DAS OPFER. Michael Stuhr

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Katholikin, aber auch sie konnte der lockenden Melodie kaum noch widerstehen. Sie spürte, sie musste den anderen folgen, aber sie ahnte auch, dass dieser Gesang unrein war. Die Fischer in ihrer portugiesischen Heimat hatten manchmal spät in der Nacht mit gedämpften Stimmen davon gesprochen.

      „Ma Donna mia, sie kommen vom Meer und wollen uns holen“, flüsterte Maria und bekreuzigte sich mit geschlossenen Augen. Das Messer, mit dem sie gerade das Fleisch zerteilt hatte, rutschte aus ihrer Hand. Mit einem dumpfen Laut fiel es zu Boden. Maria achtete nicht darauf. Eilig verließ sie das Haus, um Pedro, ihren Sohn, zu suchen, aber schon nach wenigen Schritten vergaß sie ihr Vorhaben. Die lockende Melodie hatte sie jetzt völlig ergriffen. Wie betäubt folgte sie den anderen hinunter zum Strand.

      Zur gleichen Zeit schreckte Pedro aus dem Schlaf auf. Er hatte einen merkwürdigen Traum gehabt: Da waren Schatten über ihm gewesen, die nach ihm gegriffen hatten. Es waren die Schatten von wunderschönen Frauen, fast so schön, wie die Herrin seiner Mutter.

      Pedro liebte Eleanor Dare. Sie war immer freundlich zu ihm gewesen und hatte ihm sogar auf der langen Überfahrt von England das Schreiben beigebracht. Die gemeinsamen Übungsstunden in der kleinen Kabine hatte Pedro genossen. Der Duft und die Nähe dieser schönen Frau hatten seine Phantasie beflügelt und seinen Eifer verdoppelt.

      Leider hatte dieser Unterricht hier aufgehört, denn sie hatte ihre kleine Tochter bekommen und keine Zeit mehr für ihn gehabt. Aber immer wenn sie ihn sah, strich sie ihm über die Haare und lächelte ihm zu.

      Pedro fand, dass sie die schönste Frau auf der ganzen Welt war. Aber diese Frauen in seinem Traum waren auch wunderschön gewesen. Die offenen dunklen Haare hatten um ihre hellen Körper und um ihre lieblichen Gesichter geweht. Zugelächelt hatten sie ihm, und ihn bei seinem Namen gerufen: „Pedro! - Pedro! - Komm, lass uns spielen Pedro!“

      Auf einmal waren da aber noch viele andere Schatten gewesen. Lauter fröhlich lachende Menschen. Er hatte auch zu ihnen gewollt. Aber plötzlich waren ihre Gesichter angstverzerrt gewesen. Sie hatten ihre Münder aufgerissen und geschrien, aber kein Ton war zu hören gewesen. Er hatte das verzweifelte Gesicht seiner Mutter gesehen. Auch sie hatte geschrien.

      Die Stimme seiner Mutter hatte er gehört. Im Traum konnte er sie immer hören. „Pedro – nein! Nein, sie sind böse! Das ist das BÖSE!“, hatte sie ihm zugerufen.

      Verwirrt rieb Pedro sich die Augen und sah sich um. Er lag auf der Aussichtsplattform in dem höchsten Baum der Siedlung. Oh nein! Er setzte sich auf. Wieder einmal war er während seiner Wache eingeschlafen. Das würde Ärger geben. Mister Dare würde ihn gehörig ausschimpfen und er würde kein Abendessen bekommen, wenn das herauskam. Dabei hatte er doch jetzt schon solchen Hunger.

      Eigentlich hatte Pedro ständig Hunger. Seine Mutter staunte immer nur, was in seinen elfjährigen Körper so alles rein passte. Sie ging dann manchmal lachend um ihn herum und suchte nach einem nicht vorhandenen Loch in seinem Bauch.

      Vorsichtig richtete Pedro sich auf und lugte über die Holzwand der Plattform. Er sah auf das Dorf hinunter. Nichts rührte sich dort. Alles lag wie ausgestorben da. Wo waren die denn alle? Normalerweise herrschte auf dem Dorfplatz reges Treiben, aber nun sah er niemanden dort.

      Pedro stand auf und rieb sich erneut die Augen, denn er glaubte nicht, was er jetzt sah. Er hatte sich einmal um sich selbst gedreht und schaute nun in Richtung des nahen Strandes.

      Die Männer, Frauen und Kinder des kleinen Dorfs waren zu erkennen. Sie liefen zum Strand und gingen durch die sachten Wellen ins Wasser. Was taten die da? Pedro schüttelte den Kopf.

      Als immer mehr von den Bewohnern der Siedlung unter Wasser verschwanden und er sie nicht mehr auftauchen sah, bekam Pedro Angst. Zitternd griff er nach dem Seil der Alarmglocke und begann daran zu ziehen. Wild schleuderte der Glockenschlegel hin und her. - Das mussten sie doch hören. Aber keiner wandte sich um. Alle gingen sie weiter in das Wasser hinein und versanken darin. - Nur der Pfarrer der kleinen Gemeinde, der mit eilenden Schritten als letzter die Wasserlinie erreichte, drehte sich kurz zu ihm um. Seinen großen Hut hatte er verloren, aber er kümmerte sich nicht darum.

      Pedro fröstelte, als er den Blick des Geistlichen sah. Der Reverend hatte normalerweise strenge Gesichtszüge, aber nun hatte sich sein Gesicht zu einem so glückseligen Strahlen verzerrt, als würde er höchste Lust empfinden. Und Pedro meinte Lust. Er hatte es oft genug beobachten können, was diese Lust mit den Gesichtern der Menschen tat. Zum Beispiel, wenn sich der Tischler heimlich in der Scheune des Dorfes mit der hübschen Ziegenhirtin traf. Er konnte sie zwar nicht hören, aber sehen konnte er gut.

      Zögernd stieg nun auch der Reverend in die Fluten, wobei er vorsichtig seinen Talar lüpfte, wie eine Frau ihr Kleid.

      Pedro läutete immer wilder - immer verzweifelter. Er zitterte am ganzen Körper. Was war nur los? Waren sie alle taub geworden, so wie er? Warum hörten sie die Glocke nicht?

      Er sah den grauen Haarkranz des Reverends im Wasser verschwinden, während sein Talar sich um ihn herum aufbauschte wie eine riesige schwarze Qualle.

      Panisch ließ Pedro seine Blicke über das Dorf und über den Strand fliegen. Alle waren in das Wasser gegangen und hatten ihn zurückgelassen. Mit zitternder Hand wischte er sich eine Träne aus dem Gesicht, aber so lange er auch Ausschau hielt: Das Meer zwischen der Insel und dem Damm lag glatt und ruhig da, so als sei nie etwas geschehen.

      Pedro ließ den Glockenstrang los. Was war nur passiert? Er konnte es nicht verstehen. War das ein Traum? Nein! Alle hatten ihn verlassen. Er war allein.

      01 ALICIA

      Suchend schaute Diego sich um und stellte sich kurz auf die Zehenspitzen, um über die Umstehenden hinweg sehen zu können, aber Lana war nirgends zu entdecken. – Zu blöd, dass sie zusammen mit den anderen Erstsemestern heute Feuerwache hatte und nicht bei ihm sein konnte. Aber so war es nun mal Tradition hier in Berkeley. Die Freshmen mussten Holz schleppen, damit das große Feuer in der Mitte des Amphitheaters schön loderte.

      Die ganze Arena des Greek-Theatres war in das rötliche Licht des großen Holzfeuers getaucht. Im Moment spielte gerade eine Rockband Nothing else matters, ein Stück, nach dem man schön langsam und eng hätte tanzen können. Das ganze Halbrund war bis hinauf zu den letzten Sitzreihen von den Klängen erfüllt. Nach Alicias grandiosem Auftritt musste es jede Band schwer haben, die Menschen mit ihrer Musik zu erreichen, aber die Jungs machten ihre Sache gut. Schon fanden die ersten Paare sich zusammen und begannen sich im Takt zu wiegen.

      Noch einmal strich Diegos Blick über die Erstsemester, die hinter der Absperrung aus Flatterband immer neue Holzscheite zum Feuer schleppten. Lana war nirgends zu entdecken. – Vielleicht hatte sie es ja geschafft, sich in einen ruhigeren Winkel zurückzuziehen und dort ein wenig Pause zu machen. Nein, sie war wirklich nirgends zu sehen, aber gerade kam Alicia Moss über den Platz. Sie bemerkte Diegos suchenden Blick und lächelte ihn an. – Hoffentlich meinte sie jetzt nicht, dass er nach ihr Ausschau gehalten habe.

      Natürlich tat sie das! Ein feines Lächeln zog sich über ihr Gesicht und bewirkte, dass Diego sie eine halbe Sekunde länger ansah, als er eigentlich vorgehabt hatte. Kurz tauchte ein Bild in seinem Kopf auf. Ein Traumbild aus der vergangenen Nacht.

      Ruckartig wandte Diego sich ab, aber es war zu spät. Einen etwas zu langen Blick kann man ebenso wenig zurücknehmen, wie ein unbedacht ausgesprochenes Wort. – Dabei war es nur ein winziger Augenblick gewesen, genau diese halbe Sekunde, in der sich so viel entscheiden kann.

      Diegos Gesicht verfinsterte sich. - Nein, hier hatte sich nichts entschieden.

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