Sie hält die Hand vom Friedl ganz fest und spricht weiter: »Heut hat er nur noch erhöhte Temperatur, morgen wird er fieberfrei sein, dann lassen sie ihn nach Hause, bestimmt lassen sie ihn nach Hause, Gott sei Dank, ich hab solche Angst gehabt, dass er noch lang im Krankenhaus bleiben wird.«

      Übrigens war das eigentlich gar nicht die Angst von der Toni. In ihr ist ein unbestimmtes, dumpfes Angstgefühl, sie kann es sich nicht recht erklären, eine würgende, scheußliche Angst, die sie nicht loslässt, in der Schule ist sie da und in der Besuchsstunde und nachts. Ja, nachts besonders. Da kann sie nicht einschlafen vor Angst. Aber jetzt verschwindet dieses Gefühl. Friedl schläft ruhig, gleichmäßig sind die Atemzüge, still liegt er, er schläft, er wird gesund, morgen ist er fieberfrei und –

      »Und übermorgen nehm ich ihn mir wieder nach Hause«, sagt die Toni zum Egger Josef, und bereut gleich, dass sie es gesagt hat. Es ist vielleicht taktlos, wer weiß, wann der Egger Josef nach Hause kann, es geht ihm zwar schon besser, aber man sagt ihm noch nicht, wann er aufstehen darf.

      Die Glocke im großen Saal nebenan läutet, die Besuchsstunde ist zu Ende. Gleich werden die Höfe schwarz von Menschen sein, von »Angehörigen«, die geduldig zum Ausgang trotten. Ihr Stimmengewirr dringt herauf ins Zimmer, jetzt unterhalten sie sich über ihre Kranken, sie tauschen Vermutungen aus, mein Gott, Gewisses weiß man doch nie, die Ärzte geben ungern Auskunft, die Leute sprechen und suchen den Ausgang und sind eine große Familie: die Angehörigen.

      »Die Besuchszeit ist um«, ruft die Schwester, sie hat die Tür aufgerissen, und ihre Mahnung gilt Toni. Folgsam steht Toni auf, man darf hier niemanden böse machen, sie sind sonst nicht gut zum Friedl.

      »Gute Besserung«, sagt sie zum Egger Josef, und in ihrer Stimme ist leiser Jubel, weil Friedl bald fieberfrei sein wird. Dann beugt sie sich über den Vater und küsst seine Stirn. Friedls Stirn ist kühl und feucht. Übermorgen wird sie mit ihm nach Hause fahren können.

      »Friedl, du hast dich rasieren lassen!«, schreit Toni begeistert. Das ist am nächsten Tag, und heute ist sie mit frohem Herzen zur Besuchsstunde gekommen. Die Toni ist zum ersten Mal seit Tagen gut aufgelegt, heut ist Friedl bestimmt ganz fieberfrei, er wird bald gesund sein, er hatte gestern schon beinahe kein Fieber mehr, jetzt kommt er bald heraus aus der fremden Welt, er kommt nach Hause, Toni ist gut aufgelegt, sie reißt die Tür auf und schreit: »Nein, diese Überraschung – Friedl ist frisch rasiert!«

      Der fremde, kleine Bart ist fort, jetzt sieht man erst, wie weiß und schmal Friedls Gesicht geworden, aber es ist wieder Friedls Gesicht, nicht das eines fremden, kranken Herrn mit lichtem Bart.

      »Ich hab heut früh einen Spiegel verlangt – und dann natürlich darauf bestanden, dass ich rasiert werde«, sagt Friedl. Er spricht sehr langsam und so leise, dass man genau aufpassen muss, um ihn zu verstehen. Er ist noch sehr schwach, denkt Toni.

      »Jetzt bist du schon fast gesund und musst wieder auf dich schauen, Friedl«, nickt sie eifrig.

      Der Egger Josef im Bett gegenüber wälzt sich stöhnend herum, jede Bewegung schmerzt ihn furchtbar, aber er will alles genau sehen und hören. Welche Schmerzen man aus Neugierde erträgt, denkt

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