Frequenzwechsel. Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Frequenzwechsel - Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski страница 16

Frequenzwechsel - Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

Скачать книгу

vorsorglichen Chinin-Einnahme mehr oder weniger schwer an Malaria erkrankte bzw. mein Einsatz als Wachgänger und Steurer ein Gebot der Stunde wurde. Wir konnten mit den wenigen gesunden Männern die auf Engländern übliche Zweiwachen-Einteilung sonst anders nicht einhalten, es sei denn, dass die wachhabenden „mates“ selber ihr Schiff steuerten. Solches tun britische „gentlemen“ aber nur im äußersten Notfall, also ließ die Schiffsleitung mich Decksjungen – laut Gesetz international nicht statthaft – in dieser Notsituation Wache mitgehen mit allen Funktionen eines Wachgängers, Steuern (Rudergehen), Ausguck bei Nacht auf der Back, Brücke oder im Mast(korb) und Flötentörn, was abwechselnd auf die Männer einer Wache verteilt wird. Erschwert wurde die Heimreise durch ein Sauwetter, praktisch ab Afrika-Küste bis zum Englischen Kanal hinauf. Wir hatten einen schon für jene südlichen Breiten einfach unwahrscheinlichen Seegang, stampften und rollten, je weiter GABOON nach Norden kam, wie ein Lämmerschwanz in der kochenden See. Als Rudergänger hat man in solchem Fall Mühe, den Kahn auf Kurs zu halten. Ein größeres oder großes Schiff zu steuern, ist unter normalen Bedingungen problemlos, es wird jedoch zur Gefühlssache bei schwerer See. Irgendwie ist ein Schiff so eine Art Lebewesen mit einer Seele in seinem Stahlleib. Diese Definition ist wahrscheinlich insofern zutreffend, als bauliche Qualität, möglichst maßgerechte Linienführung und maximal günstige Stabilität des Schiffskörpers im Verein mit gut durchdachter Stauung der Fracht für den „Geist“ eines Schiffes auf See ausschlaggebend sind. Speziell bei Stückgutladung mit variabler Stau-Notwendigkeit ändern sich jedoch zwangsläufig und wider alles Kalkül die Eigenschaft und das Verhalten jedes seegehenden Fahrzeuges, also ändert sich auch seine Seele, bzw. die Anpassung des Steurers an dessen „Launen“. Ein Rätsel ist es mir im Übrigen bis heute geblieben, weshalb wir auf meinen insgesamt drei Reisen nach Westküste Afrikas soviel Mannschaftsausfälle à cto Malaria hatten. Ob später die erfolgreiche Bekämpfung der Anopheles (Fiebermücken) diese Malaria-Anfälligkeit zumindest in den tropischen Küstengebieten praktisch gänzlich beseitigt hat, das mag gut möglich sein. Wahrscheinlich haben aber auch bessere Hygiene und Arzneimittel sowie Schutzimpfungen bei Seefahrern und Landmenschen, ganz abgesehen von der Modernität der heutigen Mannschaftsunterkünfte an Bord, die Geisel Malaria langsam zum Aussterben gebracht. In diesem Zusammenhang noch eine „Untat“ meinerseits auf dieser meiner ersten großen Reise. Unsere Malaria-Erkrankten wurden, wohl vorschriftsmäßig, sehr kurz in Aufnahme von Flüssigkeit gehalten. Der nächtliche Wachgänger-Flötentörn musste u. a. einmal stündlich nach den Kranken schauen, gegebenenfalls bei einer sichtbaren Verschlechterung im Zustand eines Kranken davon den Bordarzt unterrichten. Die Malaria selbst ist außer hohem Fieberbefalls des Opfers kaum ernstlich gefährlich. Aber etwaige Folgeerscheinungen, Komplikationen können es unter Umständen sein, z. B. das Schwarzwasserfieber mit seinerzeit oft oder meist tödlichem Ausgang dieses Leidens. Kurzum, ein ernstlich an Malaria erkrankter Leichtmatrose bittet mich auf einem meiner nächtlichen Inspektionsgänge um einen kühlen Schluck Wasser. Unwissend um etwaige Folgen und beseelt von kameradschaftlichem Mitgefühl bringe ich ihm das Verbotene. Am kommenden Morgen ist der Mann in bedenklicher Verfassung. Die Nachforschung der hohen Obrigkeit fördert mühelos mein unsinniges Tun zutage. Ich muss zum Kapitän, Mr. Small, um mir eine Riesenzigarre mit anschließender Gewissenswäsche und möglicher Verantwortlichkeit im hoffentlich nicht eintretenden Ernstfall abholen. Gottlob stand der Kranke sein Leiden durch, und ich war wieder einmal um eine Erfahrung reicher. Immerhin auch das wieder ein herrlicher Aspekt für meine Zukunft: Daheim fast ein zartes, wenn auch leichtes Mädchen zertrümmert, zumindest maßgeblich daran beteiligt, nun fast einem Kameraden, wenn auch in Unvernunft, den Weg in den Seemannshimmel geebnet, mein lieber Spitz, so kann es einfach nicht weitergehen. Viele Jahre später soll ich angeblich wiederum einen Mann abgesoffen haben, wenn auch nicht direkt durch Einfüllen von zuviel Flüssigkeit, aber auf meinen Wunsch hin stellte man ihm die Flaschen hin, woraus er sich selber im Übermaß bediente. Ich scheine wirklich nicht unter glücklichen Sternen ins irdische Jammertal gekommen zu sein. Meine Vorgesetzten auf GABOON haben mir im Übrigen diesen schlimmen Vorfall nicht weiter angekreidet, mir vielmehr bei Abmusterung in Hamburg gute Zeugnisnoten ausgestellt. Da mein Sampan kurz vor dem Weihnachtsfest in Hamburg eingetroffen war, fuhr ich für die Festtage zu den Eltern nach Ostpreußen. Diese wohnten jetzt nach dienstlicher Versetzung meines Vaters in Angerburg, einer Kleinstadt mit etwa 8.000 Einwohnern, etwa in der Mitte Ostpreußens gelegen. Angerburg galt im Volksmund als nördliche Eingangspforte zur Landschaft Masuren mit ihren 1.000 Seen diverser Größe, von denen der Mauersee dicht an der Stadt der zweitgrößte war. Angerburg hatte eine landschaftlich schöne Umgebung, war sonst eine wenig reizvolle Klein- und gleichzeitig Kreisstadt mit entsprechendem gesellschaftlichem Gepräge einer solchen. Wer bereits einmal einen Blick in die weite Welt getan hatte, dem konnte genannter Ort kaum imponieren, schon gar nicht jemandem ohne irgendwelche früheren Bindungen an das Städtchen und seine Bewohner. Außer der Freude des Wiedersehens mit den Meinen und gemeinsam verlebter Festtage gab es für mich also nichts, was mich zu einem längeren Verweilen in A. hätte einladen können. Vater und mein ebenfalls in Urlaub daheim weilender Bruder reichten mich wohl als weit gereisten Mann hier und da bei ihren Bekannten herum, aber mir kamen die Menschen dort unter dem bei mir nachhaltigen Eindruck der größeren, innerlich noch nicht verdauten Welt wie klein karierte Pfahlbürger vor, und die ostpreußische Landschaft schien mir trotz all ihrer Weite in ihrer nun im Winter auf den stillen Betrachter besonders intensiv ausstrahlenden melancholischen Stimmung eng und verlassen. Welche Bedeutung dieses Angerburg nebst Umwelt einmal in Zukunft für mich haben sollte, das wusste ich derzeit natürlich nicht. Mein Vater hätte es im Übrigen gern gesehen, wenn ich nach allen meinen in etwa acht Monaten „draußen“ gesammelten, eher negativen Erfahrungen mein ihm unbegreifliches Fernweh aufgesteckt und beruflich irgendetwas Handfestes in Angriff genommen hätte. Aber was konnte das bei immer höher steigender Arbeitslosenzahl im Deutschen Reich außer einem noch möglichen Studienbeginn denn sein? Alle Beamtenlaufbahnen standen fast einzig und allein den Versorgungsanwärtern von Reichswehr und Polizei offen, die damalige freie Wirtschaft der Weimarer Republik stagnierte, die Zahl der Konkurse in ihrem Bereich nahm rapide zu, die Weltwirtschaftskrise hatte ihre Geburtsstunde oder tat, anders gesagt, den sie einleitenden Paukenschlag.

      Leichtmatrose (OS) auf SS „POLZELLA“ alias „ESSEX COUNTY“

      Ergo schnürte ich gegen Ende Januar 1927 erneut mein Bündel‚ um wieder in die unbestimmbare Weite außerhalb der heimatlichen Grenzen zu ziehen. Das nächste Schiff ließ diesmal wider Erwarten nicht lange auf sich warten, Anfang März musterte ich in Hamburg als Leichtmatrose (OS) auf dem englischen SS „POLZELLA“, einem Trampschiff mit Heimathafen London an. Mit einiger Seefahrterfahrung wäre ich vermutlich von besagtem Pott nach kurzer Visite gleich wieder abgestiegen, aber damals fand ich wahrscheinlich sein verworfenes „Image“ geradezu erregend und eher unbekannte Abenteuer versprechend, als ein „Linienreiter“. Tatsächlich war POLZELLA, im nachhinein gesehen mein erbärmlichster See-Untersatz, hässlich, heruntergewirtschaftet, unhygienisch, verbaut, unkomfortabel sogar nach damaligen humangültigen Gesichtspunkten und Normen, sie bewegte sich außerdem wie eine Laus vorwärts, bzw. ihre Maschine hatte hochgradiges Asthma. Dass ihr Unterleib hernach im einzig angelaufenen Ladehafen Bahia Blanca / Argentinien à cto mehrwöchiger Warte-Ankerzeit mit Bewuchs gänzlich verkrautete, war zweifellos weder ein ihr zusätzlich anzulastender Schönheitsfehler, noch ein angeborenes Gebrechen, aber es ließ wiederum ihren Laufschritt noch kürzer als zuvor werden und ihre Gangart der einer Raupe gleichen. Trotz aller Mängel konnte man dieses Zerrbild von Schiff vielleicht noch gerade für ein Butterbrot an einen neuen Eigentümer verkaufen und die Mannschaft sozusagen gratis dazu‚ wir gingen jedenfalls unter dem Namen POLZELLA nur von Hamburg nach North Shields, nahmen dort als Ballast Kohlen in Luk 3, 4 und auf Deck und erhielten für unseren Wellenreiter den neuen stolzen Namen „ESSEX COUNTY“. Aber damit wurde ja der Kahn nicht besser als zuvor, noch weniger und karger vielmehr das, was man allgemein unter dem Begriff der Beköstigung von Seeleuten versteht, und die war an sich schon damals auf Engländern ein Kreuzworträtsel. Im Übrigen fuhren unter der neuen Reedereiflagge bei 32 Köpfen Besatzung Vertreter von 17 Nationen mit einziger Verständigungsmöglichkeit im Englischen, ganz abgesehen von den diversen Nationalitäten der ebenfalls, seit längerer Zeit vermutlich, eingeschifften unzählbaren Ratten. In welchem Kauderwelsch sich letztere untereinander

Скачать книгу