Oliver Hell - Todesklang. Michael Wagner J.

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Oliver Hell - Todesklang - Michael Wagner J. Oliver Hell

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an der das Fahndungsfoto von Ron Baum klebte. Das Foto war in der Klinik aufgenommen und zeigte ihn in Anstaltskleidung.

      „Ich dachte, dieses Arschloch sehen wir nie wieder!“ Ihre Worte klangen bitter.

      „Ja, allerdings. Aber wir werden ihn schnappen, bevor er etwas anrichten kann.“ Sein Mienenspiel ließ keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen.

      „Aber irgendetwas gefällt dir doch nicht, Lea. Raus damit!“

      „Mir gefällt es nicht, dass wir unseren Job machen und einen Psychopathen hinter Gitter bringen und diese Pappnasen in der Klinik lassen ihn bei der nächsten Gelegenheit flitzen. Das gefällt mir ganz und gar nicht.“

      Mit einer schnellen Bewegung drehte sie sich um. „Und wenn er Hilfe in der Klinik gehabt hat? Wenn er einen der Wärter dort bestochen hat? Wie kann einer in einer Wäschekiste entkommen? Wer hat ihn dort eingeteilt? Wir müssen uns dort umsehen und die Klinikleitung sowie die Angestellten befragen. Und seinen Zellenkollegen ebenfalls, falls er einen hatte. Was meinst du? Bevor wir hier herumsitzen?“

      „Wie, jetzt gleich auf der Stelle?“, fragte Wendt überrascht.

      „Ja, ich kann auch alleine fahren, aber vier Ohren hören mehr als zwei, oder?“

      „Guter Plan. Ich werde Hansen und Retzar informieren“, sagte Wendt und griff zum Telefon.

      *

      Geistesabwesend schaute Oberstaatsanwältin Brigitta Hansen aus dem Fenster ihres Büros hinaus, dorthin, wo hinter den vielen Neubauten, die in der letzten Zeit aus dem Boden geschossen waren, der Rhein ruhig in seinem Bett dahinfloss. Ruhe. Das wünschte sie sich an diesem Morgen ebenfalls. Sie hätte ohne mit der Wimper zu zucken diesen Tag nicht weiter in ihrem Büro verbracht. Doch sie konnte nicht. Stattdessen drehte sie sich langsam herum und widmete sich wieder der Polizeipräsidentin Bettina Keller-Schmitz.

      „Es geht hier um Wichtiges, Frau Polizeipräsidentin. Es geht um Strukturen, die seit Jahren gewachsen sind. Es geht um Teams, die eingespielt sind und die ganz hervorragende Arbeit leisten. Es geht um Menschen, die miteinander arbeiten und es so gewöhnt sind.“

      Bettina Keller-Schmitz betrachtete sie argwöhnisch. „Gewohnheit ist die schlimmste aller Sünden, jedenfalls, wenn es um moderne Polizeiarbeit geht. Wir leben in einer Zeit, die alle diejenigen, die sich allzu sehr in ihren Wohlfühl-Areas eingerichtet haben, aufrütteln wird. Und eben genau deshalb bin ich jetzt hier. Alte Strukturen sind gut, aber woher will man wissen, dass neue Strukturen nicht viel besser funktionieren? Können Sie das bestreiten, Frau Hansen?“

      „Nein, sicherlich nicht. Unsere Zeit ist in einem stetigen Wandel.“

      Die Polizeipräsidentin schob ihr eine Akte zu, die sie die ganze Zeit vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte. „Hier, schauen Sie bitte.“

      Hansen näherte sich dem Schreibtisch und las den in einer feinen und akkuraten Handschrift auf dem Deckblatt vermerkten Namen. Versuchte ihren Schrecken zu verbergen. Sie glaubte, es würde ihr gut gelingen. Keller-Schmitz sah sie forschend an. In ihren Augen blitzte etwas Gefährliches auf.

      „Dieser Kommissar Hell ist seit mehreren Monaten außer Dienst. Er treibt sich irgendwo im Ausland herum und kuriert eine ominöse Krankheit aus. Er soll an eine Depression leiden, ausgelöst durch ein nicht ordentlich auskuriertes Burn-out. Es gibt einen ärztlichen Befund. Und diesen Befund hat eine Frau mit dem Namen Dr. Franziska Leck ausgestellt, die meinem Wissen nach die Geliebte dieses Kommissars ist. Ich sehe das so: hier ruht sich ein Staatsdiener auf Kosten des Staates aus und führt dieses Präsidium an der Nase herum. Und wenn ich weiterhin richtig informiert bin, dann geschieht das mit Ihrem Wissen und Gutdünken, Frau Oberstaatsanwältin Hansen. Ich hätte gerne Ihre Stellungnahme dazu. Hier und jetzt.“

      Das alles sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Kalt. Brigitta Hansen hatte es geahnt. Und sie verfluchte diesen Emporkömmling Überthür. Von ihm hatte diese Frau aller Voraussicht nach ihr Wissen. Wahrscheinlich war es sogar seine Schrift auf der Aktenmappe. Jedenfalls glaubte sie sich an die exakt gezirkelten Buchstaben zu erinnern. Der nächste Gedanke, der sich ihr aufdrängte, war ein logischer Schluss aus den Vorhergehenden: ihr Stuhl wackelte. Und zwar gehörig. Überthürs Rache. Ausgeführt durch die mächtigste Polizeibeamtin in Bonn. Sie durfte jetzt eins nicht tun – Keller-Schmitz‘ Spiel mitspielen. Der Teint ihrer Gegenspielerin – als solche sah sie die Polizeipräsidentin von diesem Moment an – strahlte vor Gesundheit. Hansen dagegen fühlte sich elend. Doch auch das sollte diese Frau nicht bemerken.

      Sie ging zum Fenster und ließ mit einer großen Bewegung die Lamellen-Jalousie zur Seite gleiten, der Blick auf die Neubauten in der Nachbarschaft wurde frei.

      „Es hat sich viel verändert in Bonn. Viel Neues entstand. Viel Interessantes. Es hat das Gesicht der Stadt verändert. Hat es für Außenstehende attraktiv gemacht. Aber nicht alle Bonner finden das ebenso attraktiv. Seit Jahren streitet man sich um den Neubau eines Beethoven-Festspielhauses. Sie wissen vielleicht, Beethoven ist der bekannteste Sohn der Stadt … aber das brauche ich Ihnen sicher nicht zu erläutern. Sie haben ja Ihre Hausaufgaben gemacht. Die einen wollen das Festspielhaus, die anderen scheuen die immensen Kosten und sagen, dass man einfach die Beethoven-Halle umbauen solle. Der Streit geht nun schon seit Jahren und nichts passiert.“

      Hansen drehte sich langsam um, trat ins Büro zurück.

      „Wissen Sie, Frau Polizeipräsidentin, diese Stadt ist schon immer etwas Besonderes gewesen. Etwas ganz Besonderes. Wer nicht hier geboren ist, der versteht diese Stadt nicht. Er versteht nicht, wie sie tickt. Er kennt ihre Menschen nicht, weiß nicht um ihre Ängste und Nöte.“

      „Was hat das mit Kommissar Hell zu tun?“

      „Viel, Frau Polizeipräsidentin. Er ist hier geboren, er ist hier Polizist geworden, er ist hier zum besten Kriminalkommissar in beiden Bonner Polizeiinspektionen geworden. Er wurde entführt, wurde fast zu Tode geprügelt, er hat sein daraus resultierendes Burn-out-Syndrom erfolgreich bekämpft, kam zurück in den Polizeidienst. War wieder völlig hergestellt, bis er von einem Irren auf offener Straße angegriffen wurde. Er und seine Partnerin haben diesen Angriff nur durch die Geistesgegenwart von Kommissar Hell überlebt. Seine Partnerin, Dr. Franziska Leck, die ihn wie kein anderer auf der Welt kennt, hat ihn dazu überredet, eine Auszeit zu nehmen. Und ja, ich unterstütze ihn bei seiner Gesundung, weil ich meinen besten Kriminalermittler wieder zurück an seine Wirkungsstätte holen möchte. Wiederhergestellt. Wieder im Dienst für diese Stadt, die ihm so viel Leid angetan hat, die er aber so sehr liebt, dass ihm das alles egal ist.“

      „Hinter Ihren Worten könnte fast Liebe stecken, Frau Oberstaatsanwältin Hansen. Ich hoffe, dass es nicht so ist.“

      Dieses Mal lächelte Hansen. „Nein, das Gefühl, das ich versuche, Ihnen zu beschreiben, ist Ehrfurcht und Dankbarkeit. Dankbarkeit für einen Mann, der mit aller Energie seinen Job macht und allen Grund hätte, dieser Stadt den Rücken zuzukehren.“

      „Was er ja auch seit Monaten tut …“, sagte Keller-Schmitz, doch Hansen unterbrach sie.

      „Er wird zurückkommen. Da bin ich mir sicher. Ich kann Ihnen auch genau sagen, warum. Heute Morgen ist der Irre, wegen dem er seine Auszeit genommen hat, aus der psychiatrischen Klinik in Weißenthurm geflohen und ist auf der Flucht. Er hat während des Prozesses üble Drohungen gegen Hell und die Staatsanwaltschaft ausgestoßen.“

      „Ich bin darüber informiert“, erklärte Keller-Schmitz pikiert.

      „Über die Flucht?“

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