Predigten durch ein Jahr. Martin Luther

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Predigten durch ein Jahr - Martin Luther

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Zeit wohl strafen kann. Wie man sieht, daß jetzt da, jetzt dort unversehens ein Unglück sich zuträgt. Darum hüte dich, daß du nicht richtest, sondern denken: Hätte Gott mit mir auch nach der Strenge, die ich ja auch verdient hätte, es mit mir gemacht, so hätte ich vor 10,20,30 Jahren in meinen Sünden sterben müssen, da ich in aller schändlicher Abgötterei und Heuchelei gelebt habe.

      Also hüte dich vor dem verdammen, denn es gehört nicht zu dir. Strafen, unterweisen, vermahnen, kannst du es denen, die richten sollen und verdammen. Dir aber gebührt anderes nicht zu tun, denn das du barmherzig bist, nicht richtest, nicht verdammst, sondern vergibst. Und wenngleich dein Nächster nichts aufhören will, gegen dich zu sündigen, dennoch soll dein Herz geneigt sein ihm zu vergeben, ihn weder hindern, noch sollst du begehren dich zu rächen, sondern wo du kannst, sein Bestes fördern.

      Dieses alles aber tut weh, und ist schwer zu tun. Aber da bedenke, daß du ein Christ bist, und mußt dich, so du ein Christ bleiben willst, die Sache ernster angehen als die Unchristen. Wie das Beispiel unseres Vaters in Himmel uns vorleuchtet. Denn wenn du deinem Nächsten Gutes tust, und er dir es nicht danken, ja, dagegen Schaden zufügen will, da darfst du nicht zweifeln, Gott wird ihn wohl finden; dem laß die Rache, und tue du, was dir befohlen ist.

      Man liest eine Geschichte, wie ein ungezogener ungeratener Sohn seinen Vater bei den Haaren genommen und ihn bis an die Türschwelle geschleift hat, da hat der Vater angefangen zu schreien: Hör auf, hör auf, mein Sohn, denn bis hierher habe ich meinen Vater auch an den Haaren gezogen; wie ich es bei ihm getan habe, so tust du es jetzt wieder bei mir. Dieses ist das Urteil unseres Gottes, dieser weiß wohl Rat dazu, wie er Untugend, besonders aber den Undank strafe. Darum sollen wir ihm es befehlen, und tun, was uns hier befohlen ist, daß wir nicht strafen, sondern barmherzig sind. Gott wird mit der Strafe nicht ausbleiben, wie der Herr hier weiter meldete: Gebet, so wird euch wieder gegeben. Ein voll, gedrückt, gerüttelt, und überflüssig Maß wird man in euren Schoß geben. Denn eben mit dem Maß, da ihr messet, wird man euch wieder messen.

      Es hat doch der Herr alles fein zusammengefaßt, will gern, daß wir feine, fromme Christen würden, und uns immer rechtschaffen hielten. Darum, eben wie er befohlen, man soll mit den armen Sündern gnädig umgehen, wie Gott mit uns umgeht, sie nicht richten, noch verdammen, sondern Gericht und Urteil Gott befehlen und für Sie bitten: also befiehlt er hier weiter, daß man in anderen Nöten ihnen auch behilflich sein soll mit Geben und Raten; und soll dann gewiß hoffen, so viel und reichlich kann man nicht geben, denn Gott will immer mehr und reichlicher geben. Das also unser Herz immer eine Quelle in Liebe, und von Dornen sich nicht stechen lasse, damit es nicht versiege. Wie die Heiden tun: die können des Richtens und Verdammens nicht lassen; sobald man etwas tut, daß ihnen nicht gefällt, wollen sie es nicht eher vergeben, denn daß man ihnen zu Fuße fällt und sie anbete. Also, wo sie es nicht wissen wieder zu genießen, da geben sie nichts hin. Darum bleibt das schwere Urteil über sie, daß sie Gott wieder richten, verdammen, und ihnen auch nicht vergeben will.

      Vor solcher Unart sollen wir uns hüten, und unserem Nächsten tun, wie uns unser lieber Gott im Himmel getan hat. Dieser hebt das Urteil auf und will vergeben; er will weder rächen noch verdammen, ganz gleich, daß wir so undankbar sind und seine Wohltat und seine Hände nicht annehmen wollen. Dieses sollen wir auch lernen. Wo nicht, so werden wir das Urteil bekommen, daß er sagt: «Mit was Maß ihr messet, wird euch wieder gemessen werden.»

      Nun müßten wir aber ja erkennen, daß uns unser Gott sehe reichlich gegeben hat. Denn so wir nach unserem Verdienst bekommen würden, so hätten wir Zorn, Unfriede und alles Unglück verdient, daß es richtig wäre wenn uns die Erde verschlingen würde, sobald wir darauf geboren sind; geschweige denn, daß wir uns danach durch unser ganzes Leben so böse gehalten haben. Das also das rechte Maß auf uns wäre gewesen der Tod und die Hölle. Aber was tut Gott? Er nimmt hinweg alles, was wir verdient haben, Zorn, Ungnade, Gericht, Tod, Hölle, und schenkt uns den Himmel, Gnade und Freiheit von der Anklage des Gesetzes und unseren bösen Gewissens. Er schüttet aus allen Mangel und Schuld, und gibt alles Gute. Das heißt doch gnädig gemessen. Aber danach, wenn du anderen Leute nicht willst also wieder messen, so erwarte nur anderes nicht, denn wie du mißt, also wird dir Gott auch wieder messen. Zuvor hatte Gott dir nur Gnade eingemessen: aber jetzt, gleich wie du tust und mißt mit deinem Undank, also soll dir auch gemessen werden.

      Dieses ist eine wunderbare Predigt, in welcher man sieht, daß Gott sich viel mehr des Dienstes gegen den Nächsten annimmt, denn seines eigenen Dienstes. Denn in seiner Sache und so viel ihn betrifft, vergibt er alle Sünde, und will sich nicht rächen, was wir wieder ihn getan haben. Wiederum aber, wenn wir uns gegen unseren nächsten Übel halten, so will er auch uns gar nichts vergeben. Deswegen muß man das Messen hier verstehen nach dem Glauben, und nicht vor dem Glauben. Denn ehe du zum Glauben gekommen bist, da hat Gott mit dir nicht gehandelt nach deinem Verdienst, sondern nach Gnaden. Er hat dich zu seinem Wort kommen lassen, und dir Vergebung deiner Sünde zugesagt. Das ist das erste Maß, womit er uns gemessen hat, da wir angefangen haben zu glauben.

      Weil wir nun solch ein Maß von Gott empfangen haben, sagt er: Gedenke, und bist du zu anderen Leute nicht anders. Tust du es aber nicht, so soll es dir gehen, wie du anderen tust. Du bist ihnen ungnädig: ich will dir auch ungnädig sein. Du richtest und verdammst sie: ich will dich auch richten und verdammen. Du nimmst und gibst nichts: ich will dir auch nehmen und nichts geben. Da geht das Maß an nach dem Glauben, daß sich unser lieber Herr Gott der Werke gegen den Nächsten so sehr annimmt, daß er will zurück rufen, was er für Gutes getan hat, wenn wir unserem Nächsten nicht auch Gutes tun wollen.

      Deswegen, wer da denkt Gott treulich zu dienen, der tue seinen Nächsten, wie Gott ihm getan hat, das ist, er richte nicht, er verdamme nicht, er vergebe und gebe gern, sei freundlich und hilfreich, wo er kann. Denn sonst wird es ihm gehen, wie mit dem Knecht, Matthäus 18. Diesem war eitel Gnade zugemessen, daß der Herr ihn ohne Schuld entließ, da er aber nicht wollte seinem Nächsten die hundert Groschen schenken, noch Geduld haben, bis er sie bezahlte; der kamen die 10000 Pfund wieder auf ihn, und wurde den Peinigern überantworte, bis er alles bezahlte.

      Nun ist wohl war, möglich ist es nicht, daß wir uns an diese Regel immer halten könnten. Wir vergessen der Barmherzigkeit sehr oft: wo wir freundlich sein sollten, da zürnen wir; wo wir gute Worte geben sollten, da fluchen wir. Wenn sich nun alles bei uns zuträgt, daß wir in diesem Fall gegen den Befehl Christus tun, da sollen wir beachten, daß wir uns vor der Sünde der Pharisäer hüten, und unser Gewissen nicht tot machen und in der Sünde fortfahren, sondern daß wir bald umkehren, an dieses Bild denken, und tun, wie uns unser Vater getan hat, daß wir auch vergessen und vergeben, und uns durch keinen Undank bitter machen lassen.

      Doch wenn man vergeben soll, so gehört auch dazu, daß der Teil, dem man vergeben soll, seine Sünde erkenne und lasse diese sich leid sein. Denn daß ich dem Papst und anderen Feinden des Wortes ihre Sünde vergeben soll, das ist mir nicht möglich. Ursache, sie halten es für Recht, daß sie unsere Lehre verfolgen. Denn so man Sünde vergeben soll, so muß ja Sünde da sein. Wer nun Recht haben will und Sünde nicht bekennen, wie Saul mit Samuel tat, dem kann man die Sünde nicht vergeben.

      Das ist die Lehre vom christlichen Leben, welche der Herr aus dem Beispiel unseres Vaters im Himmel uns vorhält. Diese Lehre hält er uns vor in dem Gleichnis vom Splitter im Auge, und dem Balken. Als wollte er sagen: Ich sehe wohl, es ist euch sauer, denn wenn ihr Schaden habt tut es euch so weh, ihr könnte es nicht sobald vergessen: sobald ihr euren Widersacher seht, wo der an ihn denkt, so läuft euch die Galle über, und denkt: Er hat mir das und das getan, ich wollte, daß er alles Unglück hätte. Liebe Kinder, spricht Christus, nicht so: wenn er dir schon da und dort Schaden getan, oder dich mit einem Wort geärgert hat, so ist es doch in der Wahrheit nur ein Splitter, ein kleines Staubkorn im Auge, dagegen hast du einen großen Balken im Auge, wenn du dahin sehen willst, was du gegen Gott getan hast. Darum gehört sehr viel dazu, wer einen anderen richten und verdammen will.

      In anderen Sachen ist es also, daß der Schulmeister muß gelehrter sein als sein Schüler, sonst wird der Schüler

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