Frequenzwechsel. Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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Frequenzwechsel - Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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wankte dann bekümmert an meinem Arm durch die nächtlichen Straßen, von Verantwortung um das Seelenheil seines Weibes und schweren Sorgen um den mutmaßlichen Zusammenbruch seiner Wirtschaftskasse geplagt, kurz gesagt, um zu retten, was vielleicht noch zu retten war. Meist hatten wir bei unserer Suche Erfolg, ganz abgesehen vom desolaten Zustand Emmis, ein paar Mal aber „rien ne vas plus“, weil Modder bereits auf irgendeiner mildtätigen Polizeiwache ihren Rausch ausschlief, dann erst am nächsten Morgen „broken hearted“ nach Hause geschlichen kam. Na ja, in Hamburg sind die Mädchen nett, die späten unter ihnen noch netter - aber das gibt ’s wahrscheinlich auch andernorts. Obwohl ich nach Hamburg schon als „Aufgeklärter“ und außerdem sattelfester Getränksmann hingekommen war, so wurde ich jedenfalls im Verlauf der Monate meiner Schiffsuche in meiner Traumstadt noch aufgeklärter und trinkfester als bisher. Ich wundere mich heute noch, dass ich damals nicht nur nicht weiter abrutschte, sondern sogar einige Sprossen auf der Leiter der Tugend hinauf klomm. Trotzdem tauchten mich allmählich ungestillter Tätigkeitsdrang einerseits und Schicksalsergebenheit andererseits in seelische Wechselbäder, die mich krampfhaft nach einem Ausweg aus diesem Dilemma suchen ließen.

      Das unerwartete Zusammentreffen mit einem früheren Tilsiter Bekannten schien eine eventuell mögliche Lösung für meine „Probleme“ bereit zu haben. Unbedingt glücklich machte mich die Begegnung mit diesem recht lockeren Kumpan vergangener Tage zwar nicht, aber wer springt schon über seinen Schatten und meidet unter fast lauter Fremden einen Landsmann und ehemaligen Mitschüler. Nach eingehender Ortung unser beider Standpunkte und Gemeinpositionen beschlossen wir also, per Tippeltour die deutschen Nordseehäfen zwecks Arbeitssuche abzuklappern. Zuvor musste sich mein zukünftiger Wandergenosse allerdings noch etwas Geld als Startkapital beschaffen, denn wir wollten Hamburg / Emden per Bahn anlaufen und dann per pedes längs der Küste Richtung Ost marschieren. Tatsächlich kannte sich der Bursche in der Suche nach Gelegenheitsarbeit in Hamburg besser aus, als mancher Hiesige aus dem Heer der Arbeitslosen selber. „Markthelfer auf dem Messberg“ hieß die Losung, von der ich á cto eigenen Betätigungsmangels eo ipso auch fasziniert war, dass ich also ebenfalls „dabei sein“ wollte. Das war nun nicht mit Kommen, Sehen und Siegen allein zu schaffen, in manchen Dingen ist das freie Hamburg nämlich preußischer als Preußen und in puncto Arbeitendürfen ein Paradestück der Gewerkschaftsmacht. Alldaher wurde die Elite, bzw. das Gros der Markthelfer staatlich rekrutiert, sie bedienen die großen gut zahlenden Kunden des Marktes unter den marktfahrenden Bauern und Händlern. Wer seine Waren billig ab- und aufladen lassen will - je eine Stunde vor und nach der Marktzeit, der nimmt die wilden Markthelfer. Ergo bemühen sich diese „Wilden“ dementsprechend, die Außenseiter unter den Marktfahrern als kurzzeitige Arbeitgeber zu bekommen. Mein Kumpel und ich hatten jedenfalls an den paar mitgemachten Markttagen das Glück, Beschäftigung zu finden und durften abschließend sogar noch für einen Kleinhändler zu zweit eine „schottsche Koarr“, hochbeladen mit Kiepen und Körben, bis nach Eimsbüttel hin ziehen und schieben. Das war eine Sauarbeit mit viel Schweißverlust, aber das brachte Geld, mehr als das Nur-Ab-und-Aufladen auf dem Markt allein. Zweimal verbrachte ich hinterher die Nacht darauf à cto Tagesermüdung in der Schlafstätte meines Genossen, rein aus Jux möchte ich heute meinen, denn ich war damals doch ziemlich überrascht, wie tief mein zukünftiger Tippelkamerad, ehemaliger Gymnasiast, schon abgesunken war. Die Bleibe, gleichzeitig eine Kneipe, eignete einer Madame Lemoine, einer Belgierin. Wir ruhten für 50 Pfennig in einem Zimmer neben dem Schankraum auf Bank oder Stuhl sitzend, das müde Haupt auf den Tisch davor legend. Bei wenig Zuspruch an Schläfern konnte man sich auf einer Bank lang machen. Mein Gefährte hatte genügend Erfahrung, trotz aller Behinderung sich erfrischend auszuruhen, ich fand diese Prozedur recht wenig komfortabel. Das „Pennerleben“ will eben auch gelernt sein, im Übrigen betrachtete ich diese zwei unbequemen Nächte als gelungene Generalprobe für die geplante „Tippeltour“. Dann war der Tag gekommen, wo wir Hamburg, zumindest für einige Zeit, Valet sagten, „wir zogen in die Weite, zur Seite das Glück“ und ich war ein „armer Wandergesell“ (E. Künneke, Operette „Der Vetter aus Dingsda“). Um es kurz zu sagen, unsere „Sommerferien“ wurden ein absoluter Reinfall ohne den geringsten Erfolg, außerdem waren sie wegen meines mitgenommenen schweren Gepäcks, per Hand oder Schulter getragen, eine Strapaze ersten Ranges. Die Zahl der Wanderer auf Deutschlands Straßen, die irgendwo Arbeit zu finden hofften, z. T. aber auch aus reinen Landfahrern bestand, war derzeit riesengroß, und jede Gemeinde, in der man sich für die Nacht obdachlos meldete, war froh, wenn sie am nächsten Morgen die Schar von Strolchen wieder los wurde. Als Bettler ums tägliche Brot erwies ich mich selbst als ziemlich untauglich, vielleicht, weil ich von Anfang an dieser Tätigkeit mit uneingestandenem Widerwillen gegenüber stand. Glücklicherweise war damals noch nach guter christlicher Auffassung Geben seliger als Nehmen, man brauchte auf Bettelgang bei Bäcker oder Schlachter nur irgendwie dumm und bedeppert wortlos dazustehen, und schon erhielt man eine Kleinigkeit als Wegzehrung. Manche Bauern verlangten mitunter für ein schönes Stück Speck eine kleine Arbeit als Gegenleistung, dagegen drohten aber böse Vertreter ihrer Zunft den Bettelnden mit dem Loslassen des Kettenhundes. In Armen- oder Altenhäusern am Wege gab es, falls gerade Mittagzeit war, einen ordentlichen Schlag Warmes und in Molkereien Buttermilch satt zur Selbstbedienung. Häuser mit Telefonzuleitung mied man besser, darinnen konnten ja Leute von amtlicher Autorität thronen und einem darob das unerlaubte Betteln vermiesen. Alles in allem war es à cto der Vielzahl der „Kunden“ keine Fettlebe, und wenn im letzten Dorf des Tages der Andrang der Schläfer beim Gemeindebullen zu groß war, so hieß das Nachtmarsch zum nächsten Dorf oder Ruhestatt auf freiem Feld. Gottlob war es Sommer, und man konnte sein Haupt in einem Heuhaufen betten, „den gestirnten Himmel über sich und das moralische Gesetz in sich.“ (Emanuel Kant, Philosoph, Königsberg/Pr.). Am nächsten Tage pflegte man unterwegs alle Kunden von gestern wieder zu treffen und sann nach Umwegen, um nicht im ewig gleichen Betteltreck zu sein. Nach zwei, drei Wochen gemeinsamen Wanderns bekommt man dann den ganzen Kram satt und den eigenen Kamerad über. Wir beide „krachten“ uns just hinter Buxtehude nach von mir beobachteten kleinen Diebereien meines Spezies. So was lag nicht auf meiner Linie und machte unsere Gemeinsamkeit hinfällig. Also zog jeder für sich weiter, ich, mehr oder weniger geläutert, via Finkenwerder zurück nach Hamburg. Mein ehemaliger Genosse soll späterem Hörensagen nach ins Holsteinische weiter gewandert sein, dort irgendwo nähere Bekanntschaft mit der „ausgleichenden Gerechtigkeit“ gemacht haben. Ich konnte und wollte das Gesagte nicht weiter nachprüfen. Das etwa Positive aus der Tippelzeit habe ich nachträglich herauszukristallisieren versucht, viel war es nicht, der Rest ist Schweigen.

      Erste Schiffsplanken auf Finkenwerder Fischkutter – 1926

      Kurz nach dieser Hamburg-Heimkehr trat im Übrigen bei meiner Schiffsjob-Suche eine unerwartete Wendung ein. In Finkenwerder hatten mich beim Warten auf das Fährschiff nach Hamburg die zahlreich im Hafen liegenden Kutter und Ewer auf die Idee gebracht, dass diese ja auch seegehend seien. Ich schrieb also einen Brief an die Fischer-Heuerstelle in Finkenwerder mit Darlegung meiner Begeisterung für das Maritime. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, sie forderte mich zum Vorsprechen auf. Das geschah postwendend, und ich musterte mit Dienstantritt am 23.08.1926 als Viertsmann oder Junge auf Fischkutter HF 49 „FAREWELL“, Schiffer Hannes Barghusen, an. Entgelt: 2 % Anteil vom Erlös jeder Schiffsreise bzw. Fangreise. Ein Fischkutter ist nicht gerade ein Idealfahrzeug, sieht von weitem besser als von nah aus, aber mir war die Hauptsache, endlich das Nichtstun und Warten beendet zu haben und nun mit dem Besitz eines Seefahrtbuches der großen Schar der Seefahrer anzugehören. Ob meine beruflichen Erwartungen damit erfüllt wurden, war vorerst zweitrangig. Begleitet von frommen Wünschen meiner Logisleute und selber willens, mich nach besten Kräften und Elan für alles Neue einzusetzen, bestieg ich am Morgen des 23.8., Sack und Pack in der Hand demzufolge das Fährschiff nach Finkenwerder. Es war ein herrlicher Sommermorgen, bei Blohm und Voss lagen den Brücken gegenüber just drei Großsegler der Firma Laeisz in Reparatur, einer im Schwimmdock (die „PEKING“), die beiden anderen längsseit Dock und Kai. Dieser auch damals schon überaus seltene Anblick schien mir für meinen Beginn in der Christlichen Seefahrt ein gutes Omen zu sein. Ja, dann war ich auf der FAREWELL, wo Bestmann und Leichtmatrose während der Hafenliegezeit des Kutters Instandsetzungsarbeiten verrichteten und im Verlauf meines ersten Diensttages Öl, Proviant und Wasser übernommen

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