Claras Geschichte. Nieke V. Grafenberg

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Claras Geschichte - Nieke V. Grafenberg

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zart und gar fein zieren die schlanke Fettschicht.

      „Mäuse - Jesus Maria! Nur ein einziges Mal den Topf auf dem Fensterbrett ...!“

      Wie Eisscherben auf einer Pfütze lässt sich die gelbliche Fettschicht entfernen. Großmutter hebt sie mit einem stumpfen Messer ab und … serviert einen mageren Gulasch.

      VIER

      Mutter ist Mutter. Kein Körpergeruch, sie bewegt sich gemessen und schwitzt nicht. Braunes Haar, braune Augen, die, selbst wenn sie lächelt, den Anflug von Schwermut bewahren. Dreiunddreißig Jahre und Elfenbeinhaut, an der Luft wird sie gleichmäßig braun - so rasch, dass Clara sie später beneidet.

      Im Gegensatz zu ihren Brüdern soll Claras Mutter zeitlebens den Hang zur Melancholie aufweisen. Als die Zeit dafür reif und Clara bereit ist, in ihre Geschichte einzutauchen, blättert sie Fotoalben durch und bildet sich ein, frühe Anzeichen dafür bereits in Mutters Kinder- und Jugendbildnissen zu entdecken. Die Skepsis in Mutters Augen, ihr - wenn überhaupt - reserviertes Lächeln. Der Gedanke erschreckt sie, und plötzlich scheint Clara begreiflich, dass Mutter ihr Abschlussjahr bei den Nonnen als schönstes und glorreichstes hingestellt hat. Und dass sie, wenn der Bäckergroßvater nicht den Schlussstrich gezogen und die einzige Tochter zurück nach Hause und hinter den Ladentisch beordert hätte, einem Leben im Kloster den Vorzug vor Heirat und Clara gegeben hätte.

      „Ja, ja, schon klar - Nummer drei Strich siebenundsechzig im Pensionat“, hört Clara Onkel Hans nicht zum ersten Mal lästern. Ein Poltern hat sie geweckt, betreten muss sie mit ansehen, wie er es mit Mühe zum Schlafsofa schafft. Und wie, als Mutter sein Schwanken Seemannsgang nennt, er blitzschnell die Hose herunter lässt und ihr seinen nackten Arsch präsentiert.

      Mutter, geistesgegenwärtig, baut sich vor seiner Kehrseite auf und nimmt Clara damit die Sicht.

      „Verdammt noch einmal - musst du immer das ganze Geld versaufen!“

      Trotz Feinschliff im Pensionat, vor ihrem elf Jahre jüngeren Bruder nimmt Mutter kein Blatt vor den Mund. Sie sagt handfest verdammt statt verflüscht, wie sonst üblich, nennt ihn einen alten Laberarsch und schimpft lauthals an Großmutters Statt. Denn die ist zugegen, kann aber vor lauter Bestürzung nur ein Stakkato gestammelter Nu nus zustande bringen.

      Nummer drei Strich siebenundsechzig ...

      Warum, hat sich Clara manchmal gefragt, warum musste der Bruder der Schwester nur ihre Kennnummer an den Kopf werfen und sie vergaß ihre guten Manieren? Fühlte sie sich durch seine Worte gebrandmarkt? Als überkandidelte, weltfremde Zicke, die - in musikalischer Hinsicht nur wenig bis gar nicht begabt - nur stümperhaft das Klavierspiel erlernt, sich aber wer weiß was auf ihre Erziehung zur höheren Tochter einbildet? Fiel ihrer Mutter bei solcher Gelegenheit ein, dass sie trotz Pensionatsdrill den netten Lehrer, in den sie ganz furchtbar verliebt war, nicht abbekam, weil sie als Bäckertochter seiner Mutter nicht passte? Und dass sie sich dann einen Bahnangestellten zum Gatten erkor, der noch vor der Hochzeit arbeitslos wurde? Ihre Eltern hatten sich wenig begeistert von der Verbindung gezeigt, war das Mutters uneingestandener wunder Punkt? Mit Bestimmtheit wird Clara es niemals wissen. Was sie ahnt ist, der Onkel rächt sich auf seine Weise. Er hänselt die Schwester fast ebenso gern, wie er die Geschichte französischer Seidendessous verbreitet.

      Trotz Arbeitslosigkeit - den Hang zu Höherem scheint Claras Vater durchaus gehabt zu haben. Ein Vater aus zweiter Hand, Clara kennt ihn nur aus Mutters knappen Schilderungen und von dem gerahmten Hochzeitsbild, dem sie nach Mutters Tod einen Ehrenplatz einräumt. Zur kirchlichen Trauung hatte es unbedingt Frack sein müssen - kostenneutrale Maßarbeit, Mutter lächelt ihr verhaltenes Lächeln. Am Tag nach der kirchlichen Trauung hätte der Vater das gute Stück aufbügeln lassen und eigenhändig zurück zum Schneider gebracht. Hat dort glattweg behauptet, der Frack habe nicht gepasst.

      „Ja und einmal, im Kino, hatte er eine Kokosnuss dabei. Hat sie eigenhändig in unserer Loge geöffnet.“

      Mit Braut und Kokosnuss in die Kinologe? Ein reichlich befremdlicher Vorgang, wenn es nach Clara geht. Denn hat nicht der Vater ein Werkzeug mit sich führen und auch benutzen müssen? Andererseits: Clara hat Mutter noch nie beim Schwindeln erwischt. Sie wird sich nicht schlüssig, wohl weil ihre Mutter bis auf ein Heben der Brauen nicht eine Miene verzieht: Wer mithörte, amüsierte sich, das war leicht zu erkennen. Aber konnte ein solches Verhalten bewundernswert sein? War es nicht eher als verwerflich zu betrachten? Und überhaupt, was hatte die Mutter mit dem Mann zu tun, der im Kessel von Tarnopol vermisst war!

      Vermisst - ein Wort, mit dem Clara keine Vorstellung verbindet. Das Wort Vater ist ihr genauso fremd. Sie spricht es nie aus, sie hat eben keinen. Sie vermisst ihn auch nicht. Auf die Väter anderer Kinder kann sie gleichfalls verzichten. Viel zu streng erscheinen sie ihr, meist unzugänglich und in der Hauptsache mürrisch. Irgendwie unberechenbar, und das kann sie keinesfalls brauchen. Das Kind, das sie war, fühlt aufs Neue: Vater-Geschichten, von Mutter erzählt, bereiten mehr Pein als Vergnügen.

      In ihrer Schlichtheit ist Großmutter die Schönste - Clara hat keinen gekannt, der diese Ansicht nicht teilte. Rosige Bäckchen, ganz gleich ob sie aufgelöst ist oder freudig erregt. Das glatte Gesicht einer Puppe, ein Leben lang kommt ihre Haut nur mit Wasser und Kernseife in Berührung. Das zum Dutt gezwirbelte Haar - wenn die Haarnadeln fallen, reicht das Zopfende bis an die Hüfte und weiter. Anna Zahel, geborene Petrach - es verzaubert Clara, als sie erfährt, dass die Großmutter vor ihrer Heirat Köchin im Schloss war. Denn klingt es nicht wie im Märchen, dass noble Gäste nach Festlichkeiten in Großmutters Dachkammer schlichen, um sich klammheimlich an ihrer natürlichen Schönheit zu weiden? Ob sie ahnten, was Großmutter Clara erzählt? Dass sie immer nur vorgab zu schlafen und sich am liebsten ins nächstbeste Mauseloch verkrochen hätte?

      Selbst als Clara nach Mutters Tod die bräunlich verfärbte Postkarte findet und sich Großmutters Märchenschloss jäh in ein glanzloses Herrenhaus auf dem Land verwandelt - nichts soll sich ändern, es bleibt dabei: Im kindlichem Traum ist die Großmutter Köchin im Schloss gewesen! Und als Clara bei nächster Gelegenheit nachfragt: Die Mutter der Großmutter auch.

      Obwohl jeder in Claras Geschichte weiß, dass ihre Großmutter nicht nur ausnehmend hübsch war sondern auch fabelhaft kochte - kein Bild erschließt Clara, was nach dem Krieg in den Topf gewandert ist. Oder was nicht, weil es fehlte.

      Nicht das geringste Gespür für den Bauch - ist sie satt oder ständig hungrig gewesen? Außer der Bäckerei Schevel taucht in Claras Rückschau ein einzelner winziger Laden auf, mit Obst und Gemüse in Steigen. Er liegt jenseits des Kuhm, der ein großer Sandplatz beim Vechtewehr ist, Claras Badeanstalt liegt am Rande. Vor dem Krieg, erfährt Clara, fand auf dem Kuhm der Handelsmarkt statt, für das trauliche schwarzweiße Rindvieh, das erst zwanzig Jahre danach zusammen mit braunweißen Kühen im Schwarzwald und anderswo grast.

      Aber auch wenn der Verstand Clara anderes eingibt, in ihrem Herzen sollen schwarzweiße Kühe immer für Grafschaft stehen - so uneingeschränkt wie glänzender Gouda und Windmühlenflügel für das Holland gleich hinter der Grenze oder scheppernde Kuhglocken für die Schweiz.

      Bevor Mutter mit Clara den Kuhm überquert und in dem kleinen Obstladen einkauft - hat sie für vierzig Mark Übergangsgeld am Schalter Schlange gestanden? Währungsreform ist das neue Wort und - Clara spürt es - die Tüte voll Pflaumen hat Mutter sich und den anderen vom Mund abgespart. Ein Geburtstagsgeschenk für Gesa, nur wenig älter als sie, Clara und Gesa leben Tür an Tür. Doch sie spielen nicht miteinander, dem Vater des Mädchens gehört die Druckerei, Gesa ist tausendmal reicher als sie.

      Mutter zeigt sich verwundert:

      „Clara ist doch sonst nicht eingeladen.“

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