Claras Geschichte. Nieke V. Grafenberg

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Claras Geschichte - Nieke V. Grafenberg

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ist der Großvater Bäcker gewesen - Bäckermeister in Kattowitz, Mutter tippt auf ein Foto mit gelblichem Zackenrand, damit Clara auch ja gründlich hinsieht. Der Schlund des Backofens gewaltig genug, sich Hänsel und Gretel einzuverleiben. Oder besser die garstige Hexe nach dem entschiedenen Schubs - zwei Gesellen mit Mützen halten die Brotschieber zackig bei Fuß wie Soldaten ihre Gewehre.

      Auf dem folgenden Foto sind Mutter und Großmutter als flammende Engel im Zwielicht des Ladens vor nahezu leeren Regalen zu sehen. Adrette weiße Flügelschürzen über dem Kleid - wer kleine Kinder hat, darf an die wundersame Brotvermehrung glauben, die heilige Anna gibt stets ein paar Semmeln mehr in den Korb. Wird, als die Zeiten schon schlecht sind, vom Großvater schief dafür angeguckt. Aber soll Claras Großmutter ganz umsonst ihren Titel als Heilige tragen? Wohl kaum, kann sie das Geben doch noch schlechter lassen als das Beten. Nu nu, ihre Lippen stülpen sich vorwurfsvoll vor und ein erhitztes ...aber die Kinder! folgt. Weil Kinder - sie selbst hat fünf geboren - nunmal ihrem Herzen am nächsten sind. Lasset die Kindlein zu mir kommen - ob der Großvater murrt oder nicht, Claras kleine, zeitlebens rundliche Großmutter handelt still und gelassen. Tut schlicht und einfach, was sie für richtig hält. Denn - das weiß keine besser als sie - geben ist tausendfach seliger denn nehmen.

      Wie das Brot und die Milch und die Butter sind Brennstoffe auch eine Kostbarkeit. Mangelware wie alles, was in den Bauch des Ofens oder auf seine Platte gehört. Großvater kann ein Lied davon singen, statt duftende Sauerbrot-Laibe zu backen und bergigen Streuselkuchen, muss er das Organisieren lernen. Mit Leiterwagen und Sportwagen und Clara darin laufen Mutter und er in den Wald, Gehölz aufsammeln, das längst von anderen aufgeklaubt ist. Zehn Kilometer hin und zurück, in der Not fällt der Großvater junge Bäume. Er zersägt sie vor Ort, das braucht seine Zeit. Entfacht Kreischen und Hall in der Stille des göttlichen Domes - und folglich die Angst, ertappt zu werden. Mutter am Waldsaum lädt auf. Jetzt hält sie das Kind auf dem Arm und damit im Zaum, treibt den Großvater an, der bestrebt ist, die Ruhe zu wahren. Er hackt und zersägt konzentriert und entschlossen, was immer an Holz sich ihm querstellt. Und Mutter stapelt die Scheite, was sein muss, muss sein, der Weg in den Bentheimer Wald ist weit, der Winter wird kalt, was bleibt ihnen anderes übrig.

      Zeugt oder zeugt es nicht von tiefem Eindruck, wenn Claras Mutter die selbe Geschichte so oft wiederholt, dass Clara später ein Bild im Kopf hat? Das kleine Kind auf dem Arm seiner Mutter, der blanke Halbmond der Großvaterglatze über dem dichten Gestrüpp. Der uniformierte Mann mit dem Hund, das Gewehr über einer grünen Schulter. Sollte das einer der Gründe sein für den Mordsrespekt vor der Obrigkeit, den Clara ein Leben lang in sich trägt? Oder bedarf es schwerwiegenderer Ereignisse, diese Art Angst zu entwickeln, die Clara eine diffuse nennt und von der sie einfach nicht loskommt? Obschon längst erwachsen, wird Clara von dieser Angst begleitet, weil sie sich die ihrer Mutter so frühzeitig einverleibt hat? Und weil sie mitbekam, dass Großvaters Alptraum, entdeckt zu werden, mit schöner Regelmäßigkeit körperliche Auswirkungen zeigte? Kein Einwand nützt, noch bevor jeder Stamm, jeder Ast zu Kleinholz verarbeitet ist, muss er in die Büsche verschwinden. Der Boden ein schwelender Meiler, von einem Fuß auf den anderen trippelt die Mutter, bis der Großvater endlich aufrecht steht. Sie zählt die Sekunden und rechnet damit, vom Förster beim Holzklau erwischt zu werden, auch wenn das Delikt, aus der Kriegsnot geboren, zu der Zeit noch Organisieren heißt.

      Und tatsächlich, es kommt, wie es kommen muss. Als déjà vu taucht der Förster mit seinem Jagdhund zwischen den hohen Laubbäumen auf. Er verhält kurz den Schritt und mustert die magere Frau mit dem Kind. Sein Blick streift den Leiterwagen mit der vielfach geflickten Plane. Als Claras Mutter schon denkt, jetzt ist es so weit, jetzt wird er sie barsch belehren und auf der Stelle zur Wache abführen, nimmt er den Hund ganz kurz an die Leine und wendet sich ab. Im Buschwerk der kackende Großvater kümmert ihn offenbar nicht, der Leiterwagen mit den geschichteten Scheiten und Zweigen ebenso wenig. Nach einem knappen Kommando an seinen Hund zieht er grußlos weiter zur Lichtung.

      Claras Großvater ist ein Ehrfurcht gebietender Mann. Ein Stoppelbartriese mit sorgsam begradigtem Lippenbart, nicht unähnlich einer Bürste. Und mit beachtlichen Ohren, an denen sie zupft, wenn er vorlesen soll und sich ziert. Der erste männliche Pol in Claras noch jungem Leben, ihr Märchenkönig, wie Edelmetall säumt ein silbriger Haarkranz die Glatze. Der Vater im Krieg vermisst und drei Brüder der Mutter in Kriegsgefangenschaft, ein vierter vor kurzem gefallen. August, der Großvaters Namen trägt und die großen Ohren geerbt hat, wird als erster entlassen und im Zimmer von Mutter und Kind einquartiert.

      Dass der August anfangs bei ihnen im Schlafzimmer schlief, ja, dass neben der Küche ein weiterer Raum existierte, weiß Clara vom Hörensagen. Hat sie den Onkel nicht wahrnehmen können, weil er sich Hals über Kopf in ein Schüttorfer Mädchen verliebt hat und von da an meist unterwegs war? Wie der Vater, so hatte der Sohn seine Anna gefunden, wenngleich die fremde Familie ihm keineswegs wohlgesonnen war. Schließlich war er wie Clara ein Flüchtling.

      Es ist November und neblig und kalt, als Anna und August zum Tanzabend wollen. Und weil der August so mager ist und deshalb ständig so friert, fragt Anna den Vater, ob er ihm nicht seine warme Joppe ausleihen will. Der Vater erhebt sich und holt sie vom Haken, lässt aber, als er sie ihr übergibt, so ganz nebenbei die Bemerkung fallen, dass er das gute Stück jetzt ja wohl abschreiben kann.

      Und einmal, wohl weil sie den Liebsten aufwerten will, hebt Anna hervor, dass der Vater von ihrem August ein Meister der Bäckerzunft ist. Dazu ihr Vater nur spöttisch:

      „Ja, ja, wat von dröwen kümp, de willt alle wat wesst weären.“

      Vielleicht hat er ja gar nicht so falsch gelegen und mancher von drüben wollte was Besseres gewesen sein, aber:

      „Denne is doch warrhaftig nen Meester wessen“, muss er bald darauf seinen Standpunkt revidieren, er sieht dabei recht verlegen aus. Und weil er ein Weber und grundsätzlich aufrechter Mensch ist, räumt er ein, dass der Großvater tatsächlich Meister ist und dass er das weiß, weil er nach Schichtende noch einen Schlenker durch die Steinstraße gemacht hat.

      „Dör hebb ick’t wall noahleären konnt.“

      Ja, schwarz auf weiß hat er sämtliche Tatsachen nachlesen können: Name, Geburtstag, Heimatadresse, Beruf. Flüchtlinge waren als Steckbrief auf ihre Haustür gebannt, wie lange, kann keiner mehr sagen.

      Anna und August - das junge Paar taucht erst Jahre später in Claras Innenwelt auf. Zur Hochzeit, wohl weil sie Blumen streuen und fremden Gesichtern im Festsaal Gedichte vortragen muss, die sie ruckzuck von Mutter gelernt hat. Vielleicht aber auch des hellblauen Unterrocks wegen, der bei jeder Bewegung wie Wind in den Baumwipfeln wispert, das Festtagskleid bauscht und schneeige Schuhspitzen vorblitzen lässt. Tante Frieda, die keine richtige Tante ist, hat die Robe genäht, sie hat schon beim Großvater Semmeln gekauft und war auf dem Oberschlesiertreffen. Sie kann Stoffe bei Nino in Nordhorn besorgen, wo sie mit den Eltern und einer Schwester gelandet ist - noch reicht ein Stoffrest für Clara. Und weil Tante Frieda Schleifen so überaus zugetan ist, kommt eine aus nachtblauem Samt vor den Bubikragen. Andere wippen bei jedem Schritt auf den Gipfeln der Rüschengirlande am Saum.

      Sie soll einmal nicht rennen, sagt Mutter.

      Mariechen, Paul, Josel und August und Hans – wie Orgelpfeifen aufs schwarzweiße Foto gebannt. Die Größte, Mariechen, an hinterster Front, ein Leben lang Großvaters Stolz. Vier Jahre nach ihr wird Paul geboren. Der ist - dem Himmel sei Dank, bekreuzigt sich Großmutter eilig - nach dem Krieg bei den Amis in Straubing gelandet und arbeitet in einer Tabakfabrik. Josel, der dritte im Bunde, hinterließ eine Frau und zwei Söhne, als er vierundvierzig im Osten fiel, ganz lapidar und ohne nähere Ortsangabe. Zu entnehmen der Todesnotiz, die Clara nach Mutters Tod unter Heiligenbildchen entdeckt.

      An vierter und vorletzter Stelle der Riege ist Onkel August zu sehen. In dem Jahr, in dem sich bei strömendem Regen die Panzer am Küchenfenster vorbeischieben,

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