Barfuß ins Verderben. Bernharda May

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Barfuß ins Verderben - Bernharda May

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zwar, worauf Carmen hinauswollte, aber wie wenig Feingefühl für politische Korrektheit konnte ein Mensch heutzutage haben? Gustav hatte schließlich Mitleid mit seiner Geliebten, tätschelte ihre Hand und übernahm für sie das Wort.

      »Sandrine, ich glaube, meine Begleitung meint Ihre Vorfahren.«

      »Ach so!«

      Sandrine hob mit gespielter Überraschung die Hände ans Gesicht. Max ahnte, dass die Köchin die ganze Zeit über gewusst hatte, was Carmen meinte, sie aber absichtlich zappeln ließ. Er fand das sehr sympathisch.

      »Meine Großeltern verließen vor vielen, vielen Jahrzehnten Mali und kamen nach Frankreich«, erklärte sie. »Seitdem ist meine Familie französisch – naturellement!«

      Mit dieser kurzen und bündigen Erklärung war das Thema für sie abgeschlossen. Sie setzte sich auf den letzten freien Stuhl, wünschte allen »Bon appétit!« und langte ordentlich zu. Die anderen taten es ihr nach.

      Carmens Verhalten führte dazu, dass das Abendessen weitestgehend schweigend verlief. Niemand wollte sich eines neuen, vielleicht noch schlimmeren Fauxpas schuldig machen. Letztlich war es wieder Carmen, die nach dem Essen in ein neues Fettnäpfchen trat, indem sie ihre Zigarettenschachtel zückte.

      »Ts, ts, ts«, machte Sandrine und wackelte tadelnd mit dem Zeigefinger. »Nicht in der Nähe meiner Küche rauchen. Das dulde ich nicht.«

      Damit die Dame nicht allzu dumm dastand, kam ihr Max zu Hilfe. Er holte seinerseits eine Zigarette aus der Hemdtasche, dazu ein Feuerzeug, und sagte:

      »Seitdem sie hier ist, versucht Sandrine allen und jedem, das Rauchen abzugewöhnen. Bei mir hat sie’s aber nicht geschafft. Gehen wir hinters Haus, Carmen, da steht ein Aschenbecher.«

      Hinter der Pension befand sich neben der Terrasse ein kleiner Garten. Weiße Trittsteine führten über grünes Gras hin zum Bungalow, der Gustav und Carmen als Unterkunft und Atelier dienen sollte. Die beiden Raucher setzten sich auf eine alte Hollywoodschaukel und begannen eine harmlose Plauderei.

      »Ich hab wohl eins, zwei Mal etwas Dummes gesagt«, gestand Carmen. »Das passiert mir immer wieder. Wie dankbar bin ich Gustav, dass er darum nie viel Aufhebens macht.«

      »Ja, er ist in Ordnung«, erwiderte Max. »Er hat viel Verständnis für die Menschen.«

      »Im Gegensatz zu Klävers«, bemerkte Carmen. »Ich habe mitbekommen, wie er Sie getadelt hat, Max. Und auch mich hat er heute Abend mehrmals mit einem bösen Blick bedacht. Er ist sicher sauer, weil ich offen zugegeben habe, kein Werk von ihm zu kennen. Als ich ihn fragte, ob er von seiner Lyrik wirklich leben könne, zog er sich ganz beleidigt zurück.«

      Max musste kichern. Ja, Ole Klävers war sehr sensibel, was seine Dichtkunst anging. Zum einen bildete er sich viel darauf ein, nur in kultivierten Kreisen bekannt zu sein, zum anderen schmerzte es ihn, dass nicht einmal die hiesige Buchhandlung seine Poesiebändchen anbot. Er hatte einmal unter falschem Namen ein Dutzend seiner Bücher dort bestellt und nie abgeholt, in der Hoffnung, der Händler würde sie dann ins Schaufenster oder wenigstens an den Verkaufstresen stellen, um sie loszuwerden. Stattdessen hatte man das Dutzend einfach wieder an den Verlag zurückgeschickt.

      »Über Ole Klävers muss man drei Dinge wissen«, erzählte er Carmen. »Sein Erstlingswerk hieß ›Zwanzigtausend Meilen über dem Watt‹ und sollte eine lyrische Hommage an Jules Vernes Roman und an seine eigene nordische Heimat zugleich sein. Ich fand es gar nicht schlecht, auch wenn man es nur einmal liest und dann nie wieder. Sandrine dagegen war der Auffassung, es müsse eher ›Zwanzigtausend Meilen unterm Niveau‹ heißen. Sie liebt Jules Verne und hält nichts von Nachahmungen.«

      »Zwanzigtausend Meilen unterm Niveau«, lachte Carmen. »Das gefällt mir. Und die zwei anderen Dinge, die man wissen muss?«

      Max nahm einen Zug, bevor er weitersprach.

      »Die zweite Sache, deretwegen Ole bekannt wurde, ist sein Versepos ›Die drei Mütter‹. Darin geht es um drei Frauen, die darum wetteifern, wer von ihnen das besonderste Kind zur Welt bringt. Die erste gebärt eines aus Glas, das dann zerbricht. Die zweite gebärt nur einen Schatten, der verschwindet, sobald die Sonne untergeht. Und was die dritte zur Welt bringt, weiß ich nicht mehr.«

      »Klingt wie ein Märchen«, meinte Carmen.

      »Als solches war es auch konzipiert«, sagte Max. »Aber Oles Timing war denkbar schlecht. Er veröffentlichte das Epos während der Hochphase der Frauenbewegung, und eine Menge Feministinnen sahen darin Diffamierung, antiquierte Rollenbilder und allerhand mehr. Ihre Vorwürfe brachten Ole Klävers zwar als Dichter in die Schlagzeilen, sein Werk wurde aber eher geschmäht als gelesen.«

      »Traurig für ihn«, gab Carmen zu. »Aber umso berechtigter ist ja dann meine Frage, wovon der Mann eigentlich lebt?«

      Wieder kicherte Max. Statt zu antworten, begann er leise ein Lied zu singen:

      »Hallo, Frau Routine,

      jetzt ziehst du bei uns ein.

      Jetzt kommt die gleiche Schiene,

      tagein, tagaus, tagein.«

      Carmen war ganz Ohr.

      »Das kenne ich! Wie geht es gleich weiter?«

      Sie sann kurz nach und sang dann:

      »Hallo, Frau Routine,

      du schaust bei uns vorbei.

      Kochst mir und meiner Freundin

      den täglich Einheitsbrei.«

      Den letzten Vers hatten Max und Carmen gemeinsam gesungen und nun lachten sie. Beinahe fielen ihnen die Zigaretten aus den Händen.

      »Das ist von Klävers?«, fragte Carmen ungläubig. »Ein alter, alberner Schlager?«

      »Jedenfalls der Text ist von ihm«, antwortete Max. »Und egal, wie albern das Lied ist, es war damals ein großer Hit. Die Tantiemen sind’s, die Ole sein unabhängiges Leben ermöglichen.«

      Vom Gelächter angelockt, gesellten sich Herr von Voss und Immanuel Stuber zu den beiden auf die Terrasse.

      »Oh, es gibt Cappuccino?«, rief Carmen auf, als sie Herrn von Voss vorsichtig eine volle Tasse vor sich hertragen sah. »Wissen Sie, ob es auch Latte Macchiato gibt?«

      »Ja, den gibt es«, sagte Herr von Voss und setzte sich sachte auf einen Gartenstuhl, damit nichts verschütt ging. »Auch Espresso und normalen Kaffee und Trinkschokolade.«

      »Seit wann gibt sich Sandrine solche Mühe mit den Heißgetränken?«, wunderte sich Max.

      »Oh, das ist nicht von der Köchin«, erklärte Herr von Voss. »Das ist aus dem Kaffeeautomaten in der Diele.«

      Immanuel Stuber fiel ihm ins Wort.

      »So ein Umweltsündergerät, wofür ein Haufen Plastikmüll produziert werden muss«, schimpfte er. »Aluminiumkapseln, Plastiktüten – und wo kommt das am Ende alles hin? Ins Meer, wo es von unschuldigen Tieren gefressen wird, die daran verenden.«

      »Sie sind Umweltaktivist?«, erkundigte sich Carmen und ein Hauch Verachtung lag in ihrem Ton.

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