Frequenzwechsel. Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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Frequenzwechsel - Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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die Gegend. Da sich eine Begebenheit wie die geschilderte selten ereignet, fand ich sie damals sehr interessant und erinnerungswert. Es gab an Bord in dieser Situation einer bedingten Notlage keinen einzigen Mann, der über die unbezahlte Mehrarbeit schimpfte oder irgendwie meuterte, abgesehen allerdings von den unzähligen saftigen Flüchen beim Brechen des resistenten Holzes. Mit welcher Begeisterung die Heizer vor den Feuern das ihnen zugeworfene Holz empfingen, weiß ich leider nicht zu berichten. Die erwähnte Knochenfracht in allen Laderäumen, auch das sei noch gesagt, ging nach New Orleans, wo das weißgraue Tiergebein von Gäulen und Rindern restlich in zermahlenem Zustand als Knochenfilter bei der Zuckerraffinerie verwendet werden sollte - zur gefälligen Beruhigung von Zweiflern: Menschenknochen als Rückstand einer seitens der sowjetischen GPU durchgeführten „Generalreinigung“ waren unter Garantie nicht dabei. Auf Rückreise USA - Murmansk geriet AUGUST LEONHARDT, wieder mit einer seltsamen Massenfracht, Kolophonium (Baumharz) in Fässern im Bauch im Nordatlantik in einen schweren Sturm. Erstmalig erlebte ich da, was dieses Seegebiet gegebenenfalls an Seegang zu bieten vermag. Die Wellenberge waren so unverschämt lang und hoch, dass unser ehrsamer „Pudel“, beigedreht (Bug in Richtung der ankommenden See) in diesem Hexenkessel treibend, seiner ganzen Länge nach entweder im tiefen Tal oder hoch oben auf dem Wellenberg herumritt. Etwa zwei Tage auf solcher Luftschaukel decken jeden Bedarf an Bewegung, die jemand für sein Wohlbefinden bedarf. Jan Maat gewöhnt sich normalerweise recht rasch an solche Schaukelei, wichtig dabei für Schiff und Besatzung war allein, das wild herumjumpende Gefährt nicht in Dwarslage (Querlage zu den Wellenbergen) kommen zu lassen, was unter Umständen zu Wassereinbrüchen oder aber zum Kentern der Arche hätte führen können. Auf das Ruder (Steuer) musste daher riesig aufgepasst, nötigenfalls die wellengerechte Schieflage durch mehr oder weniger Umdrehungen der Schiffsschraube ausbalanciert werden. Glücklicherweise flaut jeder Sturm einmal ab, AUGUST LEONHARDT kam ohne nennenswerte Schäden und mit einigem Zeitverlust aus diesem Aufruhr der Elemente. Als Resumée zu meiner Bordzeit auf diesem AUGUST kann ich jedenfalls vermelden, dass ich während ihres Ablaufs viel gesehen und dazugelernt habe, für mich besonders wichtig darin war meine Ummusterung zum Matrosen, ich glaubte zumindest, meinem Endziel wieder ein ganzes Stück Weg damit näher gekommen zu sein. Dass ich mit meiner Abmusterung von AUGUST LEONHARDT (Hamburg, 9.02.1930) den unglückseligen Start in eine böse Zeit langer Arbeitslosigkeit tat, war mir anfänglich natürlich nicht bewusst, anders wäre ich diesem Schiff vermutlich noch eine weitere Reise lang treu geblieben. Wer konnte damals aus der Ferne und ohne aufklärende Unterrichtung durch Radio und Zeitung die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Lage in der Heimat schon treffend beurteilen? Der auf dem Spielfeld der weltbewegenden Politik im Abseits stehende Seemann vermochte das bestimmt nicht, er hatte - zumal als junger Mensch eher für seine Zukunft optimistische Visionen übrig, als etwa ein vages Träumen vom persönlichen Sein oder Nichtsein.

      Ich machte also erstmals einen sicher wohl verdienten Urlaub und ließ derweil den lieben Herrgott einen guten Mann sein. Diesmal gefiel mir im Übrigen das kleine ostpreußische Angerburg besser, als zuvor beim ersten Kennenlernen des Städtchens. Wahrscheinlich war ich auch des inzwischen à cto beruflicher Erfolge gesteigerten Selbstbewusstseins wegen kontaktfreudiger als zuvor geworden, ich lernte jedenfalls in Bälde viele Altersgenossen beiderlei Geschlechts kennen, verliebte mich in eine Primanerin der dortigen höheren Schule „unsterblich“ und ließ mich willig als interessanten Weitwanderer bei alt und jung herumreichen. Das steigerte meinen persönlichen, an sich illusorischen Wert und verbannte fürs erste langsam aufkommende Zweifel an einer positiv geladenen Zukunft, denn letztere blieb angesichts des realen Zeitbildes zwangsläufig nicht aus. Die Weltwirtschaftskrise steuerte, für jeden sichtbar, mit Macht ihrem Höhepunkt zu, die Zahl der Arbeitslosen und geschäftlichen Konkurse wuchs und wuchs von Tag zu Tag üppiger denn je, und die Menschen in der Weimarer Republik zeigten sich mehr denn je uneinig in allen ihren Stämmen und Volksschichten und befangen in politischen Dogmen und Illusionen. Die von allem Anfang an beim Gros der Deutschen ungeliebte Republik, die ihren Bürgern irgendwie das Paradies auf Erden schaffen wollte, aber nur chaotische Zustände schuf, zerbrach an ihrer Schwäche und an der geringen Überzeugungskraft ihrer Thesen vom Bessermachenkönnen. Sie verlor zudem ihre Glaubwürdigkeit durch skrupellose Protektion ihrer Günstlinge mit rotem Schlips, Finanz- und Korruptionsskandale und andere undurchschaubare Manipulationen. Zweifellos gab es auch in den Führungsgremien der Weimarer Republik Männer von Ehre und ausgeprägter Redlichkeit, aber diesen fehlte wahrscheinlich entweder der genügend große Anhang von Getreuen oder die ausreichende Robustheit, sich durchzusetzen bzw. dem demokratischen Gedankengut Form und Inhalt zu geben. Die gehabte Institution Monarchie war noch längst nicht verdaut, deren negative Seiten schon, aber die positiven sahen in nostalgisch verklärtem Licht, und gerade diese hatten ja irgendwelche Irrlichter 1918 im November rücksichtslos „erdolcht“. Ergo fand die Dolchstoßlegende immer mehr Gläubige, deren Zahl in gleichem Maß parallel zu der der Arbeitslosen zunahm. Letztere wiederum der jungen, unfertigen Dame Republik anzulasten, war ungerecht, denn die Arbeitslosigkeit jener Jahre war weltweit vorhanden und keineswegs hausgemacht. Das aber sahen viele Menschen im deutschen Vaterland nicht oder wollten es nicht sehen. Ich gehörte nicht zu den Blinden, auch nicht zu den stillen Anbetern des monarchischen Zeitalters, war vielmehr der Ansicht, dass jedes Ding auf Erden seine guten und schlechten Seiten hat und es überall demnach auch gute und schlechte Menschen gibt.

      Als ich im April 1930 nach Hamburg zurückkehrte und mich bei der Heuerstelle der Vereinigten Reeder als Bewerber um eine Matrosenstelle meldete, erhielt ich als Nachsuchender eine hohe Wartenummer, die ein langes Pausieren bis zu meinem Wiedereinsatz in der Seefahrt voraussehen ließ. Gleichzeitig meldete ich mich - in meinem Leben zum ersten Mal - beim Arbeitsamt als Arbeitsloser und hatte nun die Anwartschaft, 2 Wochen lang im Höchstfall Stempelgeld zu erhalten. Daheim in Angerburg hatte ich einen Herrn kennen gelernt, dessen Schwester in Hamburg bei einem Kunstmaler-Ehepaar als Haustochter tätig war. Diese junge Dame suchte ich bei Gelegenheit in ihrem Domizil in Harvestehude auf, verstand mich mit dem netten, natürlichen Mädchen – etwas älter als ich - sozusagen auf Anhieb und wurde bei einem der nächsten Besuche ihrem Dienstherren Kunstmaler vorgestellt. Dieser Herr F. wiederum, ehemaliger Berufsoffizier, war mit Direktor Heilweg - oder so ähnlich sein Name - von HAPAG vom Krieg 1914/18 her bekannt und stellte mich eines Tages genanntem hochvermögendem Gentleman vor. Erfolg: zwei Tage später musterte ich per HAPAG-Heuerstelle am 21. Juli 1930 auf HAPAG-Dampfer „GRUNEWALD“ als Matrose an. Mir war der ganze Klimbim, der vielleicht in redlicher Absicht vom Mädchen Aenne initiiert war, nicht nach meinem Geschmack. Es widersprach meiner Auffassung, ein Protektionskind ohne entsprechende Vorleistung meinerseits zu sein, und diese meine abwertende Einschätzung wurde, wenn auch ohne mein Verschulden, bereits wenige Tage später schicksalhaft gerechtfertigt. Bei Arbeiten am Ladegeschirr des Schiffes nach Auslaufen Antwerpen und Absetzen des Schelde-Seelotsen fiel à cto Unvorsichtigkeit eines Matrosen ein größerer Schäkel aus Salinghöhe an Deck herunter, prallte beim Aufschlag unten federnd ab und traf mich am linken Bein, oberhalb des äußeren Fußknöchels. Das bewirkte nach Feststellung des Bordarztes einen glatten Knochen-Anbruch bzw. ein Aus für meine Reise nach Karibik und Ostküste Mittelamerikas. Ich wurde nach tatenloser Atlantik-Überquerung im ersten Hafen drüben, Port of Spain / Trinidad, als leichter Invalide ins britische Seemannsheim - oder was es sonst gewesen sein mag - gesteckt und schließlich als kranker Seemann im Hospital des HAPAG-Passagier-Motorschiffes „MAGDALENA“ nach Hamburg heimbefördert. In Hamburg hinkte ich noch mit Gipsverband und auf Pantoffeln zwei oder drei Wochen lang durch die Straßen und bereicherte hernach erneut mit meiner wenig geschätzten Gegenwart das große Heer der Arbeitslosen. Aenne oder den Kunstmaler weiter „heimzusuchen“, verbot mir mein sicher falscher Stolz, ich hatte wegen der in meinen Augen mich beschämenden HAPAG-Episode keine gesteigerte Lust dazu, bezweifelte außerdem, dass die „kleine“ Aenne noch bei Familie F. - sie fühlte sich dort nicht besonders wohl - weilte. Eine gescheiterte Verlobung hatte das Mädchen in Trotz-Reaktion die Haustochterstelle in Hamburg annehmen lassen. Mir war zum anderen am Fahren bei „HAPAGs“ nach einigen Erkenntnissen während meiner kurzen Stippvisite auf der GRUNEWALD nicht viel gelegen. Die HAPAG schien mir kein rechter Rahmen für ein Vorwärtskommen meiner Person zu sein, „viel Geschrei und wenig Asche“ dort nach meiner damaligen unmaßgeblichen Ansicht. Wovon ich Gegner war? Ein gut gepflegter Protektionismus schien derzeit wohl bei allen großen deutschen Reedereien gang und gäbe zu

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