Barfuß ins Verderben. Bernharda May

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Barfuß ins Verderben - Bernharda May

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schien. Rosige Wangen, leuchtende Augen – so hatte ihn in seinem Ferienjob niemand angestrahlt.

      »Hast es in der Großstadt nicht lange ausgehalten, wie?«, fragte Elfriede.

      »Ach, weißt du… Ich erwarte ja nicht viel, wenn ich als Aushilfe jobbe, aber wenn man bei Betrieben wie T-raq von Anfang an nichts weiter tun darf, als den Laufburschen zu markieren, wie soll man da vorankommen? So geht man doch nicht mit jemandem um, der offen über einen Quereinstieg nachdenkt! Da schmeiß ich den Job lieber hin.«

      »Wie so vieles andere«, kommentierte jemand von der Seite und Max drehte sich um. »Die Ausbildung zum PTA hast du ja auch hingeschmissen. Wer war damals schuld? Die launische Apothekerin? Die leidigen Allergien?«

      Natürlich, Ole Klävers. Sein abschätziger Blick prallte an Max ab. Der alte Mann hatte nie verstehen können, warum ein junger Mensch eine Ausbildung abbrach oder ein Praktikum verwarf. Schon absurd, dass ausgerechnet einem Dichter dafür die Fantasie fehlte.

      »Ich finde schon irgendwann das Richtige für mich«, sagte Max und reichte Ole versöhnlich die Hand.

      Der strich sich erst seine weiße Strähne von der Stirn, ehe er sie schüttelte.

      »Du weißt, ich habe Kontakte«, sagte er ernst. »Ich kann dich in einem Verlag oder bei einer Zeitung unterbringen. Du musst nur wirklich wollen und den nötigen Fleiß zeigen.«

      Max nickte höflich, verzichtete aber auf eine Antwort. Derweil ertönte ein gutherziges Lachen aus einer anderen Ecke und Gustav mischte sich ein:

      »Nimm den Jungen nicht so streng ins Gericht, Ole. Er ist eben ein Lebenskünstler. Ein Freigeist, der seinen Prinzipien treu bleibt.«

      Er trat an Max heran und drückte ihn fest an sich.

      »Schön, dass wir uns wiedersehen, Kleiner.«

      Max freute sich zwar ebenfalls, auf die Umarmung hätte er aber gern verzichtet. Gustav J. Martens, der bekannte Maler, war ein kräftiger, großer Mann, der nur mit seinen Pinseln und Stiften zärtlich umging. Alle anderen fasste er mit liebevoller Grobheit an, weil er es einfach nicht besser konnte. Die Folge war, dass Freunde und Bekannte seine Zuneigung auf eher schmerzhafte, denn zärtliche Weise zu spüren bekamen.

      Im Gegensatz zu Ole hatte Max den Künstler schon lang nicht mehr gesehen. Er sah keinen Deut älter aus als vor fünf Jahren, was im Großen und Ganzen seiner Glatze zu verdanken war. Max schwor sich, sein eigenes Haupt gleichfalls glatt zu scheren, sobald das erste graue Haar zu sehen war. Hoffentlich würde ihm das ebenso gut stehen wie Gustav.

      »Darf ich dich von Oles lehrmeisterhaften Ratschlägen befreien und dir meine zauberhafte Begleitung vorstellen?«, fragte Gustav und führte Max quer durch den kleinen Gesellschaftsraum, hin zum Fenster. »Das ist Carmen.«

      Vor Max stand eine Dame mittleren Alters, die ein rot-schwarzes Cocktailkleid trug, dazu silbernen Schmuck an Hals, Armen, Fingern und Ohren. Sie begrüßte ihn mit einem breiten Lächeln und zeigte dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne zwischen ihren vollen, tiefroten Lippen.

      »Ah, der junge Max! Freut mich sehr. Gustav hat viel von Ihnen erzählt.«

      »Tatsächlich? Nur Gutes, hoffe ich.«

      Carmen lachte. Es war ein gekünsteltes Lachen, aber bei Weitem nicht das am schlechtesten gespielte, das Max je gehört hatte. Sie erzählte ihm ungefragt, wie niedlich sie die Pension seiner Tante – oder war es Großmutter? – fände, wie sie die Aussicht aufs Meer genießen würde und überhaupt der Norden ja so faszinierend wäre.

      »Gustav und ich wohnen in dem drolligen Bungalow hinter dem Haus«, schwärmte sie. »Dort, wo er seine größten Kunstwerke geschaffen hat. Elfriede hat ihm erlaubt, wieder ein Atelier daraus zu machen. Die Gute hat ohnehin kaum etwas darin verändert, seit er das letzte Mal da war. Und er wird ein ganz neues Gemälde schaffen. Aber keiner darf erfahren, was es sein wird. Es ist ein Geheimnis!«

      Sie redete so laut, dass alle anderen im Zimmer unweigerlich zuhören mussten. Als das Wort »Geheimnis« viel, war es still. Max war zumute, als habe Carmen mit der Stille gerechnet, denn sie redete nun wichtigtuerisch auf alle ein:

      »Unter Künstlern kann es nämlich vorkommen, dass einer dem anderen die Idee, den kreativen Einfall stiehlt. Darum sagt Gustav kein Wort über sein neues Werk. Nicht einmal mir, kann man sich das vorstellen? Aber ich füge mich. Die Launen eines Künstlers hat man selbstverständlich zu respektieren.«

      Diese Frau ist unverschämt, stellte Max fest. Gustav hat ihr garantiert erzählt, wie vor zwanzig Jahren ein junger, aufstrebender Gestaltungskünstler seine Idee geklaut hatte. Das war ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Wattenstiegs gewesen, denn der geistige Diebstahl hatte ausgerechnet hier stattgefunden und war zudem Elfriede zulasten zu legen.

      Max erinnerte sich nur dunkel, denn er war damals noch ein kleines Kind gewesen. Aus Erzählungen wusste er jedoch genug. Jener Künstler hatte im Wattenstieg gewohnt und von Elfriedes Freundschaft zu Gustav J. Martens erfahren. Da hatte er ihr solange in den Ohren gelegen, bis sie ihm von dessen neuesten Projekt berichtet hatte: »Lidschatten« sollte ein Zyklus von Bildern heißen, der dadurch zustande kam, dass Gustav die Augen schloss, nachdem er lange in Lichter gestarrt hatte. Dann sollten die visuellen Eindrücke, die bei geschlossenem Lid entstanden, auf Leinwand festgehalten werden.

      »Schwarzer Untergrund, naturgemäß, und darüber gleißende dünne Linien, violette Tupfer, orangefarbene Schimmer – alles sehr dunkel und unförmig – so hatte ich es mir vorgestellt«, hatte ihm Gustav Jahre später anvertraut. »Aber Elfriedes Plappermaul hat diesem Emporkömmling schon zu viel verraten. Er klaute meinen Einfall und machte daraus elektronische Kunst mit Monitoren und Glühlampen, die er ›Nicht-Bilder‹ nannte. Da brauchte ich mein Vorhaben natürlich nicht mehr in Angriff zu nehmen, sonst hätte man mich als Kopist verunglimpft.«

      Dass Elfriede und Gustav dennoch ihre Freundschaft aufrechterhalten konnten, kam Max heute wie ein kleines Wunder vor. Carmens Kommentar dagegen musste ihnen wie frisches Salz auf alter Wunde vorkommen. Die Dame schien gar nicht zu merken, wie ihretwegen die Stimmung beinahe kippte. Zum Glück trat gerade Sandrine herein und verkündete mit gewohnt lautem Organ:

      »Dîner! Folgen Sie mir bitte, alle!«

      Der Esstisch war voll besetzt. Eigentlich wollte Max sich neben seine Großtante setzen, aber Carmen machte ihm den Stuhl abspenstig. Er nahm stattdessen zwischen Immanuel Stuber und Herrn von Voss Platz. Er konnte hören, wie Carmen der Gastgeberin zuraunte:

      »Das finde ich ja mutig, hier auf dem Lande so multi-kulturelle Einstellungspolitik zu betreiben. Wo kommt Ihre Köchin denn her?«

      »Fragen Sie sie ruhig selbst«, raunte Elfriede zurück. »Sie versteht unsere Sprache hervorragend.«

      Carmen ergriff die Chance, sobald Sandrine ihren Teller füllte.

      »Verraten Sie mir bitte, Sandrine: Wo kommen Sie her?«

      »Moi? Aus Frankreich.«

      Max entging nicht, wie Sandrine für den Besuch eine extra Portion französischen Akzent in ihre Worte legte.

      »Nein, ich meine, wo kommen Sie wirklich her«, beharrte Carmen und deutete mit der Hand auf die dunkle Haut der Köchin. »Also ursprünglich

      »Na, aus Frankreich«, erwiderte Sandrine. »Sagte ich doch.«

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