Barfuß ins Verderben. Bernharda May

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Barfuß ins Verderben - Bernharda May

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ins Grübeln. Das Zimmer, welches sie Herrn von Voss zugeteilt hatte, war eines von denen, die in Richtung Deich zeigten. Er hatte behauptet, noch arbeiten zu wollen.

      »Aber bei völliger Dunkelheit?«, fragte sie sich leise.

      Im Wattenstieg gingen sonderbare Dinge vor.

      3. Dr. Drozdowski

      Getreu dem Motto, Bewegung an der frischen Luft ist gesund, radelte Rita Drozdowski täglich eine Stunde vor Öffnung ihrer Arztpraxis durch Frankenhorn. Sie hoffte, den Einwohnern des kleinen Städtchens auf diese Weise ein Vorbild zu sein und gleichzeitig ein paar überflüssige Pfunde zu verlieren. Die Tatsache, dass es sich bei ihrem Gefährt um ein E-Bike handelte, ignorierte sie dabei.

      Diesmal hatte sie sich eine Route entlang der Küste ausgesucht und da war es unumgänglich, dass sie die Wattenelfriede auf deren allmorgendlicher Wanderung entdeckte. Mit klarer, gutturaler Stimme rief sie ihr einen Gruß entgegen. Die meisten ihrer Patienten reagierten unterwürfig, sobald sie diese Stimme vernahmen; nicht aber die Wattenelfriede, die war von anderem Schlag. Die hob bloß kurz und behäbig die Hand. Andere Patienten wären auf Frau Drozdowski zugelaufen, um ihr einen Plausch über ihre Wehwehchen aufzudrängen; Elfriede wollte sich jedoch lieber wieder ihrem einsamen Spaziergang widmen. Gerade rechtzeitig streckte die Ärztin ihren Arm, um die alte Frau zu sich zu winken. In diesem Fall bestand der Doktor selbst auf den Plausch.

      »Was gibt’s denn?«, fragte Elfriede schon von Weitem.

      »Die EKG-Werte sind gestern eingetroffen«, antwortete Dr. Drozdowski. »Wo ich Sie hier gerade antreffe, können wir uns den Anruf sparen und gleich persönlich miteinander reden. Die Auswertung lässt keine Rückschlüsse auf chronische Herzschwäche zu.«

      »Das beruhigt mich zwar«, sagte Elfriede, »aber woher kommen denn dann die wiederkehrenden Herzklopfer?«

      »Nun, ich habe zweierlei Hypothesen«, begann Dr. Drozdowski vorsichtig und ahnte bereits, dass keine der beiden der Wattenelfriede gefallen würden.

      In umständliche Worte gekleidet, drückte sie aus, was ganz einfach auf zwei Begriffe zu reduzieren war: Fehlernährung und Überarbeitung.

      »Sandrine vertraute mir an, dass Sie nur schwer auf ein Würstchen zwischendurch verzichten können. Darum wäre es das Beste, Sie würden mir eine Woche lang ihre Speisegewohnheiten aufschreiben«, schlug die Ärztin vor. »Und zusätzlich Ihre Tätigkeiten in Ihrem Arbeitsalltag. Wir müssen berücksichtigen, dass Sie schon über siebzig und im besten Rentenalter sind.«

      Elfriede schaute nicht zu Dr. Drozdowski, sondern über die Nordsee, als sie antwortete:

      »Fehlernährung! Sie klingen schon wie einer meiner Gäste, wie dieser Veganer. Ich esse, wie ich immer gegessen habe, und gehe mit einem guten Glas Milch zu Bett. Das galt zu meinen Zeiten als gesund und da lasse ich mir weder von Ihnen noch von Herrn Stuber etwas anderes einreden. Sandrine hingegen hat sich nicht in unsere Angelegenheiten zu mischen.«

      Rita Drozdowski sagte nichts. Sie spürte, dass die Wattenelfriede noch weitersprechen würde, wenn man sie nicht unnötig unterbrach.

      »Was die Überarbeitung und mein Alter angeht«, ächzte Elfriede schließlich, »mögen Sie sogar recht haben. So eine Pension kann sich allerdings nicht von allein führen. Mit etwas Glück ist bereits nächstes Jahr alles geregelt und ich habe meinen Ruhestand.«

      »Das klingt gut in meinen Ohren«, sagte die Ärztin. »Ich drücke die Daumen, dass Ihre Pläne gelingen.«

      Gern hätte sie gewusst, wie jene Pläne genau aussahen, aber Elfriede schenkte ihr keine Gelegenheit zu fragen.

      »Bis dahin brauche ich aber etwas, das mir bei den Herzanfällen hilft, Frau Doktor«, sagte sie mürrisch. »Lassen Sie sich was einfallen! Und kommen Sie mir nicht mit irgendeinem homöopathischen Stuss.«

      Die Wattenelfriede war zwar bekannt dafür, manchmal etwas ruppig daher zu reden, doch solche Aggressivität überrumpelte die Ärztin. Vielleicht war etwas dran an dem Gerücht, sie sei im Kopf nicht mehr ganz die Alte. Jemand, der es wissen musste, hatte es unlängst Rita Drozdowski anvertraut, und sie überlegte kurz, ob Elfriedes Beschwerden womöglich psychische Ursachen haben könnten.

      Ein Jammer, dass ich nicht näher mit ihr befreundet bin, dachte sie bei sich. Sonst könnte ich mich einmal zum Abendessen einladen und mir ein Bild über die Verhältnisse machen.

      Laut sagte sie:

      »So, genug geklönt fürs Erste. Ich muss nun weiter, die Praxis ruft. Passen Sie auf sich auf und gönnen Sie sich mehr Ruhe. Und kommen Sie diese Woche bitte nochmal in meine Sprechstunde.«

      »Das geht nicht«, wandte Elfriede ein. »Mein Großneffe kommt heute, und der Herr Martens mit Begleitung, und ich hab alle Hände voll zu tun.«

      »Lassen Sie sich von Ihrem Großneffen helfen. Er sollte alle Hände voll zu tun haben und nicht Sie. Ich verspreche Ihnen, dann werden sich Ihre Beschwerden schnell bessern. «

      »Wenn Sie meinen«, erwiderte Elfriede skeptisch. »Denn erstmal tschüs.«

      Die alte Frau ging zu exakt jener Stelle im Watt zurück, von der aus sie auf Zuruf der Ärztin von ihrer ursprünglichen Route abgewichen war. Die Flut kam mit ruhigen, fast schon schüchternen Wellen heran und hatte bereits einige der Fußspuren weggespült, doch Elfriede fand mit untrüglichem Instinkt ihren Weg. Rita Drozdowski sah ihr noch eine Weile hinterher.

      Immerhin ist sie hinsichtlich ihrer Wattspaziergänge ganz die Alte, dachte sie. Fragt sich nur, für wie lange noch.

      4. Max

      »Zum Wattenstieg« – schon der liebevoll geschnitzte Wegweiser, der an der Straßenecke stand, erfüllte Max mit Vorfreude. Er verließ den Pflasterweg und lief, das Gewicht seines Rucksacks kaum spürend, die Holzbretter entlang, bis er vor der Pension seiner Großtante stand.

      Kaum zu glauben, dachte er. Er war höchstens anderthalb Wochen fort gewesen und hatte trotzdem sein Zuhause unglaublich vermisst.

      Er brauchte nicht zu klingeln, denn selbstverständlich besaß er einen Schlüssel. Bereits in der Diele roch es nach Sandrines köstlichem Essen. Auf dem Tresen des Empfangs lagen die bekannten Prospekte über Sehenswürdigkeiten der Umgebung, an der Wand dahinter hing die aktuelle Gezeitentabelle. Auf dem Regal war keine Vase zu sehen und beide Schwestern – Elfriede und Gerda – sahen von ihrem Doppelporträt zu ihm herab.

      »Das heißt, Ole ist schon da«, folgerte Max.

      Bevor er in den Gesellschaftsraum ging, wo er die anderen vermutete, brachte er sein Gepäck nach oben; natürlich hatte er als »Enkel des Hauses« sein eigenes ständiges Zimmer. Dort machte er sich kurz frisch und suchte anschließend seine Großtante auf.

      »Oma Friede«, rief er und umarmte sie.

      Nur er durfte sie so nennen, obschon sie gar nicht seine richtige Oma war.

      »Wie geht es dir? Du hast gestern geschrieben, du würdest dich krank fühlen?«

      »Nicht wohl«, berichtigte Elfriede ihn. »Ich schrieb, ich fühle mich nicht wohl. Das ist etwas anderes als krank! Aber nun, wo du da bist, geht es mir viel besser. Wer weiß, vielleicht trifft Dr. Drozdowskis Prophezeiung ein und deine Anwesenheit

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