Frequenzwechsel. Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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Frequenzwechsel - Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski

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wegen unmöglicher Ableistung der von den Alliierten in Versailles geforderten Reparationsleistungen und dort aufkommende separatistische Tendenzen entgegen. Die deutsche Regierung - das sei zur Ehre der damaligen sozialdemokratischen Machthaber im Reich gesagt - bäumte sich energisch gegen speziell französische Rachsucht und Willkür auf, trotzdem waren derlei Vorgänge für den wieder aufwachenden alten deutschen Nationalismus und seine Vertreter Wasser auf ihre Mühlen. Geschehnisse geschilderter Art waren nur dazu angetan, die Front der Republikgegner zu stärken und ihren Thesen vom den Kriegsausgang entscheidenden „roten Dolchstoß“ und von der neu-deutschen Leichtgläubigkeit an das von Amerikas Präsident Wilson aufgestellte 14-Punkte-Friedensprogramm neue Nahrung zu geben. Sicher war nicht alles falsch, was die Nationalisten oder Rechten sagten, aber auch durchaus nicht alles richtig, es klang nur in vieler Ohren gut und zur eigenen Rechtfertigung erwünscht. Für die politische und wirtschaftliche Existenz meiner Heimatprovinz Ostpreußen waren im Übrigen bestimmt erschwerende Fakten das Losgelöstsein vom übrigen Reich, die Abhängigkeit von den Launen der Polen á cto Korridor und die immer zweifelhaft gewesene Haltung der Russen, deren Sowjetunion wahrscheinlich nicht nur für den Frieden gewaltig aufrüstete. Kurzum, es erfolgten die ersten Ansätze und Atemzüge des später so verhängnisvoll werdenden „deutschen Erwachens“ nun auch in Ostpreußen, da allerdings später, als im Reich selber und in konservativerer Form als z. B. in Bayern, wo ein bisher unbekannter Herr Hitler nach- und neu-militante Kräfte als Reagenz auf den stetig mehr und gefährlich erstarkenden Kommunismus in Deutschland um sich sammelte. Es wuchsen also überall im Reich in den zwanziger Jahren neben zahmen Kriegervereinen und politisch schon eher bewussten und disziplinierten Verbänden ehemaliger Soldaten - wie dem „Stahlhelm“ - auch etliche rechtsnationale Jugendverbände schier wie Pilze aus dem Boden. Letztere waren ihrer Zielsetzung nach aber keineswegs „militant“, wenn auch ihrer Struktur nach militärisch ausgerichtet und in sich gegliedert und hatten zum anderen vielfach keine direkte Verbindung untereinander. Gemeinsam waren bei diesen Jugendbewegungen Wunsch und Absicht, die, aus ihrer Sicht gesehen, deutsche Schmach von 1918 und das von französischem Hass diktierte Versailler Friedensstatut auszulöschen oder zu revidieren. Das „Wie“ in der Ausführung blieb allerdings unbeantwortet und verschwommen. Damit verbunden war das Ziel‚ Deutschland wieder einen seinen volkswirtschaftlichen und kulturellen Fähigkeiten entsprechenden Platz in der Rangfolge der Staaten und Völker zu schaffen, ferner eben ein Gegengewicht gegen das Überschwappen des östlichen Kommunismus und dessen Heilslehren zu sein. Der Ehrbegriff hat im Leben der Völker schon immer einen hohen Wert gehabt - nicht nur bei uns Deutschen - zweifelhaft ist nur immer seine individuelle Auslegung bzw. dessen Berechtigungsanspruch in den Augen des lieben Nachbarn. Im Schulunterricht aus fremdsprachlichen Texten oder irgendwelchen literarischen Erzeugnissen entnommene Sätze á la Paukenschläge - beispielsweise „dulce et decorum est pro patria mori“ oder „nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre“ - können vielleicht oder zweifellos besonders für junge Menschen faszinierend sein, aber sie sind oder werden entweder sinnentstellt bzw. passen real nicht ganz für das Zusammenleben von Staaten oder Völkern.

       Ammoniter-Jungmannen-Bund

      Jedenfalls, egal, wie man heute nach vielen ernsten und bitteren Erfahrungen diesem Fragenkomplex gegenüberstehen mag, wir beiden Brüder traten 1922 eben auch wie viele unserer Freunde und Kameraden in einen solchen patriotischen Jugendverband ein, mit voller Zustimmung unseres über alle Zeitläufte hinweg konservativ denkenden Vaters übrigens. Dieser Verband nannte sich „Bund deutscher Jungmannen Preußen“, der im Gegensatz zu ähnlichen nationalen Vereinigungen Jugendliche aus allen Bevölkerungsschichten sammelte - also auch „Unterprivilegierte“ - und in kurzer Zeit für die Ausmaße einer Stadt von der Größe Tilsits eine beachtliche Anzahl Mannen und Gönner zählte. Ihr Führer und Gründer war ein im Krieg hoch dekorierter, ehemals aktiver Infanterie-Offizier mit gehabten mehrmaligen schwereren, aber gut verheilten Verwundungen, namens Herr Ammon. A. hatte als Rückstand einer seiner Kriegswunden eine silberne Luftröhre, was sein Sprechen und Rufen heiser sein ließ, trug zum anderen, wo er ging und stand (auch beim Schwimmen), als Relikt vergangener Zeiten ein Monokel und war eine mittelgroße kräftige Erscheinung mit guter Haltung, einer prachtvoll durchtrainierten, sportlichen Figur und einem Haufen Moral. Kurz gesagt, er war eine markante Persönlichkeit, die in feiner und feinster Umgebung á cto seines tadellosen Benehmens voll anerkannt wurde. Als nicht mehr für die damalige Reichswehr wegen seiner stimmlichen Lädierung einsatzfähiger Offizier war er nach Kriegsschluss als Hauptmann mit Pensionsanspruch entlassen worden, war dann illegal noch bei irgendwelchen Freikorps und schaffte schließlich irgendwie den Übergang ins Zivilleben. A. war ledig, hat nach seiner Tilsit-Zeit Zahnmedizin studiert und ist Anfang der sechziger Jahre beim Baden im Main ertrunken, wie ich später von einem ehemaligen Schulkamerad erfahren habe. Herr Ammon war jedenfalls damals in Tilsit für Frauen aller Jahrgänge - er tanzte vorzüglich - und junge Männer etwa ein Idol, hoch geehrt und verehrt, wir Jungenschar nannten ihn „Häuptling“ und waren selber die „Ammoniter“ oder sozusagen amtlich der „Preußenbund“. A.‘s Ziel bei Gründung seines „Bundes“ war es, uns Jungen im Sinne einer vormilitärischen Ausbildung und Erziehung körperlich zu ertüchtigen, deutsches Gedankengut in nationaler Apostrophierung in uns wach zu halten bzw. auszubauen und den Kameradschaftsgedanken und -geist als wertvollstes Band der Gemeinschaft über alle Bildungs-, Interessen- und Standesunterschiede hinweg zu pflegen. Es konnte im übrigen kaum erstaunlich sein, dass der Individualist Ammon kein Freund der jederzeit politisch schwächlichen Machthaber im Reich war, was bei ihm weniger der Status Republik als solcher bedingte, als vielmehr der neuen Herren nach außen und innen überzogene Liberalisierung und rigorose Parteibuch-Mentalität. Das deutsche Reich, seit 1918 in allen seinen Stämmen uneinig und jedem Interessendruck untertan, war trotz vieler positiver Ansätze zu Beginn und während der ganzen Weimar-Jahre ein politisch farbloses Gebilde und konnte einfach nicht jeden seiner Bürger von seiner Güte überzeugen. Schon gar nicht einen Teil seiner jungen Generation. Kurzum, wir Ammoniter waren ein begeisterter Haufen ohne irgendwelchen Zwang-Versuch seitens unseres „Häuptlings“, es sei denn in freiem Entschluss, es ihm gleichzutun in Überwindung irgendwelchen Muts, Willensstärke, Selbstzucht und Selbstvertrauen fordernder körperlicher Anstrengungen. Mitunter wurden wir dabei sogar schwer gefordert, teils im Sport bei Mutproben, teils in stundenlangen Ausmärschen und Geländeübungen. Der Wahrheit wegen muss noch erwähnt werden, dass Herr A. auch kein Freund der Juden war. Selbige waren in der Weimarer Republik zwar direkt längst nicht so zahlreich in führenden politischen Stellen tätig, wie es später im NS-Staat behauptet wurde, aber sie hatten zumindest als geschickt agierende Lobbyisten in fast allen Lebensbereichen einen entscheidenden Einfluss. Ja, Herr A. war zweifellos Antisemit, wenn auch nicht im Sinne der späteren Rufer nach der Endlösung in der Judenfrage, man hat ihm später bei den Nazis keine Ämter gegeben, ihn auch nicht als Offizier reaktiviert, vielleicht natürlich, weil er zu alt dafür war. Ich möchte ihn alles in allem eher als den Prototyp des ewigen Landsknechtes mit glänzenden Führungsqualitäten einstufen, der sich, von Hause ein Pfarrerssohn, dann gedienter Avantageur-Offizier, trotz aller Rauheit stets die angeborene Noblesse zu bewahren verstand. In meinen Erinnerungen beschäftige ich mich deshalb so ausgiebig mit der Beschreibung des Herrn Ammon, weil ich nach meinem Dafürhalten diesem Manne in puncto Durchhaltevermögen und körperlicher Ertüchtigung für mein späteres Arbeitsleben und darüber hinaus für meine charakterliche Prägung viel zu verdanken habe. Wir Ammoniter sind nun nicht immer nur marschiert, es gab während meiner Preußen-Bund-Zeit auch viele fröhliche Stunden, interne Kameradschaftstreffen, gemeinsame Ausflugsfahrten und so genannte „Deutsche Abende“ als öffentliche Veranstaltungen für die Tilsiter Bevölkerung, letztere unter Mitwirkung der beiden hiesigen Militärkapellen. Das Publikum erschien dazu in Scharen, um allen Interessenten gerecht zu werden, wurden die „Deutschen Abende“ mehrmals wiederholt. Inhalt dieser Veranstaltungen: Konzert und Marschweisen der jeweilig engagierten Militärkapelle - zum Abschluss der kleine Zapfenstreich - Schauturnen unserer Spitzenkönner (diese waren auch Mitglieder der hiesigen Turnvereine), irgendwelche lustigen und ernsten Rezitationen, ein „lebendes Bild“ - Nachstellung eines Gemäldes patriotischer Prägung wie „Friderikus Rex“ von Menzel oder „Der letzte Mann“ nach Stöwer - und ein von einem Regisseur des Tilsiter Stadttheaters einstudiertes, historisch motiviertes Schauspiel. Hinterher war Tanz in allen

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