Claras Geschichte. Nieke V. Grafenberg

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Claras Geschichte - Nieke V. Grafenberg

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eben volljährig ist. In Straßburg dem Gastgewerbe zugeteilt, hat er als Mädchen für alles die seidene Wäsche der Wirtin zu waschen - von Hand, wie er nur zu gern betont. Hemdchen und Höschen, die zweifellos zarte Gebilde sind - würde er sonst, wenn er davon spricht, die Augen albern verdrehen?

      „Du alter Tulea!“ Ja, Mutter schimpft ihren Bruder Tulea, denn seine Faxen billigt sie nicht. Während es aussieht, als sei sie verstimmt, lauscht Clara mit offenem Mund. Sie ahnt nicht, weshalb er die Lippen befeuchtet und dazu genüßlich schmatzt. Was sie weiß ist, er will seine Schwester ärgern.

      Großmutters schwerem, gemütlichen Busen gibt ein gestärktes Leibchen aus weißer Baumwolle Halt. Nu nu, Seidendessous - Clara sieht Großmutter über das Waschbrett gebeugt und ahnt: Falls Dessous überhaupt ein Begriff für sie waren, sie muss sich gefragt haben, wie ihr Jüngster das mit der Handwäsche hingekriegt hat. Ihr jedenfalls hat er den Umgang mit feinster Damenwäsche nicht abgucken können, in ihrer Umgebung ist alles Unterzeug kochfest.

      Von dem Tag, an dem Claras Onkel aus Straßburg heimkehrt, wird er die Geschichte der Seidendessous wieder und wieder erzählen. Über die Schrecken des Krieges hingegen lässt er sich keine Silbe entlocken, auch dann nicht, wenn er betrunken ist. Die Zeit wird es zeigen: Von seinem Umgang mit hauchzarter Damenwäsche kommt dieser Onkel genauso schlecht los wie Claras Mutter vom Holzklau im Bentheimer Wald.

      ZWEI

      Auch wenn Clara sich reckt und ganz leicht macht, sie ist barfuß, die Stoppeln der Kornfelder pieksen, wenn sie nach Grashüpfern läuft. Die Garben sind eingefahren, das Wetter hochsommerlich trocken und warm, von Strohstaub gesättigte Luft flirrt über den Feldern und dringt in die Nase, dass Clara niesen muss. Mutter und Großmutter stehen gebückt, sie suchen nach liegen gebliebenen Ähren, der Sack soll sich füllen, der Bauer hat es erlaubt.

      Obwohl Clara sich anstrengt, vom Innern der Mühle erhält sie kein rechtes Bild. Ist sie mit Großmutter, die sich ums Abendbrot kümmert, voraus geeilt? Hat sie aus dem Grund das Ähren abwiegen und Ausstellen eines Berechtigungsscheines versäumt? Oder hat sie den Vorgang aus ihrem Gedächtnis gestrichen, weil Holzstiegen rauf und runter zu hopsen die wichtigste Sache der Welt war? An offene, ausgetretene Stufen kann Clara sich vage erinnern. Aber was sie noch ganz genau weiß: Das Papier in der Hand konnte Mutter bei Schevel in Brot eintauschen.

      Das Kind, so heißt es, sieht alles groß und schön - Clara weiß, was gemeint ist. Denn wenn sie den Kindheitstraum träumt, ist ihr, als kehre sie unausweichlich zur Schönheit der ersten Bilder zurück.

      Am Mühlplatz das tosende Wehr und der Fluss - die unbegradigte Vechte. Wo Frauen mit bloßen Armen auf großen Steinen die Wäsche schrubben.

      Am anderen Ufer die Badeanstalt. Unweit des Einlasses Großvater auf einer Bank. Mit seinem großen Stofftaschentuch wischt er sich die Stirn und die Schläfe - und Clara die Nase, auch wenn sie nicht läuft. Ab und zu stört er Clara beim kindlichen Spiel, er greift in die Jackentasche und lockt sie mit sauber geschnittenen Rinden. Herrliches Weißbrot, im Mund schnell breiig und süß, Weißbrot aus Bentheim, dort gibt es den Wald und die englische Panzereinheit. Die Panzer mit langen Rohren, Clara sah sie vom Fensterbrett aus. Jede einzelne englische Rinde entstammt der Kantine im Bentheimer Bahnhofsgebäude. Zu Fuß muss der Großvater hin, muss Tag für Tag Scheiben entrinden und Brote schmieren für Tommies, die auf der Durch- oder Heimreise sind. Brotrinden und Zigarettenkippen, er bringt beides heim, auch wenn jede Art Selbstversorgung ausdrücklich verboten ist. Und immer, wenn es Zigarettenpapier gibt, dreht der Großvater neue und klebt sie mit Spucke fest. Im Notfall greift er zu Zeitungspapier - hat anschließend graue Lippen.

      Feuriger Klatschmohn und Kornblumen zwischen dem Ährengold. Pfade im Weizenfeld, die sich hinter Clara schließen. Hinter dem Schwimmbad Blumenwiesen zuhauf. Sie kann nicht mehr ganz so klein sein, sie sieht sich allein unter Schmetterlingen, es müssen Tausende sein. Ein Heben und Sinken, ein Taumeln und Naschen, die Flügel so pudrig, sie zittern, bevor sie sie packt. Beim Vechtewehr überquert sie die kurze Brücke aus Holz, rennt die Straße entlang und die Treppe hinauf in die Küche. Trinkt Unmengen Wasser direkt aus dem Hahn, quält Großmutter, bis sie ein Deckelglas kriegt und trägt furchtbar viele der aufgeregt krabbelnden Flatterlinge schnurstracks nach Hause.

      Zu der Zeit sind sie schon einmal umgezogen. Gegenüber der Bäckerei Schevel, in einer Häuserzeile, die nebst Balkonen auch Simse und Stuck um die Fenster aufweist, sind ihnen auf zwei Etagen zwei Zimmer und Küche zugeteilt worden. Auf dem Speicher zwei Kammern, die eine für Mutter und Kind. Zwei einzelne Betten darin, ein Eisenbett, in dem Mutter schläft, und für Clara ein Holzbett mit eckigen Pfosten. Vom Spind, der zwischen den Bettstellen steht, schaut eine Puppe mit ausgestopften Gliedern auf Clara herunter - da ihre Gelenke nur leere Stoffhülsen sind, hängt der Puppenkopf traurig vornüber. K 17 steht unter dem rechten Fuß - Mutter hochachtungsvoll: Käthe Kruse. Sie näht ihr ein Hängerkleidchen mit Passe und Puffärmelchen, den Rock verziert sie mit Biesen und Zackenlitze. Doch Clara, die sich am liebsten im Freien aufhält, weiß mit der Puppe nichts anzufangen. Allein, ihr fällt auf: Ihre Mutter spricht häufig und gern mit der Frau, die im eigenen Wirtshaus verschiedene Sorten Eis herstellt. Und weil sie Clara die Puppe geschenkt hat und immer, wenn sie sie draußen entdeckt, geschwind ein Hörnchen Vanilleeis holt, sind Mutter und Kind sich einig: Frau Eisink ist eine herzliche Frau.

      Die Schlafkammer neben der ihren ist für den Onkel und seine zwei Brüder, die vorerst noch in Gefangenschaft sind. Heute, als alter Mann, kann Onkel August darüber lachen:

      „Nachts im Bett … durch das Dach … - ich konnte die Sterne sehen.“

      Die Küche liegt ein Stockwerk tiefer, über der Druckerei. Nicht der Kochherd, wie man wohl vermuten mag, nein, das Großelternbett ist hier Blickfang! Daneben der Ohrensessel, in dem Großvater Clara Grimms Märchen vorliest.

      „Da sie nun an einen Wasserfluss kamen, rief sie noch einmal ihrer Kammerjungfer steig ab und gib mir aus meinem Silberbecher zu trinken zu, denn sie hatte ...“

      „Goldbecher! Goldbecher, Opa!“

      Entrüstet zupft Clara an Großvaters Ohr. Ihre Lieblingsmärchen, die hat sie im Kopf - guter Grund für den Großvater, Clara zu necken. Wie unabsichtlich verfälscht er den Wortlaut, verdreht hier und da kaum merklich den Satz. Und wenn Clara ihm das nicht durchgehen lässt, hebt er schmunzelnd die Brauen und tauscht einen Blick mit der Tochter, den nur sie beide verstehen. Doch das Lesen muss schweißtreibend sein, ein Bächlein verlässt seinen Haarkranz. Rinnt über die Schläfe und über das Jochbein, versickert im weißlichen Stoppelbart.

      „Andenken an den Ersten Weltkrieg.“ Großmutter rührt unbewegt weiter im Topf. „Ein Granatsplitter ist ihm im Kopf geblieben.“

      Clara auf Großvaters Schoß fährt mit dem Finger das wässrige Rinnsal nach. Und während die Mutter, das Ohr am krächzenden Volksempfänger, mit banger Miene der Suchmeldung lauscht, nascht Clara am Bächlein aus Wasser und Großvaters Salz. Sie streicht ihm über die spiegelnde Glatze, spitzt ihre Lippen und ahmt, nu, nu, ihre Großmutter nach. Dabei strengt sie sich an, ihr Nu Nu soll exakt wie Großmutters klingen: kurz und knapp und das U leicht zum O hin verbogen - ein oberschlesischer Zwitterlaut eben.

      Und weil, nach fortgesetztem Zupfen am Ohr, der Großvater doch noch bereit ist, einmal mehr Claras Lieblingsmärchen vorzulesen - das von der Gänsemagd edlen Geblüts und dem abgetrennten Pferdekopf, der, obwohl ans Stadttor genagelt, wie durch ein Wunder sprechen kann - setzt sie hinzu:

      „Du bist mein allerliebster Glatzenkönig.“

      Dass alle lachen, hat sie sich gemerkt.

      Im Ohrensessel ist Großvater eingenickt.

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