Morgen ist alles besser. Annemarie Selinko

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Morgen ist alles besser - Annemarie  Selinko

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befestigen, damit nichts rutscht …

      »Ich komme morgen Vormittag wieder vorbei«, verabschiedet sich der Doktor. Toni hat ihn bis zur Eingangstür begleitet. Ihr Gesicht ist ganz klein vor lauter Kummer, ihre Augen sind weit aufgerissen, als könnte sie nicht fassen, dass der Friedl krank ist, sie bemüht sich krampfhaft, höflich und erwachsen zu lächeln.

      »Wie wird das Zeugnis werden, Fräulein Toni?«, fragt der Doktor noch, um etwas Gleichgültig-Liebenswürdiges zu sagen.

      »Das Zeugnis? Danke, sehr schlecht, Herr Doktor. Wie lang soll der Friedl den Wickel umbehalten?«

      Der Fekete wechselt die Wickel und verstreut riesige Sicherheitsnadeln in der ganzen Wohnung. Einen Vormittag lang bleibt Toni zu Hause und versucht, sich nützlich zu machen. Aber Friedl liegt mit geschlossenen Augen da, von Zeit zu Zeit stöhnt er, manchmal spricht er zusammenhangloses Zeug, einmal schreit er: »Melde gehorsamst, Herr General«, und dann flüstert er wieder: »Kaiserliche Hoheit, bitte, Kaiserliche Hoheit, ich muss gehorsamst erinnern …« Und es passt gar nicht zur Kaiserlichen Hoheit, dass der fiebernde Versicherungsbeamte, Rittmeister a. D. Friedrich Huber, Seine Kaiserliche Hoheit mit Versicherungspolizzen in Zusammenhang bringt. Im Fieber flüstert er sehr ungereimtes Zeug, aber das Leben des Rittmeisters, der von Versicherungen anderer Leute sehr mittelmäßig lebt, ist eine ungereimte Angelegenheit geworden. Manchmal schlägt Friedl die Augen auf, sein Blick gleitet an Toni vorbei und hängt ausdruckslos in der Zimmerecke. Am nächsten Vormittag sitzt Toni wieder beim Unterricht, sie kann ihrem Friedl nicht helfen. Aber sie muss immerfort an die Dunstumschläge denken, die Fekete dem Friedl machen soll, und an das Geräusch in Friedls Lunge, von dem der Doktor Honig sehr beruhigend und geradezu aufmunternd gesprochen hat.

      »Sie haben mir für Ihr gestriges Ausbleiben keine Entschuldigung gebracht, Huber«, bemerkt die Mikula, Klassenvorstand der Achten.

      »Mein Vater ist krank«, meldet die Toni, ihre Stimme kräht triumphierend, die Mikula soll zerspringen, sie kriegt doch keine Entschuldigung, der Friedl ist krank und konnte keine schreiben.

      »Ach, und da haben Sie Ihren Vater gepflegt?«, meint die Mikula und versucht, in ihre Stimme einen süßlichen Unterton von »das arme Kind« zu legen. Die Klasse horcht gespannt zu. Privatangelegenheiten sind interessanter als die unwahrscheinlich läppischen Abenteuer des Herrn Aeneas, der jede Unfallversicherungsgesellschaft durch seine konstanten Unfälle Bankrott gemacht hätte.

      »Nein, ich habe ihn nicht gepflegt, ich bin zu ungeschickt dazu«, antwortet die Huber in der letzten Bank und fügt hinzu: »Ich bin nur zu Hause geblieben.« Und zum Ärger der Mikula beginnt sie laut kratzend Bleistifte zu spitzen.

      Nächsten Dienstag kommt die Toni mittags nach Hause und läuft, wie immer in den letzten Tagen, gleich in Friedls Zimmer. Sonderbar: Die Tür steht weit offen. Toni schließt behutsam die Tür hinter sich, macht noch ein paar Schritte, und dann setzt sekundenlang ihr Herzschlag aus.

      Das Bett ist leer.

      Zurückgeschlagen die Decke, als ob Friedl eben aufgestanden wäre.

      Sie geht zum Bett hin. Leer. Die Bettdecke zurückgeschlagen, die Polster zerknittert.

      Da stürzt sie in die Küche. »Fekete, Fekete!«

      Am Herd steht das Fräulein Anna. »Der Herr Fekete ist mitgefahren«, berichtet das Fräulein Anna und rührt weiter in einem Kochtopf.

      »Das – das Bett ist leer –«, stößt Toni hervor. Sie hält noch immer die Schultasche in der Hand, schief sitzt die Pullmankappe auf den glatten Haaren. Die Anna steht am Herd und sieht nicht auf. Sie zuckt nur mit den Achseln: »Der Doktor hat vormittags gesagt, dass der Herr Rittmeister ins Spital muss. Dort hat er bessere Pflege. Dann hat der Doktor um ein Krankenauto telefoniert, und vor einer halben Stunde sind sie weggefahren.«

      »Weggefahren …«, wiederholt die Toni, ohne zu verstehen. »Wo – wo ist denn jetzt der Friedl?«

      »Na, im Spital. Der Herr Fekete wird bald zurück sein und dem Fräulein dann genau sagen, wo der Herr Rittmeister liegt und wann Besuchsstunde ist«, sagt die Anna und kostet mit dem Kochlöffel, ob genug Salz im Kochsalat ist. Sie kann die Toni nicht leiden, die Toni hält zum Fekete. Sie hört, dass die Toni aus der Küche geht, es sind sonderbar langsame, schleppende Schritte, und ruft ihr nach: »Das Essen ist gleich fertig!«

      Die Toni kommt in ihr Zimmer, lässt die Schultasche auf den Boden fallen, zieht die Kappe vom Kopf und wirft den Mantel irgendwohin. Dann geht sie wieder in Friedls Zimmer, macht ganz leise die Tür auf, vorsichtig, damit die Tür nicht knarrt, und schließt sie behutsam hinter sich. Leise nähert sie sich dem Bett. Zieht einen Stuhl heran und setzt sich. Breite, zurückgeschlagene Decke, ganz zerknitterter Kopfpolster. Sie beugt sich vor und streichelt die Decke.

      Es ist so still im Zimmer. So grauenhaft still ist es jetzt. Friedls fiebrige Atemzüge fehlen, sie fehlen entsetzlich. Das Bett ist leer, sie haben Friedl fortgetragen, hastig haben sie die Decke zurückgeschlagen, und dann haben fremde Leute ihn angefasst und weg – weggetragen haben sie ihn.

      Da fällt die Toni auf die Knie, sie presst das Gesicht auf den Polster, auf den zerdrückten Friedl-Polster. Und dann muss sie in den Polster beißen, um nicht laut aufzuschreien. Sie hat auf einmal das Gefühl, dass sie ihr den Friedl nicht mehr zurückbringen werden. Nein – nein – sie werden ihn nicht wieder herbringen, Spital muss etwas Schreckliches sein, ins Spital kommt man nur, wenn man sehr krank ist, sie haben ihr den Friedl weggenommen, das Bett ist leer, lieber Gott – das Bett bleibt leer –

      »Vater«, stöhnt sie in den Polster.

      »Vater!«

      4

      »ZU BEFEHL, HERR Rittmeister – die seidene Steppdecke«, sagt der Fekete.

      Toni und Fekete sind mit einem unförmigen Paket im Krankenhaus angerückt, das Paket ist unterwegs ein paar Mal aufgegangen, sie haben es so ungeschickt zugebunden, und das Papier, in das sie die große Decke eingeschlagen hatten, war viel zu klein.

      Nun liegt der Friedl schon ein paar Tage im Krankenhaus, Interne Abteilung, Zimmer 17b. Ein schmales, kleines Zimmer, in dem nur zwei Betten stehen. Toni kann sich gar nicht vorstellen, wie es Friedl in einem der großen Krankensäle aushalten könnte, in dem dreißig Menschen stöhnen und schlechte Luft machen. Nein, das würde Friedl nicht ertragen. Zum Glück haben sie ihn gleich in dieses kleine Zimmer gebracht. Es ist ein Zimmer für »schwere Fälle« und »Protektionskinder«, das hat Toni schon heraus. Der Egger Josef im zweiten Bett ist ein Protektionskind, er hat es ihr selbst erzählt, er ist bei der Radiogesellschaft angestellt, und ein Direktor der Radiogesellschaft hat den Professor angerufen, den Leiter der Klinik. »Alle ›Gottsöbersten‹ sind miteinander befreundet«, sagt der Egger Josef. Nun liegt er mit seiner Gelenkentzündung im kleinen Zimmer 17b und ist Friedls Zimmerkollege.

      »Ich habe mit dem Professor gesprochen, und er hat eingesehen, dass wir Ihren Vater nicht in den großen Krankensaal legen können, es würde ihn zu sehr aufregen«, hat Doktor Honig gesagt, der täglich zu Friedl auf Besuch kommt, obwohl er ihn hier nicht behandeln kann. Jetzt arbeiten ein sehr berühmter Professor, zwei Dozenten und fünf Hilfsärzte an Friedl herum. Natürlich ist Friedl auch ein Protektionskind, denkt Toni. Sonst dürfte er nicht in dem kleinen, stillen Zimmer liegen.

      Sie sieht die graue, haarige Bettdecke an, die nur in ein weißes Leintuch eingeschlagen ist. Diese Decke kann sie nicht ertragen, es tut ihr geradezu körperlich weh, dass Friedls Hände auf dieser grauen Decke liegen. Deshalb

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